Über untaugliche Versuche, eine historische Gestalt zu demontieren
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Die im folgenden analysierte Schrift von Werner Renz zum Film von Ilona Ziok „Fritz Bauer - Tod auf Raten“ fanden wir letzte Woche zufällig im Internet und wir mochten nicht glauben, was wir da lasen. Es geht um den Altnazi Dreher, dessen unrühmliches Wirken in der jungen BRD wir in Weltexpresso schon öfter (Rosenburg, Fall Collini) dokumentiert hatten, und den – ja, wie soll man das sagen – Werner Renz in Schutz nimmt.
Daß er in seiner Einschätzung falsch liegt und heutige Juristenprofessoren das alles als einen „alten Hut“ bezeichnen, ist das eine, auf was Kurt Nelhiebel gleich eingeht. Uns hat verwundert, das ist das andere, daß Werner Renz in seiner Internetschrift die Aussagen einer interviewten Person, der wir zudem zustimmen können, Thomas Harlan zum Fall Dreher, zum Anlaß und Argument nimmt, diesen – wie wir meinen – interessanten und aufklärenden Film über Fritz Bauer als 'medialen Mißgriff' zu bezeichnen. Si tacuisses, ….Die Redaktion
3
Im Jahr 2010 veröffentlicht Renz eine Stellungnahme zu dem Film von Ilona Ziok, „Fritz Bauer – Tod auf Raten“, der von der Deutschen Film- und Medienbewertung mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnet worden ist.1 Mit dem Film selbst hält er sich nicht lange auf. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Äußerungen von Zeitzeugen, die seiner Meinung nach einer Überprüfung nicht standhalten. Insbesondere reibt er sich daran, dass der Ministerialdirigent Eduard Dreher vom Bundesjustizministerium als Drahtzieher einer Amnestie durch die Hintertür für NS-Täter bezeichnet wird.
Dreher hat bei der im Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten untergebrachten Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB eine wichtige Rolle gespielt. Die 1968 vom Bundestag einstimmig beschlossene Änderung sollte hauptsächlich Verkehrssündern zugute kommen, entpuppte sich aber, wie der Rechtswissenschaftler Michael Greve schreibt, auch „als Wohltat für zahlreiche NS-Gewaltverbrecher“ und als eine der gravierendsten gesetzgeberischen Fehlleistungen in der Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht.2 Renz hingegen meint, in der Forschung sei durchaus offen, ob es sich um eine Panne oder um „Drahtzieherei“ handelt. Was in dem Film als unbestrittene Erkenntnis verkündet werde, ist Renz zufolge „eine mögliche Auffassung – nicht mehr“.
*
Die abschätzige Bemerkung steht auf wackligen Füßen. Das Echo auf den Fehltritt des Bundestages war überwiegend negativ und ist immer noch nicht verhallt. 2013 bezeichnete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Neufassung des § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuches als „großen Rückschritt“, gemessen an dem Durchbruch in der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch die Auschwitz-Prozesse, die untrennbar mit der Persönlichkeit von Fritz Bauer verbundenen seien. Das unter Beteiligung des NS-Juristen Eduard Dreher zu Stande gekommene Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten habe, so Maas, schlagartig viele NS-Taten verjähren lassen. Renz hat seinen Lesern nicht gesagt, dass es sich bei Dreher um einen ehemaligen Diener des nationalsozialistischen Unrechtsstaates handelt, der als Erster Staatsanwalt am NS-Sondergericht in Innsbruck mehrmals wegen geringfügiger Delikte die Todesstrafe beantragt haben soll.
Die von Renz beanstandete Äußerung, Dreher sei der Drahtzieher einer Amnestie durch die Hintertür für NS-Täter gewesen, findet sich 2011 fast wortgleich in einem Aufsatz der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Monika Frommel wieder. Sie schreibt mit Blick auf das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: „Unverdächtiger konnte die kalte Amnestie für NS-Täter nicht verpackt werden.“3 Fortsetzung folgt.
Anmerkungen:
1 Werner Renz, Mediale Missgriffe – Fritz Bauer im Dokumentarfilm, 2010, Einsicht 04.
2 Michael Greve, Amnestierung von NS-Gehilfen – eine Panne?, Kritische Justiz 2000, H 3, S. 412-424.
3 Monika Frommel, Taktische Jurisprudenz – die verdeckte Amnestie von NS-Schreibtischtätern und die Nachwirkung der damaligen Rechtsprechung bis heute, 2011, Festschrift für Hubert Rottleutner.