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Manfred Schröder
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich bin schon immer oder sagen wir seit CARRIE ein Fan dieses Schriftstellers, der als Meister des Horrors gilt und doch von Leidenschaften und Erlebnissen erzählt, die viele von uns kennen. Viele? Die Meisten. Ach was, alle. Eigentlich scheue ich Kurzgeschichten, denn kaum hat man sich mit einem Menschen und seiner Geschichte beschäftigt, ist die Erzählung schon wieder zu Ende. Hier werden zwölf Geschichten erzählt, die eint, daß die Protagonisten mit dem Autor gealtert sind und von der Altersperspektive her Ereignisse aus dem Leben, auch dem Leben der Eltern wiedererinnern.
In der ersten Geschichte habe ich mich so verloren, daß ich beschloß, jetzt erst einmal die eine Erzählungen wie einen Roman zu lesen, denn sie sind nicht kurz diese 12 Geschichten auf 736 Seiten. Da bleibt viel Raum für richtiges tiefes Erzählen und dabei sein. Die erste Geschichte ZWEI BEGNADETE BURSCHEN habe ich mir dreimal angehört. Ich dachte zuerst, ich hätte etwas ausgelassen, denn die Geschichte ist anspruchsvoll und man muß genau hinhören und auch die Untertöne vernehmen, mit denen erzählt wird. Hier spricht der Sohn, der Ich-Erzähler hat seinen Vater Laird Carmody mit 90 Jahren begraben. Der Vater war reich, ist aber erst spät so reich geworden. Und das hängt mit seinem Freund Butch zusammen, mit dem er in Castle Rock/Maine einen Schrottplatz betrieb. Die beiden waren begeisterte Jäger und von einem Ausflug in den späten Siebzigern kommen sie aufgewühlt, ja völlig verstört nach Hause zurück.
Doch wirken die Erlebnisse wie ein Motor, denn das Leben beider veränderte sich rasant, erzählt der Sohn. Sein Vater wurde aus dem Stand ein richtig berühmter Schriftsteller und sein Freund reüssierte als Bildender Künstler. Was damals passiert ist, hat des Erzählers Vater in einem Heft niedergeschrieben, das er versteckt hielt und das der Sohn nach dem Tod auch tatsächlich findet. Demnach hatten die beiden im Wald eine übersinnliche Erfahrung, eine Begegnung der dritten Art, die sich durch Lichtspiele am Himmel manifestierten. Wissen heute junge Leute noch, was das bedeutet. Eine Begegnung der dritten Art? Für die Siebziger, wo die Geschichte spielt und z. B. Stanislaw Lem mit Recht ein hochgerühmter Autor war, gilt, daß dies jeder als Begegnung mit Außerirdischen bezeichnete, ob nun Ufos oder Wesen.
Wir hören das, wie gesagt einmal, zweimal, auch dreimal und können uns keinen Reim machen darauf, ob wir hier vergackeiert werden oder die Suggestion der beiden Männer, die von diesen leuchtenden Flugobjekten erfaßt wurden, sie zu kreativen Menschen machte. Auf jeden Fall bleibt beim Hören etwas Unheimliches zurück, was im Widerspruch zur ruhigen Lesung von David Nathan steht.
Nein, wir können jetzt nicht alle zwölf Geschichten wiedergeben, wollen nur darauf hinweisen, daß sie einen lange beschäftigen und daß beispielsweise KLAPPERSCHLANGEN so lang ist, wie sonst kürzere Romane! In dieser Erzählung greift King auf manches zurück, was man aus seinem Werk kennt. Auch hier gibt es den Icherzähler, den 72jährigen Vic Trenton. Seine Frau ist gerade gestorben, er ist bei einem früheren Geschäftspartner zu Gast, wo er auf eine alte Frau mit einem Kinderwagen stößt. Der Wagen ist leer, ein Zwillingswagen, aber es liegen in ihm die Kleidung der Kleinkinder, zwei Buben...Die gab es mal. Sie starben, daher der Titel Klapperschlangen. Warum der leere Kinderwagen für Vic die Hölle bedeutet, hat mit dem Verlust seines Kindes zu tun, was vor Jahrzehnten von King in Cuja niedergeschrieben wurde, was man weiß, wenn man das Buch gelesen hatte. Unheimlich das Ganze. Und todtraurig auch.
Was einem King wie ein richtiger Psychoanalytiker nahebringt, ist, mit den Gespenstern der Vergangenheit selber aufzuräumen, damit diese nicht in unser Leben pfuschen. Aber gleichzeitig vermitteln seine Erzählungen auch, wie unendlich schwer, ja schwierig das wird, mit der eigenen Vergangenheit aufzuräumen, zu bereuen, wiedergutzumachen, wo es geht und sonst eben Frieden schließen. Auch mit sich selbst.
Und dann kommt noch der Hammer mit Danny Coughlin, dem King sogar 225 Seiten widmet: DANNY COUGHLINS BÖSER TRAUM, doch dessen Schicksal berühren wir jetzt nicht, aber geben den Hinweis, daß es um Alkohol geht, um Alkoholismus, Mißbrauch, Sucht und was daraus wird. Warum King darüber so viel weiß und immer wieder darüber schreibt, hat mit ihm selbst zu tun, was er immer wieder öffentlich darlegte und wie schwer es war, aus der Alkoholsucht herauszufinden und wieder zu einem eigenständigen Menschen zu werden.
Das ist keine rationale Abhandlung, sondern eine irreale Welt, in der Danny Coughlin nicht untergehen will und in dem sein Traum zum Albtraum wird, aus dem er einen Weg, einen Ausweg finden muß.
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Stephen Kind, Ihr wollt es dunkler, MP3 3 Audio-CDs, Laufzeit über 22 Stunden, gelesen von David Nathan, Deutsch, Random House Audio 2024
Hinweis:
Die Redaktion hatte aufgeräumt, was heißt aufgeräumt, es wurde renoviert, eigentlich saniert und dazu gehörte, den Bestand an Büchern, CDs und DVDs zu sichten, zu ordnen und da kam die Idee auf, das eine oder die andere doch noch mal zu besprechen und so zu aktualisieren, wo wir doch alle ständig mit Neuem beschäftigt sind und Altes leicht vergessen, wobei als 'alt' ja schon das bezeichnet wird, was von gestern ist.
Es geht schlicht um das Wiedererinnern, Wiedererkennen von Büchern, Filmen und CDs, die einfach in Kürze vorgestellt werden, damit sie nicht aus der Welt sind. Die ganze Redaktion will sich beteiligen und diese Serie gemeinsam tragen. Die Redaktion