Verleihung des Illustrationspreises für Kinder- und Jugendbücher 2014 im Frankfurter Römer

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mythen, Märchen, Parabeln und Metaphysik - säkular gedacht - , das sind immerwährende Folien für das kindliche Verstehen und Begreifen. Wir wollen aber über die „Verleihung einer Kinder-und Jugendbuch Illustration mit Text“ hinaus auch selbst eine Besprechung und Interpretation des Gewinners „Die Regeln des Sommers“, Shaun Tan, Aladin Verlag, September 2014 vorlegen. Die Redaktion

 

 Propädeutik

 

Dies ist die erste Besprechung eines Kinder- oder Jugendbuchs durch den Rezensenten. Mein Verhältnis zum Kinderbuch ist nicht unterentwickelt, es gibt praktische Erfahrungen, wenn auch schon einige Zeit zurückliegend. Das Kinderbuch jedoch als ein solches hatte der Rezensent noch nicht allzu sehr bedacht. Nur schien ihm schon immer klar zu sein, dass Kinderbücher eben von Erwachsenen für Kinder gemacht werden, wobei es hierbei darauf ankommt, auf welche Weise Erwachsene Kinder sehen - oder sehen möchten -, was sie für Kinder als gut und richtig ansehen und wie sie Kinder eventuell auch prägen wollen. Auch spielt mit, was Erwachsene meinen, wie Kinder sie selbst sehen.

 

Kriterium für eine Beurteilung kann nicht allein das exquisit Gemachte sein, es ist nicht der alleinige Maßstab für ein Werk. Künstlerisch gelungene, hochwertige Ausführung, schön und gut. Aber es stecken auch Gedanken und Ideen dahinter. Dies erfordert einen bedächtigen Hintergrunddiskurs.

 

Indessen, ein womöglich kleinliches Herangehen des Kritikers ist unangebracht, ein stiefmütterliches oder altkluges Richten und Rechten. Kunst ist nicht „justiziabel“, sie gehört einer Sphäre künstlerischer Autonomie an, die so etwas wie eine Privatsphäre des Werks in der Regel zu Recht beansprucht und diese ist zu achten.

 

Zudem will Kunst für Kinder, zumal ein Kinderbuch, auch pädagogisch wirken, möglicherweise – obwohl gut gemeint – auch Einfluss nehmen. Dann schaut es schon kritischer aus, denn dann kann Kunst willentlich ihre Autonomie selbst ankratzen.

 

Es wäre zu trennen zwischen der einerseits formalen Ästhetik eines Werks als Kinderbuch und andererseits dem was womöglich leicht ideologisch, zu absichtsvoll, allzu gewollt, gar religiös oder dezidiert weltanschaulich hinzu gebracht und eingeschmuggelt wird. Denn Kinderbuchliteratur ist immer auch pädagogische Literatur, durchaus auch nicht zu Unrecht. Nur wie das der Fall ist, das ist auch hier die Frage. Ob wir sie beantworten können oder wollen, sollte dahingestellt bleiben. Eine Besprechung kann auch offen lassen.

 

 

Das Werk

 

Der 12. Illustrationspreis für Kinder- und Jugendbücher des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) ging dieses Mal an den Australier Shaun Tan mit seinem aktuellen Werk 'Die Regeln des Sommers' . Das Werk besticht, man würde es gern einem Kind vorlesen und schauen, wie es darauf reagiert, es ist ja auch interpretierbar, das Kind kann selbst in dieser oder jener Weise seinen Assoziationen nachgehen. Das ist für Kinder eine zentrale Erfahrung. Interessant wäre, zu bemerken, ob die Affirmation oder das Widersprechen gegen eine Tendenz des Werks überwiegt oder ob es in Balance bleibt.

 

Das Buch enthält 28 gemalte Momente von festgehaltenen Szenen. Sie bannen Stationen des Durchgangs durch Problemgebiete und Problemaugenblicke, ganz ähnlich wie in der Odyssee, in der die Bewährung und das Erfassen des angemessenen Reagierens und Verhaltens gefordert ist. Alles andere könnte sehr schädlich oder gar tödlich sein.

 

Gefahren liegen in der Luft. Prüfungen müssen bestanden werden. Immer wieder, so auch in den Ferien, denen auch diese spielerisch zu bewältigende Funktion zukommt. Es finden sich fünf Bilder des Zerfalls der Welt. Das gälte dann dem absolut Drohenden, dem Endzeitlichen, das kaum mehr rückgängig zu machen wäre, wenn es denn passiert ist. Es kann auch durch ein Fehlverhalten des Einzelnen verursacht werden. Im vorliegenden Buch ist es das Treten auf eine Schnecke. Also, Moral: kleine Anlässe, große Wirkung.

