Anläßlich des Gastlandes FINNLAND.COOL mehr über deren Kriminalromane und die Termine der Lesungen, Teil 9

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Antti Tuomainen, 1971 in Helsinki geboren, hatte mit seinem Erstling DER HEILER auch in Deutschland einen großen Erfolg. In Finnland erhielt er für seinen Polit- und Endzeitthriller 2010 den Preis als bester finnischer Kriminalroman. TODESSCHLAF hingegen schaut über seinen Hauptakteur Aleksi in die einzelnen Personen und ihre Vergangenheit hinein. Darüber wollten wir mehr wissen.

 

 

Wo sind Sie in Finnland aufgewachsen?  Wo möchten Sie leben?

 

Ich wuchs in Helsinki auf, ich lebe in Helsinki, eigentlich habe ich mein ganzes Leben hier zugebracht, abgesehen von einem Jahr in den USA und sechs Monaten in Berlin in Deutschland.



Hat Ihnen Berlin gefallen?

 

Ja, absolut gut.  



Im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen verzichten Sie auf die klassische Form des Krimis und den Einsatz eines Ermittlerteams, der sich beim Leser einprägt. Haben Sie hierfür Vorbilder in der finnischen Krimiszene oder der internationalen?

 

Ich würde sagen, daß meine frühen Einflüsse in der amerikanischen Noir Tradition der Kriminalromane liegen, wo die Handlung normalerweise um eine undurchsichtige Person kreist, die von einem Detektiv mit den sogenannten polizeilichen Ermittlungsmethoden überführt wird. Eigentlich habe ich innerhalb meines Schreibens nie wirklich die Entscheidung getroffen, auf diesen üblichen polizeilichen Krimiroman zu verzichten. Es hat sich beim Schreiben einfach so ergeben, daß es immer um eine Person gehen muß, die sich in einer verzweifelten Situation befindet, in der sie handeln und nach der Wahrheit suchen muß, oder etwas Bestimmtes tut, das sie normalerweise nicht tun würde. Ich bin an dem Handeln der Menschen interessiert, wie sie in extremen Situationen reagieren und was dann passiert. Das braucht keine polizeiliche Ermittlung.



Was sind überhaupt Ihre Lieblingsbücher und Schriftsteller, außerhalb der Krimis und bei den Krimis?

 

Dies ist eine schwierige Frage, weil die meisten Bücher, die ich lese, keine Krimis sind. Ich lese viele Gedichte, in der Literatur besonders erfundene Geschichten, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben, und Essays. Und was die Frage nach meinen Lieblingsschriftsteller angeht, ist dies ebenfalls schwer zu beantworten, weil ich stets Angst habe, jemanden auszulassen. Doch ich kann von einem Roman berichten, der einen großen Eindruck hinterließ, als ich Anfang Zwanzig war.

Es handelt sich um Louis-Ferdinand Célines Roman „Reise ans Ende der Nacht“. Ein wunderbares Buch – total verrückt. Ich weiß nicht mehr genau, worum es geht, doch es ist ein wunderschöner Roman. Es zeigte mir auf irgendeine Weise, daß der Roman als Form prinzipiell alles enthält, was ein Autor braucht. Es gibt keine Hindernisse oder Regeln. Man schreibt die Geschichte, wie man möchte. Ich habe Célines Roman seitdem nicht mehr gelesen, so daß ich nicht weiß, wie ich es heutzutage beurteilen würde. Aber seine Wirkung auf mich war ziemlich groß.

Es gibt andere Schriftsteller, deren Stilmittel ich mag. Zum Beispiel, wenn ich mich auf internationale Schriftsteller beziehe, die allen bekannt sind, fallen mir die früheren amerikanischen meisterlichen Autoren ein - darunter Samuel Dashiell Hammett. Er wird aufgrund seiner Art zu schreiben heutzutage noch als moderner Schriftsteller angesehen. Absolut interessant, weil seine ersten Werke ca. 100 Jahre alt sind.



Für Deutschland kann man Folgendes feststellen: die schöngeistige Literatur kreist fast nur um Beziehungen, meist Mann und Frau, auch Eltern und Kinder etc. Gesellschaftliche Probleme, seien sie sozialer, wirtschaftlicher, politischer Natur, finden fast nur im Krimi statt. Wie ist das in Finnland? 

