Hörbücher vom Hörverlag der Langen Liste zum Deutschen Buchpreis 2014 , Teil 12

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ob das eine Strategie des Hörverlags ist, Autoren selber lesen zu lassen? Wir vermuten: nein. Es ergab sich so. Beim FEST kam der Hessische Rundfunk dazu, aber bei KÖHLMEIER ist der Name schon Programm für Lesefeste. Das wissen die Österreicher all zumal.

 

Dort ist der Name MICHAEL KÖHLMEIER Kult. Warum? Weil er über viele Jahre, Jahrzehnte im Rundfunk die hungrigen Ohren fütterte mit Wissen über die antiken Götterverwicklungen, die er so lebensnah und komisch und doch würdevoll gerecht präsentierte, daß es Hörer gegeben haben soll, nein, Hörerinnen, um genau zu sein, die sich in seine einschmeichelnde Stimme so verliebt hatten, daß ihnen völlig egal war, was er las, nur, daß er las.

 

Der in Vorarlberg geborene Michael Köhlmeier ist im Deutschen Literaturpreis schon eine feste Größe. Sein ABENDLAND - wie immer in seinem Hausverlag, bei Hanser, erschienen, vielleicht gibt’s auch davon eine Hörversion, damals kümmerten wir uns nur um feste Bücher - gehörte zu den letzten Sechs des Buchpreises 2007 und wir hätten ihm damals den Buchpreis zugesprochen. Ein wundervoll in die Tiefe von Freundschaft, Geschichte und Wissenschaft gehender Roman. Auch DIE ABENTEUER DES JOEL SPAZIERER nimmt einen mit auf die Reise in die Vergangenheit, die einem Ritt über den Bodensee gleicht. Immer passieren nämlich in erst einmal harmlosem Ambiente die unglaublichsten Sachen.

 

Was nun ZWEI HERREN AM STRAND angeht, haben wir uns in das Buch verliebt, nicht in den Sprecher, so ordentlich der Autor seine Lesestunden auch macht. Die Grundidee ist es, die uns erst so amüsiert, dann gefangengenommen hat, daß wir ihr schließlich erlegen sind: das Spiel mit der Fiktion und der Wirklichkeit, ausgerechnet am Beispiel von zwei Menschen, deren Gemeinsamkeit darin bestand, im Alter von sechs Jahren sich heftige Gedanken über den Selbstmord zu machen. Charlie Chaplin und Winston Churchill. Daß sich später im Verlauf noch ein Dritter dazugesellt, der ebenfalls mit sechs Jahren den Selbstmord thematisierte, wird angeführt, dann aber nicht weiter ausgeführt, was sicher damit zusammenhängt, als es sich laut Autor um Adolf Hitler gehandelt hat.

 

Alleine dessen unerkanntes Zusammentreffen mit Churchill in München in einer Männertoilette - wobei Hitler die offiziell geplante Zusammenkunft absagen ließ, er sei nicht in München, aber daß der Mann gewohnheitsmäßig log, wissen wir Heutigen eh – ist slapstickreif, wie überhaupt beim Hören sich die Bilder im Kopf verselbständigen und man ständig das Gehörte als Film vor sich sieht. Man kennt ja das Konterfei des behäbigen Winston Churchill (1874-1965), von dessen Person zwei Tatsachen überlebt haben: „No sports“ soll er auf die Frage nach seinem hohen Alter geantwortet haben und als Kriegssieger ist er von den Briten bei der nächsten Wahl als Premier abgewählt worden, aus demokratischen Gründen, wozu er sagte: „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“

 

Von Charlie Chaplin wissen wir viel mehr, viel stärker sind seine Bilder in unserem Kopf, aber wenn nun Köhlmeier über eine raffinierte Konstruktion: sein eigener Vater traf einst den Privatsekretär von Churchill, hatte mit diesem eine ausführliche Briefkorrespondenz, auf die der Sohn nach dessen Tod trifft, wo all die Dinge verifiziert werden, die schon im letzten Buch über Charlie Chaplin durch einen deutschen Journalisten, das von Chaplin als das Beste über ihn ausdrücklich belobigt wurde, wenn also nun Köhlmeier im bekanntesten Komiker der Welt, im Clown den Melancholiker entdeckt, so haut uns das nicht so um. Denn daß die Komischsten eigentlich die Traurigsten sind, ist eine Binsenweisheit, daß aber der politische Superstratege Winston Churchill derjenige war, den den SCHWARZEN HUND anfallartig erlitt, in Form von tiefen Depressionen, die den Tod als Erlösung erhofften, das war uns neu, so wie auch das Zusammentreffen beider seit den 30er Jahren, Treffen, die vor allem dann stattfanden, wenn einer in Nöten, sprich vom Schwarzen Hund bedroht war.

 

Nachdem wir atemlos, mal lachend, mal triefend vor Mitgefühl, der Geschichte der beiden Helden lauschten, mit denen das ganze 20. Jahrhundert, zumindest dessen erste Hälfte, vor uns aufscheint und wir ob all der Tatsachen, wie der Entstehung des Hitlerfilms, der Kinoprominenten, der politischen Intrigen um Churchill und auch durch ihn selbst, voller Hochachtung vor dem Wissen des Autors staunten, wollten wir uns auf den Weg machen, diese Biographie über Chaplin zu besorgen und das Buch mit den Briefen von Churchills Privatsekretär zu besorgen. So sehr hat uns Köhlmeier die beiden Melancholiker - deren heftigste Gemeinsamkeit außer der Depression darin bestand, Hitler zu entlarven und ihn zu besiegen, was gelang - zusammengebunden nahe gebracht. Doch mitten im größten Interesse, da dachten wir: nein. Die Wirklichkeit kann nicht so spannend sein, wie sie Michael Köhlmeier in ZWEI HERREN AM STRAND uns zukommen läßt. Eindeutig lassen wir hier die Literatur leben und sagen jeglichem schnöden Vergleich mit dem Leben und seinen angeblichen Tatsachen, Recherchen und Fakten: Lebwohl.

 

Muß man noch ein Wort mehr sagen. Wir finden dieses Hörbuch aus dem Hörverlag unvergleichlich gut. So gut, daß wir diesmal das Buch dazu aus dem Hanser Verlag gar nicht in die Hand nahmen. Dieser Roman ist für die Hörfassung geradezu ideal geeignet, zumal der Autor selber spricht, siehe oben. KAUFEN. HÖREN.

 

 

INFO:

 

Saša Stanišić, Vor dem Fest, ungekürzte Lesung, 6 CD, Laufzeit ca. 7 h 30 min. gelesen vom Autor, Produktion Hessischer Rundfunk/Der Hörverlag 2014

 

Michael Köhlmeier, Zwei Herren am Strand, ungekürzte Lesung, 7 CD, Laufzeit ca. 8 h 40 min., gelesen vom Autor, Produktion Hörverlag 2014

 

 

Drei Artikel zum Vorstellen der letzten sechs Autoren und ihrer Bücher zum Deutschen Buchpreis im Literaturhaus Frankfurt

 

 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3565-vorstellen-und-lesen-der-finalisten-im-literaturhaus-frankfurt

 

 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3566-im-literaturhaus-frankfurt-steinfest-leutenegger-kluessendorf

 

 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3567-im-literaturhaus-frankfurt-hettche-melle-seiler