Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 28
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein angenehmer Gesprächspartner ist Dietrich Grönemeyer. Das merkt man sofort. Offen, zugewandt, auch an Argumenten anderer interessiert, und ohne Missionseifer von seiner Sache überzeugt, die ja Sache aller vernünftigen Menschen ist. Wir haben den spannenden Film gesehen, die lehrreichen Bücher gelesen und finden das alles überzeugend.
Claudia Schulmerich: Was bringt der Film über das Buch hinaus?
Dietrich Grönemeyer: Also, in dem Film sind ja Bilder und Bilder gehen bekanntlich sofort ins Gehirn, man muß nicht viel erklären, sie erklären sich von selbst, und man nimmt nebenher auch Wissen mit. Zum Beispiel Wissen um die Wirbelsäure, zum Beispiel, wie das mit den Killerzellen funktioniert oder sonst was, was auf der rasenden Fahrt durch den Körper des 'Korponauten' Nano beim 'Bodynauten' im Film auch gezeigt wird. Aber es ist kein Buch. Das Buch, die Bücher, die ich geschrieben habe, die geben ja viel mehr, die vertiefen Themen, die zeigen auch, wie ist der Rücken, wie ist er aufgebaut. Was gibt es für Rückenschmerzen, wie funktioniert das Herz, was ist ein Anti-Pups Tee, wie kann ich mir selbst mit Kräutern helfen, bevor ich mit Antibiotika behandelt werden muß, überhaupt oder wie funktioniert ein Kernspin- oder Röntgengerät. Der Film macht Appetit auf mehr; er schafft es eigentlich, die Kinder zu faszinieren: vom Menschen, von menschlicher Existenz, auch von der Medizin. Jetzt können daraufhin Lehrer vor allem in Schulen weiter machen, weil diese Bücher auch wirklich pädagogisch entwickelte Unterlagen zum genußvollen und lehrreichen Unterricht sind. Gleichzeitig werden die Eltern viel lernen und mit den Kindern ins Gespräch kommen.
Im Film wird man mitgerissen von der Fahrt, die Nano erst mal höchst olympiareif auf seinem Skateboard beginnt und die dann mit dem Mini-U-Boot- oder ist es ein Raumschiff oder beides – durch Opas Körper weitergeht, wo dann erfolgreich Killerzellen und anderes Böse bekämpft werden. Spannend und es macht einen glücklich. Aber, anders als in Ihrem Buch, gibt es im Film keinen Wegweiser, kein Schaubild, wo wir uns im Körper genau befinden, das heißt keine Abbildung vom Menschen, wo ich diese Szene wiederfinde. Im Buch zum Film auch nicht.
In den bisherigen Büchern gab es zunächst Mal all dies Anschauungsmaterial, das ist alles dort sehr ausführlich, im Buch zum Kinofilm gibt es das nicht. Im Buch zum Kinofilm gibt es nochmal die Story an sich, das ausführliche Material, all die Schaubilder, gibt es dann in den Büchern zum kleinen Medicus. Der kleine Medicus ist dort ausgiebig vertieft und es gibt die entsprechenden, auch anatomischen Zeichnungen dazu und im Film haben wir - für Nano und Lilly in ihrer Kapsel deutlich sichtbar - auf dem Monitor im U-Boot immer die Wirbelsäule oder die Organe im Bild angegeben. Das ist im Cockpit, wenn Nano durch den Körper saust, und dann spreche ich ja als Computerstimme und sage, „noch so und so viele Minuten“ oder „da befinden wir uns“. Da sieht man aber nur die Ausschnitte vom Darm oder vom Gehirn oder von der Wirbelsäule auf dem Cockpit selbst.
Sie bauen also darauf, daß nach dem Film die Leute sich das Buch angucken, das richtige Buch.
Das Buch, das Filmbuch, dann das richtige Buch mit den Abbildungen, wir haben aber auch für spezielle, vom Filmverleih organisierte Grundschul-Kinobesuche Materialien zum Film, die Lehrer dann in ihrem Unterricht nutzen können Ein sogenanntes Pädagogisches Begleitheft, das kommen wird; didaktisch passiert da noch mehr.
Sie haben ja schon zur Entstehung des kleinen Medicus etwas gesagt. Auch, wenn Sie das schon xmal...Nach Ihrer Idee mit dem kleinen Medicus, was hat sich daraus ergeben: also die Geschichte von der Geschichte vom kleinen Medicus? Wie sich das weiterentwickelt hat.
Der kleine Medicus ist ja am Anfang durch Zufall geschrumpft, wird dann immer mehr – weil er ja Arzt werden will, weil er davon immer geträumt hat – wird dann immer mehr fasziniert von Körpern und von der Medizin, was im Film und in den Büchern sehr deutlich wird. Im zweiten Band wird er dann Assistent von Doktor X. Der ernennt ihn schon in jungen Jahren zum kleinen Assistenzarzt, so daß er Doktor X. unseren Nano dann auch sportmedizinisch begleitet; wir lernen so, was ist ein Leistenbruch, wie funktioniert das Knie, was ist, wenn eine Sehne gerissen ist, ein Muskelfaserriß oder solche Dinge mehr, was im Sport immer passiert und jeden interessiert. Du lernst eben auch eine Menge übers Gehirn kennen, wie man sich freut, wo das Lernen stattfindet und – er verliebt sich. Er verliebt sich im zweiten Band, das ist ganz rührend, auf der einen Seite, auf der anderen Seite...
