LITERATUR IM RÖMER. Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 15
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Jedes Jahr zur Buchmesse entsteht dieselbe Angespanntheit und Erwartung auf etwas neu Geschaffenes, Gedrucktes. Jedes Jahr ist anders, aber doch auch wieder ähnlich dem vergangenen – am Abend einer Institution., die LITERATUR IM RÖMER seit Jahrzehnten ist.
Unterschiedlichste Eindrücke und Wortfetzen lassen sich gerne mit einer offenen Gestimmtheit für Worte, Sätze und Abschnitte, vergleichbar mit denen der in der Literatur-Runde vorgelesenen, einfangen und abspeichern. Gibt es etwas Allgemeines, von Jahr zu Jahr besonders Gewolltes oder ist doch alles relativ beliebig von irgendwelchen Zeitläuften dahin gestreut, wenn auch durch das schriftstellerische Gehirn gepresst und auf diese Weise von der ursprünglichen trivialen Stelle gerückt?
Am Literaturabend im Römer wird vieles schnell gesehen, aufgefangen und gehört, es geht mehr um den Moment, der weiter gesponnen sein will an den folgenden Tagen. Verlangt das Kulturbedürfnis nach einer getexteten Seelennahrung oder ist nicht auch wieder mal Zerstreuung vom Alltäglichen wichtig? Auch das sich nebenbei Unterhalten miteinander in den Reihen der Hörenden und Sehenden ist geist-ökonomisch notwendig. Das Ballspiel der Worte kann dazu dienen, Sinne und Verstand für ein kommendes Jahr zu klären, klarer zu fassen. Wir sind also nicht so verblendet, Literatur unbedingt brauchen zu müssen, wenn wir uns zunächst ihr mit dem Anspruch auf eine geringere Distanz nähern.
1. Sabrina Janesch 'Tango für einen Hund' (Moderation: Gerwig Epkes)
Argentinien macht in Verbindung mit der Lüneburger Heide Station – Ferienaufenthalt! -, mit Ernesto und Alfons, Neffe und Onkel. Ein kameradschaftlich ferienurlaubendes Verhältnis zwischen einem Pubertierenden und einem Erwachsenen entwickelt sich, eine 'Abenteuerfahrt' in der Lüneburger Heide wird ausgebreitet. Clou: Swantje, die Moorleiche ist funktionell und sinnhaft eingebaut.
2. Lutz Seiler 'Kruso' (Moderation: Sigrid Löffler)
(der Autor ist Gewinner des deutschen Buchpreises 2014)
Ein 'Roman-Marathon', nach „Lyrik und Erzählung' (Sigrid Löffler). Spielt in Hiddensee, dem Biotop der bedingten Aussteiger, der Intellektuellen, der Gegengesellschaft während ihres schon Zerfallens. Kruso („Deutsch-Russe“) ist Herrscher der Insel, sein Pendant und Antipode Edgar, gescheiterter Student, wie es hieß; eine Beziehung entwickelt sich und geht ihren verwobenen Gang. Das Jünglingshafte, Enthusiastische prägt das Verhältnis. Um Männerfreundschaft geht es, Freiheit ist immer schon da. Der Verlust der Schwester des einen ist zu verarbeiten.
Spontaner Einfall während dieser moderierten Besprechung und Leseprobe aus dem Text war, nicht zum ersten Mal: der Schriftsteller behandelt, schafft ein - in Bezug auf sich selbst auch - nichtgetanenes Leben. Dies gilt auch für den nächsten Vertreter der Profession unter 3. Zu tun hat das mehr mit der Sprache als mit dem Inhalt.
3. Bodo Kirchhoff 'Verlangen und Melancholie' (Moderation: Gerwig Epkes)
Kirchhoff formuliert gleichsam wie musikmusikalisch gesetzt, es ist ein Genuss, den Textgang zu verfolgen, aber es ist eine herausgetretene Phantasie auch des eigenen, nicht so ganz oder nur bis zu einem gewissen Grad 'getanen' Lebens. Aber davon abgesehen, bei welchem normal Sterblichen wäre denn das so ganz anders?
'Irene hat sich umgebracht', die 'Liebe meines Lebens', goethesches Thema, Hinrich also zeitgenössischer Vertreter dieser Gattung. Es wird resümiert, zurückgeblendet, ein 'Raumschiff der Trauer' entfaltet, die unendlich-endlosen Einzelheiten in die Erinnerung gerufen. Es ist von 'unserer Wohnung' die Rede, davon, dass 'ihr Zimmer unverändert' blieb und bleibt und dass die 'Kondolenzbriefe weggeworfen' wurden.
Den Abschluss bestimmt die geheimnisvoll-unglaublich klingende Geschichte: Lebenspartner Hinrich entdeckt gemeinsam mit ihrem Sohn ein Schwarzgeld-Depot, was beide zunächst ratlos macht. Aufgehoben wird die Verunsicherung dadurch, dass der entdeckte, schöne Betrag der Kassiererin 'Suzan' zugute kommt, die ihren Job durch eine hundsgemeine innerbetriebliche Entscheidung verlieren soll.
4. Robert Seethaler, 'Ein ganzes Leben' (Moderation: Sigrid Löffler)
Die Geschichte eines 'Alpenaussenseiters'. Leben und Schicksal auf 150 Seiten verdichtet.
Der Autor vermeidet jede 'Akrobatik' (Sigrid Löffler). Die „Furcht erregende Stille“ im einem Lebenslauf, schwierig zugebracht im Dorf, ist Dreh-und Angelpunkt fürs Erzählen. Er sieht, wie man sich Gedanken über ihn macht, wie getuschelt wird - er ist eben behindert - , böse Blicke fallen ohnedies auf ihn, der als Kind herumgestoßen wurde. Marie, seine Frau, starb in einem Lawinenunglück, aber er ist immer der Standhafte und Gleichbleibende geblieben - der er immer war.
Die nahe am Existenziellen verfasste Biographie wird 'Buch des Trostes' für den Schreibenden auch und die, die sie beim Lesen erreicht. Es ist eine Schrift von 'arm' sein und dennoch 'in Würde' leben. Sie spielt in der ersten Republik Österreichs, in der ersten Jahrhunderthälfte.
Der Schriftsteller, bereits schon ganz oben gelistet, kommt ohne Schreibmarketing aus, ohne 'Effekte', er ist ein Unaufgeregter, ein schlicht Daherkommender. Darauf wies Sigrid Löffler hin. Er ist auch schriftstellerisch und mental nicht mit Jellinek und Bernhard im Biotop der Alpenrepublik verbunden. Fortsetzung folgt.
INFO:
Literatur im Römer 2014
20.00 Uhr (Einlass um 19.15 Uhr), in den Römerhallen, Römerberg 23, 60311 Frankfurt – Eintritt frei!
MITTWOCH, 8. OKTOBER
Sabrina Janesch "Tango für einen Hund"
Lutz Seiler "Kruso"
Bodo Kirchhoff "Verlangen und Melancholie"
Robert Seethaler "Ein ganzes Leben"
Sherko Fatah "Der letzte Ort"
Reiner Stach "Kafka: Die frühen Jahre"
Artur Becker "Sieben Tage mit Lidia"
Olga Grjasnowa "Die juristische Unschärfe einer Ehe"
Moderation: Sigrid Löffler, Gerwig Epkes (SWR 2)