 

Dies ist eine spannende Frage. Es gibt einen finnischen, schon älteren Schriftsteller, der sagt, daß Krimis innerhalb der gesamten fiktionalen Literatur ganz besonders die Möglichkeit der Diagnose der Krankheit der Zeit und das Gefühl des Schmerzes vermitteln und somit präzise dieStelle, wo es wehtut, benennen können. Das ging eine Zeitlang so, wie ich vorhin sagte: Dashiell Hammet schrieb einerseits über innergesellschaftliche Korruption, darüber, was die Leute zu seiner Zeit taten. Andererseits war der Schwerpunkt auf elitäre eheliche Probleme gesetzt – sehr spannende Themenstellungen, aber gleichzeitig konnte man damit keine wirklich durchgängigen und überzeugenden Charakterisierungen erreichen, keine echten Charaktere darstellen.

Andersherum, wenn man über die Romane von Joyce Carol Oates oder Cormac McCarthy spricht, die über die Gesellschaft schreiben, sind diese Romanhandlungen sehr heftig und stürmisch und Gewalt spielt eine große Rolle. Fortsetzung folgt.



INFO:

 

Der Autor und seine bisherigen Werke:

 

Geboren 1971, lebt Tuomainen heute mit seiner Frau in Helsinki. Früher war er als Werbetexter tätig, bis er mit seinem Erstlingswerk „ Der Heiler“ gleich einen großen Erfolg erzielte. Das Buch erschien 2010 in Finnland und wurde mit dem Preis als bester finnischer Krimi im Jahr 2010 ausgezeichnet. 2012 veröffentlichte der List Verlag das Buch auch in Deutschland, gepaart mit einer Hörversion von HörbuchHamburg. Es handelt sich um einen Polit- und Endzeit Thriller gepaart mit einer Liebesgeschichte.

 

Mit „Todesschlaf“ veröffentlicht Tuomainen jetzt seinen zweiten Krimi, der dem ersten insofern gleicht, als daß auch hier auf einen professionellen Ermittler verzichtet wird und, was den Leser im ersten Buch berührte, die Liebesgeschichte, hier ersetzt wird durch die Geschichte des Jungen, der seine Mutter durch Mord schon als Pupertierender verloren hat und deshalb erst recht an die Mutter gebunden bleibt. Dieser Roman ist sehr viel stärker auf individuelle Charaktere und ihr gegenseitiges Handeln ausgerichtet, während übergreifende gesellschaftliche oder zukünftige Geschehnisse keine Rolle spielen.

 

 

Kurz zum Inhalt vom „Heiler“

 

Helsinki, im Ausnahmezustand. Ein Irrer, der mordet und Heilsbotschaften verkündet. Eine Journalistin, die ihn stellen will. Und dabei spurlos verschwindet. Es gibt nur einen, der sie retten kann. Ihr Mann macht sich verzweifelt auf die Suche. Er würde alles für sie tun. Doch das Böse ist stärker als die Liebe.

 

 

Kurz zum Inhalt von „Todesschlaf“

 

Antti Tuomainen, erzählt in „Todesschlaf“ die Geschichte des Aleksi Merivaara, der mit 13 Jahren seiner Mutter beraubt wird, deren Schicksal trotz intensiver Bemühungen der Kriminalpolizei nie aufgeklärt werden konnte. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, herauszufinden, was an dem Tag geschah, an dem die Mutter ihr Büro verlassen hat und nicht mehr zurückgekehrt ist. Seine Erinnerungen an die Zeit vor ihrem Verschwinden tauchen in den folgenden Jahren mehr und mehr aus dem Vergessen auf und weisen ihm den Weg zu Henrik Saarinen, dem Wirtschaftsmagnaten und Geliebten seiner Mutter. Unter falschem Namen nimmt er 20 Jahre später auf Saarinens Gut eine Hausmeisterstelle an und forscht auf eigene Faust. Er deckt mehr Geheimnisse auf, als ihm lieb ist und gerät mehr als einmal in akute Lebensgefahr. Ein düsteres und spannendes Buch mit unerwarteten Wendungen.

 

Foto: Martina Ober