„Der Fall Collini“ von Ferdinand von Schirach als Buch (Piper) und Hörbuch (Osterwold audio), Teil 2

Hans Weißhaar

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –  Für Nichtjuristen interessant wird nun vom bewährten alten Anwalt, der im Namen der Familie Nebenkläger ist,  im Prozeß also sein Gegner ist, dem jungen Kollegen geraten, in diesem Beruf nie seinen persönlichen Bedürfnissen zu folgen, sondern strikt nur den Interessen seines Mandanten zu entsprechen. Das allein sei die nötige professionelle Haltung. Also kommt es mit dieser Besetzung zum Prozeß, der dramaturgisch höchst filigran immer wieder in die Irre führt – mal scheint der alte Anwalt, mal der junge als der Gewinner -, bis die Bombe am Schluß platzt.


Und obwohl es uns juckt, den Schluß nicht zu beschreiben, weil die Spannung aufrecht erhalten wird, hoffen wir doch, daß bei der Beschreibung der politischen Sachverhalte es  nun neue Leser geben wird, die aus genau diesen Gründen das Buch jetzt lesen und das Hörbuch hören. Uns war das übrigens wieder einmal eine lehrreiche Erfahrung, wieviel fundierter wir den Inhalt  aufnahmen, durch Lesen und Hören.

Nun wollen wir Cellinis Geheimnis bis Aufdeckung durch Leser und Hörer wahren. Also auch das Geheimnis, was  hinter dem sauberen und hochgeehrten und beliebten Hans Meyer an geschichtlichen Abgründen sich auftut. Warum aber Collini tätig werden mußte, ergibt sich aus folgendem: 1968 passiert ein in der deutschen Rechtsgeschichte kaum glaublicher Vorgang. Nach langen Jahren der Diskussion von Verjährung von NS-Verbrechen, wurde in dem Gesetz vom 1.10. 1968 „Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz (EGOWIG)“ von der Fachwelt zunächst unentdeckt die bisher als Mordgehilfen qualifizierten Nazi-Täter lediglich zu Totschlägern herabgestuft.

Die Konsequenz dieses „juristischen Kunstgriffes“ war, daß deren Taten als Totschlag gewertet und damit verjährt waren. Der Verfasser dieses Gesetzes, Eduard Dreher, war während des Krieges Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck und forderte für banalste Vergehen die Todesstrafe. Nach dem Kriege wurde er ungehindert Leiter der Abteilung Strafrecht im Bundesjustizministerium und schrieb zusammen mit Kollegen den bis heute maßgeblichen Kommentar zum Strafgesetzbuch. In dieser Eigenschaft hatte er das vorgenannte Gesetz formuliert und ausgenutzt, daß die gesamte Bundesrepublik Deutschland auf die Studentenbewegung starrte und von niemandem bemerkt, alle Gesetzgebungsorgane diesem Gesetz zustimmten. Da gleichzeitig rechtlich gilt, daß die bewirkte Verjährung nicht wieder aufgehoben werden kann und die Taten endgültig straffrei bleiben, ist es zum vorliegenden „Fall Collini“ gekommen, der auf wahren Begebenheiten beruht.

Obwohl wir die Studentenbewegtung aktiv begleiteten, obwohl wir als Schüler den Auschwitzprozeß in Frankfurt besuchten, obwohl wir uns immer als Antifaschist fühlten und Geschichte studiert hatten, obwohl wir alle Aufarbeitungen der Nazi-Verbrechen begrüßen, die immer wieder neu – wie diesmal –  etwas bisher Unbekanntes aufgreifen und verfolgen,  hatten wir von dieser Ungeheuerlichkeit noch nichts mitbekommen und sind dem Autor Ferdinand von Schirach dankbar, daß er dieses juristisch-politische Verbrechen von 1968 in der Bundesrepublik offenlegt.


Ferdinand von Schirach, Der Fall Collini, Piper Verlag 2011
Ferdinand von Schirach, Der Fall Collini, gelesen von Burghart Klaußner, Osterwold audio
www.piper.de
www.osterwold-audio.de