IMG 5573 Kopie"Nichtjüdisch Verfolgte der NS-Zeit im Landkreis Schlüchtern“

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) – Karlheinz Schaldach (74), pensionierter Oberstudienrat des Schüchterner Hutten-Gymnasiums, hat im Selbstverlag ein neues Buch herausgegeben. Darin untersucht er anschaulich und bewegend, wie die Nationalsozialisten im Altkreis Schlüchtern nichtjüdische „Gegner“ des Regimes terrorisierten.


Die Ereignisse nach der Machtergreifung der Nazis fanden nicht nur im fernen Berlin, Kassel oder Frankfurt statt, sondern vor unseren Haustüren. Polizeiliche Durchsuchungen und Verhaftungen in den Steinauer Dreiturm-Werken. Verfolgte Kommunisten, die angeblich den Kinzig-Tunnel sprengen wollten. Drangsalierte wurden in Gefängnisse nach Steinau, Schlüchtern oder Schwarzenfels gebracht.

Viele ehemalige Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums kennen Schaldach als Lehrer, der ihnen die Geheimnisse von Physik und Mathematik nahebrachte. Dass er auch Geschichte der Naturwissenschaften studiert hat und Bücher schrieb, etwa über die Historie der Sonnenuhren, ist kaum bekannt. Ihn interessierten bei diesen Untersuchungen neben den naturwissenschaftlichen Aspekten vor allem die Bedeutung der Instrumente für die Menschen, die sie schufen oder mit ihnen Umgang hatten.

„Geschichte hat mit Menschen zu tun und so wie man auf den Menschen blickt, betreibt man auch historische Forschung“, sagt Schaldach. Darum ist auch die Kluft zwischen Sonnenuhren und Naziopfern nicht so weit, wie es zunächst scheint. Eigentlich strebte er nach dem Studium eine wissenschaftliche Karriere an und wollte gerne Studenten unterrichten. Doch wie er schmunzelnd erzählt, wurde daraus nichts, weil er lieber nach Griechenland und in andere Länder reiste. Diese Reiselust stand einer akademischen Karriere im Wege. So wurde er Gymnasiallehrer, um junge Menschen für die Schönheit der Mathematik zu begeistern. Er verfasste in der Freizeit zahlreiche Untersuchungen, insgesamt schrieb er sieben Bücher und zahllose Artikel für Fachzeitschriften.

Nach der Pensionierung intensivierte er seine Forschung. Dabei begann er, sich auch mit regionalen Themen zu befassen. Ein erstes Buch handelte von dem Umgang mit den Revolutionsflüchtlingen im Hochstift Fulda. Eine Geschichte der von den Nazis verfolgten jüdischen Opfer im Kreis war ihm zu umfangreich und so wandte er sich deshalb dem Thema der nichtjüdisch Verfolgten in der Region zu.

Mit seinem neuen Werk legt er eine Heimatkunde der besonderen Art vor: Einerseits sind alle dramatischen Ereignisse und traurigen Geschichten eindeutig durch Archivmaterial historisch belegt. Andererseits steht er engagiert und einfühlsam auf der Seite der betroffenen Menschen. Er entreißt ihre Schicksale dem Vergessen – dadurch kann er u. a. auch Beiträge zu den Stolpersteinverlegungen des Heimat- und Geschichtsvereins Schlüchtern leisten. Ein aktuelles Beispiel ist die von den Nazis 1944 verfolgte und ermordete Sinti-Familie Wagner. Aufgrund seiner Recherchen können am 23. Oktober 2025 Stolpersteine für sie verlegt werden.

DAS BUCH

Nichtjüdisch VerfolgteBevor er sich darin den 80 Opfern widmet, skizziert er den historischen Hintergrund – die „Verfolgungsebenen“ – von 1933 bis 1945. Im Anschluss recherchierte er, wie übel die Nazi-Opfer im Nachkriegsdeutschland behandelt wurden.
Dann werden in chronologischer Reihenfolge die Verhaftungen und Leidensgeschichten erzählt. Beginnend mit den Schlüchterner Kommunisten im März 1933 bis zur Verhaftung von „Halbjuden“ im Oktober 1944.
Sein Buch überwältigt uns nicht, denn es changiert zwischen historischer Genauigkeit und erzählerischer Einfühlung in die verfolgten Menschen. Schaldach ist kein kalter, distanzierter Wissenschaftler, sondern engagierter Forscher. Von den Nazis wurden nicht nur politisch aktive Menschen der KPD, SPD usw. verfolgt, sondern auch Sinti, Christen, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und angeblich „asoziale“ Menschen. 

„Zu den Letzten, die sich der NS-Staat vornahm, gehörten die Unangepassten, Menschen, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden waren, ihre Impulse nicht im Griff hatten und aneckten, weil sie sich im Recht fühlten, aber auch Verzweifelte, die an den Verhältnissen litten und vom Staat in den Wahn oder womöglich in den Selbstmord getrieben wurden. Wenn sie, die von der Obrigkeit für Querulanten oder Störenfriede gehalten wurden, sich nicht einordneten, sperrte man sie weg. Entsprechende Erlasse halfen, den Freiheitsentzug zu rechtfertigen“, fasst der Autor
zusammen. So wird aus seiner Untersuchung ein eindrückliches Zeugnis regionaler Erinnerungskultur.




Info:
Karlheinz Schaldach:  Nichtjüdisch Verfolgte der NS-Zeit im Landkreis Schlüchtern“, Selbstverlag 2025, broschiert, 348 Seiten.

HINWEIS
Am 2. November ab 11 Uhr stellt Karlheinz Schaldach sein Werk im Bücher-Café des Gemeindehauses der Ev. Stadtkirche St. Michael in Schlüchtern vor.