Carlo Lucarelli stellt beim Harbour-Front-Festival seinen neuen Thriller vor

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Die Hafen-City in Hamburg galt lange Zeit als größte Baustelle der Republik, wurde inzwischen weitgehend fertiggestellt, und selbst die als zukünftiges neues Wahrzeichen der Hansestadt ausgerufene, doch als verplant geltende "Elbphilharmonie", ist inzwischen schon in ihrem Umriss erkennbar.

 

In drei Jahren sollen dort auch die ersten Konzerte stattfinden, was eventuell bedeutet, man wird eher an den Start gehen, als der ebenso durch Fehlplanung immer noch verzögerte neue Berliner Flughafen, um einen naheliegenden Vergleich zu bringen.

 

Schön ist diese Hafen-City nicht gerade geworden, vor allem atmosphärisch fehlt es an fast allem, was ein längeres Verweilen ratsam erscheinen lässt. Zumal man im Norden mitunter recht strenge Winde kennt, und der Herbst hat bereits begonnen. Doch das Licht hier hat durchaus seinen Reiz, wie zum Beispiel gestern Abend, als der italienische Journalist und Krimiautor Carlo Lucarelli sein aktuelles Buch vorstellte. "Bestie" ist der deutsche Titel, und er spielt in Italien oder genauer in der Stadt Bologna, und sie stellte Lucarelli im Gespräch, nicht jedoch in seinem Buch, als besonders schön dar. Sie ist also auch Ort seiner Krimihandlung, was heißt, es passieren scheußliche Morde, und die aufzuklären, ist gewissermaßen schon aus ästhetischen Gründen geraten.

 

"Harbour-Front-Festival" nennt Hamburg sein allherbstliches Literaturfestival, was knackig klingt und ein wenig international auch. Man will groß herauskommen in Hamburg. Jedenfalls ist man bei dieser Bezeichnung ohne Reue unterwegs. Anders etwa als beim hiesigen Flughafen, den man "Hamburg-Airport" taufte, um dann aber, einem Beschluss der Bürgerschaft, des hiesigen Parlaments, folgend, etwas verschämt in Klammern "Flughafen" darunter zu schreiben. Natürlich hätte sich auch ein anderer Name für diese literarischen Veranstaltungen denken können, aber wenn man andererseits bedenkt, dass Hamburg sich stets auf seine anglophile Note beruft, ist ein Lehnwort aus dem Englischen nachvollziehbar.

 

Das Festival gibt es jetzt seit sechs Jahren, und die drei Wochen kurz vor der Frankfurter Buchmesse sind günstig gewählt. Die Veranstaltung mit Lucarelli fand in der neueröffneten KühneLogistics University, "The Klu", statt, und die liegt in der Straße Großer Grasbrook. Das wiederum deutet darauf hin, auf welch eher morastigem Untergrund dieser neue Stadtteil errichtet wird. Und bei Mooren lässt sich schließlich auch an Kapitalverbrechen denken.

 

Bologna ist in Deutschland hauptsächlich als alte Universitätsstadt bekannt. Vor Jahren verübten Terroristen einen fürchterlichen Anschlag auf dem dortigen Hauptbahnhof, im Jahr 1980. In einem Schließfach hatten sie einen Sprengsatz versteckt und der riss 85 Personen in den Tod. Bis heute gilt die Täterschaft als nicht eindeutig geklärt, obschon zwei Männer einer neofaschischten Gruppe zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Später, während des Gesprächs zwischen dem Autor und der Moderatorin Stephanie Neu, Professorin für Romanistik in Mannheim, die Lucarelli schon mehrere Jahre kennt und ins Deutsche übersetzen kann, wird der Autor eine sehr gewagte These vortragen. Er wird nämlich die jahrelangen terroristischen Umtriebe (etwa der "Roten Brigarden") als "organisierte Äußerungen der allgemeinen Wut seines Landes" zuordnen, was stimmen mag, aber sich ein deutscher Schriftsteller in Bezug auf die RAF kaum herausnehmen dürfte.

 

Ganz zu Beginn der Veranstaltung betritt Lucarelli allein den Raum, ein wenig unschlüssig, und stellt sich hin, während er die Reihen des Hörsaals hochsieht. Keiner erkennt ihn, und also kommt kein Beifall auf. Mag sein, die fast eisige Raumtemperatur hat uns alle eingefroren, doch bald treten ein paar weitere Personen in den Raum, zwei Herren, zwei Damen, sie beleben die Szene. Die Herren sind ein Abgesandter des Festivals und ein Vertreter des italienischen Kulturinstituts. Begrüßung und einleitende Worte. Und Vorstellen der Damen: der Professorin Neu und der Schauspielerin Annalena Schmidt (Tatort Ludwigshafen), die die deutsche Übersetzung lesen wird. Und natürlich der Hauptperson: Lucarelli.

 

Nun also wärmender Applaus, und nun beginnt die Buchvorstellung. Es ist immer schwer, eine Auswahl zu treffen, wenn man ein Buch vorstellen möchte. Ganz gelungen scheint mir die Auswahl nicht, denn sie vernachlässigt, wie ich finde, die größte Stärke der "Bestie". Sie steckt in der Figur der Ermittlerin. Sicher, einen guten Plot zu kreieren, ist nicht ganz einfach. Und der Plot ist einwandfrei und äußerst packend. Doch einen Kommissar, beziehungsweise eine Kommissarin zu schaffen, die sich dermaßen einprägt, ist literarisch ein großer Wurf.

 

Annalena Schmidt liest übrigens sehr gekonnt, wobei eben jene Szene ihr am dichtesten gelingt, in der Ermittlerin Grazia Negro einen weiteren Ermittler, einen Carabiniero, kennenlernen wird. - Besonders gelungen ist auch die Eingangsszene des Buches: Wir begegnen dem Opfer, ohne es schon zu wissen, der sich darüber ärgert, daß sein Fahrrad das einzige ist, welches von der Polizei vom unerlaubten Ruheplatz nicht entfernt wird. Warum? Er gehört zu einer berühmten Mafia-Familie. Das macht Lucarelli gekonnt: Er reißt den Leser gleich hinein in seine Geschichte.

 

Inwieweit die Handlung typisch italienisch ist, weiß ich nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass die zahlreiche Leserschaft seines Landes den Stoff als der Wirklichkeit entsprechend empfand. Was gibt es Gefährlicheres als lange unterdrückte Wut?

 

Info: Carlo Lucarelli: "Bestie", Folio Verlag, ca 270 Seiten, inklusiv schlüssigem Anhang