Eröffnung der Ausstellung „Kindheitsräume, Kindheitsträume“im Museum Angewandter Kunst in Frankfurt am Main
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Shaun Tan zum Zweiten. Nach der Verleihung des Illustrationspreises für Kinder- und Jugendbücher 2014 an Shaun Tan im Frankfurter Römer eine Woche zuvor, nun am 26. September im Museum: verfolgen, nachvollziehen Shaun Tans Arbeiten und Werke an ausgestellten räumlich-gegenständlichen Kunstobjekten.
Dies in Anbetracht nunmehr seiner auf der anderen Mainseite entwickelten Rolle als – völlig der Kunst gerecht –: ganz der variable Kunstarbeiter.
Neuer Aggregatzustand: drüben, am weiteren Ort nun, räumlich, was hüben – unter anderem Thema - im Flächigen angesiedelt war; hüben ätherisch auf der Buchseitenfläche, drüben nun gegenständlich-räumlich.
Der Direktor des Museums Matthias Wagner K und der Kurator Thomas Linden führten im Zuge einer Vorbesichtigung am 25. September 2014 in die Konzeption der Ausstellung, die am Folgetag eröffnet wurde, ein.
Angekündigt worden in der Rolle des verwandelten Kunst-Ichs im Museum Angewandte Kunst war Taun bereits eine Woche vorher im Frankfurter Römer. Das illustrative Prinzip aus dem Bilderband „Die Regeln des Sommers“, einem Kinderbuch, quasi als Menschwerdungstrip angelegt - um es anschaulich zu sagen -, war eine Woche später für uns verschwunden und durch ein Anderes ersetzt. Konnte er dort als Illustrator erklärt und geehrt werden, so war er hier jetzt ins Räumliche eingetreten, wie übrigens auch die anderen in der Ausstellung vertretenen Künstler. Eine gewisse Emphase schwingt in all diesem Ansinnen mit.
Die Ausstellung versteht sich in einer Abgrenzung und anschließenden Neu-(wieder) Orientierung: weg vom binären Digitalen, hin zur Visualisierung des Textuellen und Sprachlichen, also auf Öffnung hin zum Sinnlichen und Erfahrbaren. Dieses ist zwar nicht zu greifen, aber zu umkreisen, zu erschließen: in Gedanken und assoziativen Ketten, in Regungen sowohl Erwachsener wie auch der Kinder.
Impulsgebende Idee war: Bilder sollen zu Raum werden, geschriebene Märchen werden „eingedampft, geschmiedet“, so die Aussage des Kurators. Im Fall von Taun sind es die Märchen „ursprünglich“ der Brüder Grimm, in der Adaption von Philip Pullmann, die - ins Deutsche! - übersetzt daneben bereitliegen, um in sie zumindest hinein lesen zu können, was übrigens sofort sprachlich ergreift. Ergebnis der Transformation sind kleine, aber nicht zu kleine Skulpturen.
Der 3-D-“Effekt“ greift und packt auch im Fall der in Räumlichkeit - mit Gegenständen - übertragenen Texte und Illustrationen der weiteren ausgestellten Künstler.
Titel des einen Objekts: „Pop-up Ozean“, von Anouck Boisrobert und Louis Rigaud, ebenfalls aus einem vorliegenden Text und einer impliziten Illustration hervorgegangen, jedoch transformiert, umgearbeitet in Papier - groß, ausladend. Das Eismeer, von einer tatsächlichen Aussichtsplattform überschaubar, mit den Augen und Sinnen begehbar, durchwandelbar: das ergibt sich aus der Buchform mit den altbekannten, aber in bestimmter Weise umgesetzten Pop-up-Ausschneideformen (den Aufklapp-Büchern) durchaus folgerichtig.
Der 3-D-Effekt ins häusliche Interieur verlegt funktioniert ähnlich: „Papas Arme sind ein Boot“, ein reizvolles Motiv aus der kindlichen Seele, von Oyvind Torseter, 'Reproduktion einer Szene im Museum' in Papier, und mit Modellen der Probe in Schuhkasten-Vitrinen, gegenüber liegend, Vorstudien also. Motto: „Living in a Box. Aus Pappboxen werden Lieblingsräume“. (Presseinformation)
Zurück noch einmal zu den architekturgleich erstellten Vitrinen Shaun Tans. In diesen begehbaren Möbeln sind recht klein gehaltene Skulpturen wie in verborgene, abgeschiedene Kabinette mit Lichtschein auf das Motiv - die Figuren – ausgestellt, komplettiert auch mit environmentalen Gegenständen und Beiwerken. Besser aber wäre gesagt: eingestellt. Es ist zum Beschauen, zum Erkunden in eine umbaute Nische hineinzugehen – das erinnert an Grottenerkundung. Das jeweilige Märchen ist gleichzeitig über Kopfhörer zu hören, wenn man denn will.
Die künstlerisch abstrahiert gehaltenen Figuren zu den Märchen wie „Die zwei Brüder“, „Brüderchen und Schwesterchen“, „Räuberbräutigam“, Froschkönig“ und anderen strahlen exklusiv-distanziert, autark, emblematisch-figurativ aus ihrer Geborgenheit. Sie wollen den Textinhalt, die Geschichte visualisieren, aber angemessen, halb verborgen. Diese Plastiken harren der Empfindungen und Assoziationsketten von Kindern und Erwachsenen im Hinblick auf die Gestalten, für die Geschichte, für den Geist des Märchens. Auf diese Motive müsste jemand sich lesend einlassen.
Materialien der Figuren sind: Papier, lufthärtende Modelliermasse, Wachs, Farbe, Strohblumendeko.
Foto: Heinz Markert
INFO:
Die Ausstellung bietet neben öffentlichen Führungen für Kinder bzw. Erwachsene auch Workshops für Kinder ab 4 Jahren an, einen Klangworkshop (3-6 Jahre), einen Montageworkshop (5-9 Jahre), einen Keramikworkshop (5-9 Jahre), einen Einrichtworkshop (6-10 Jahre) - für eine Box, einen Trickfilmworkshop (8-12 Jahre) und einen Comic-Workshop (10-14 Jahre).
Die Ausstellung bietet einen reichen Büchertisch und eine Leselandschaft, wo auch die hier zugrunde liegenden Druckwerke zum Einsehen und Lesen bereitliegen
Anmeldung und Information: Alexandra Sender, Simone Bahr +49 69-212 73237
museumangewandtekunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main
Di 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr,
Do-So 10-18 Uhr
Tel. 069-212 38530
Zugrundeliegende Literatur:
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Philip Pullmann, Grimms Märchen, Illustrationen: Shaun, Tan, Aladin, 2013
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Anouk Boisrobert, Pop-up Ozean, Jacoby & Stuart, 2013
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Stein E. Lunde - Oyvind Torseter, Papas Arme sind ein Boot, Gerstenberg, 2010