 

Dem Rezensenten geht vornehmlich die spartanische, reduzierte, einfache Ausführung der einzelnen Konstellationen nahe. Diese Formeigenschaft wird in den Beurteilungen als das Surreale vermerkt. Die Reduktion der Gegenstände und Flächen, gar der beiden Jungen, korreliert mit der differenzierten Ausführung der Gemäldestriche. Beides dürfte Kinder im Innern anrühren. Die Malerei mildert das eventuell Furchterregende dann auch wieder ein wenig. Das kann besänftigend sein für Kinder.

 

So ist Einschlafen der vom Lesen betroffenen Kinder wieder besser möglich. Der Schlaf kann bearbeiten, wenn auch nicht wirklich restlos lösen.

 

Metaphysische, grundsätzliche Hintergrundproblematik des Bandes (Format 27,5 x 30,5) ist das Verhältnis zwischen dem Erstgeborenen und dem Nachgeborenen. Der Ältere hat so etwas wie eine selbstverständliche Übermacht, der Jüngere zieht nach oder bleibt zurück. Aber dem Jüngeren kann auch geholfen werden, wie es geschieht. Der Ältere hält zudem den Jüngeren zurück, er ermahnt, nicht alles Ungute kann er verhindern. Denken wir an Familien mit mehreren Kindern, so wissen wir längst schon, wie Reibungen mit Rivalitäten zwischen den Familienmitgliedern unausbleiblich programmiert sind. Auch das ist ein Stück nicht nur geschriebener Mythologie.

 

Das Werk hängt sich an die Regelvermittlungen der Mythologien an. Schwierigkeiten kommen immer, Verstrickung ist schwer zu verhindern, herauszufinden ist fast immer, wie eine Situation – auch des Konflikts - zu bewältigen ist, was ist möglich, was geht und was geht nicht, weil die schon von der Basis her relativ fest eingerichtete Welt nun mal ein Gebilde der Endlichkeit und Beschränkung ist, sei sie nun eingebaut oder verhängt.

 

Leser oder Leserinnen dürften ein jeweils zentrales Motiv im Buch für sich finden. Im Fall des hier Besprechenden ist es die Szene mit den adlerähnlichen Vogelköpfen in vollrichterlicher Montur, die streng wie mit Argusaugen, bis in den Hintergrund gestaffelt, darüber wachen, dass der kleine Bruder bloß nicht die letzte Olive vom Tisch des Banketts grabscht. Der große Bruder versucht den kleinen im letzten Moment zurückzuhalten. Wäre das nicht etwas wie aus der Realität eines streng hierarchisch, sozial geschiedenen Landes genommen? Möglich ist an diesem Punkt nun zweierlei: Affirmation oder Dagegen-Angehen.

 

Noch einmal daran zu erinnern ist, dass das Werk ein Seismograph für die Verfallszustände, für die düsteren Seiten der Welt ist, so wie es einige Doppel-Seiten andeuten.

 

 

INFO:

 

Für den Preis hatten sich in diesem Jahr 72 Verlage mit 199 Büchern beworben,

 

Begrüßung 1: Stadtkämmerer Uwe Becker

Begrüßung 2: Arnd Brummer, Publizistischer Vorstand des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik

 

Film: Literarisches Kinderquartett der Buchhandlung „Sternschnuppe“ aus Hannover

 

Bericht aus der Jury: Joachim Schmidt, Bundesverband Evangelischer Ausbildungsstätten

 

Die Laudatio hielt Tomaso Carnetto, Direktor der Frankfurter Akademie für Kommunikation und Design.

 

Der Preis wurde im Kaisersaal des Frankfurter Römers an Klaus Humann, den Verleger im Aladin Verlag übergeben.

 

Der Preisträger übermittelte dem Publikum der Preisverleihung eine Videobotschaft

 

Musik: LaCapella nuova & junior, Bruremarsij fan Gudbrandsdalen

 

 

Die Preisverleihung bildet zugleich den Auftakt zur Ausstellung „Kindheitsräume. Kindheitsträume“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt, die am 26. September 2014 um 19 Uhr eröffnet wird.

 

 

Shaun Tan, „Die Regeln des Sommers“, Aladin Verlag, Hamburg, September 2014

ISBN 978-3-8489-0010-7