Aber im Film verliebt er sich doch auch schon?
Ja, im Film. Aber in den Büchern verliebt er sich erst im zweiten Band und im zweiten Band macht er sich auch Gedanken über die Menschen auf der Welt und die Religionen, daß jeder Mensch anders glaubt, aber trotzdem alle eigentlich gleich sind und letztendlich Gleiches fühlen, gleich und einzigartig in einem. Das wird im zweiten Band entwickelt. Und es gibt dort phantastische Reisen, beispielsweise durch die Gletscher des Knies, das Knie ist so schön, der Knorpel, der sich auf einmal bewegt und wie die Wände auf den kleinen Medicus zukommen und der denkt, Mensch, er wird gleich erdrückt und flups, flutscht er mit seinem U-Boot durch.
Die medizinische Sprache kommt generell aus dem Lateinischen, der Nano aus dem Griechischen...Medicus, Nano! Aber bodynauten, bodyscam und so weiter ?
Ja, das kommt vom Film. Die Filmleute meinten, wir müßten uns annähern, bei den ersten Werken habe ich sie ja Korponauten genannt, dann hat sich das erweitert in die heutige Zeit. Damals gab es große Handys, noch kein iPad und solche Sachen. Heute sind wir zehn Jahre weiter und deshalb 'bodynauten', weil die Sprache der Welt immer mehr Anglizismen hat und deswegen ist dann aus Korponauten 'bodynauten' geworden. Es meint das Gleiche.
Mikrotisierung, Mikrotherapie, ich kenne aus eigener Erfahrung die Mikrochirurgie, was hat es damit auf sich?
Na ja, die Faszination, mit kleinen Dingen Großes zu erreichen! Ich bin von Hause aus Mikrotherapeut, habe die Mikrotherapie entwickelt, nutze Computer- und Kernspintomografie, um in den Körper hineinzugucken und führe jetzt kleine Sonden ein, die sind bei mir heute 0,1 bis 2,5 Millimeter, mit denen operiere ich Bandscheiben, mit denen behandele ich Krebs, mit denen gehen wir ins Hüftgelenk und dieser Gedanke der Mikrotherapie hat sich dann im Buch weiterentwickelt in die Mikrotisierung, daß ich auf einmal große Dinge – also dieses Glas hier – auf einmal ganz klein machen kann durch einen Schrumpfungsprozeß...
Auf Deutsch! Wunderbar. Ich habe mich so gefreut, welch irres Wort: schrumpfen. Sie haben die Macht, Wörter zu finden und auch zu erfinden....
Mikrotisierung gibt es ja als Begriff gar nicht, das ist ja eine Neuschöpfung. Ich dachte, wenn ich schrumpfen schreibe, das ist eine Miniaturisierung, wobei die Mikrotisierung eben wissenschaftlich klingen soll.
Man versteht das sofort, weil die Endung 'ung' im Deutschen immer den Vorgang, den Prozeß beschreibt.
Mikrotisation wäre der Zustand, Mikrotisieren und Mikrotisierung der Prozeß.
Was wäre etwas, was Sie gerne noch sagen wollen, wonach ich nicht gefragt hatte?
Ich plädiere ja für den Gesundheitsunterricht in den Schulen, damit die Kinder schlauer werden als sie es sind. Wir haben ja von den Müttern und Großmüttern viel gelernt. Meine Großmutter hat mir eine Menge beigebracht, aber in den Schulen findet Krankheitslehre überhaupt nicht statt. Deswegen habe ich gesagt, Gesundheitslehre muß in die Schulen, damit wir präventiver werden, damit wir Krankheiten verhindern lernen und das ist für jeden einzelnen Menschen wesentlich. Wenn die kleinen Menschen nicht sehr früh Selbstverantwortung und Selbstvertrauen lernen, erleben sie nicht das Gefühl, von dem Paracelsus spricht: „Oh Mensch, Du bist der wahre Arzt! Die Ärzte, die anderen Menschen sind nur Deine Gehilfen“. Lernen sie aber ihren Körper kennen, dann lernen die Kinder schon sehr früh, auf ihn, auf sich zu hören, auf die Verbindung von Körper und Seele, nicht nur darauf einzugehen, sondern sie zu nutzen, also Haltungen ändern, um beispielsweise innerlich Freude zu bekommen, sich bewegen, deswegen eine Stunde Sport an jedem Tag für jedes Kind – was ich ja empfehle – Bewegung und Sport, um den Stoffwechsel zu aktivieren, um gegen die Volkskrankheiten frühzeitig anzugehen.
Wenn das bei den Kleinen passiert, dann wird das Gesundheitswesen entlastet. Dann haben wir eine andere Welt, aber auch eine andere Welt in Bezug auf: wenn ich mich liebe, als Kind lerne, mich zu lieben, dann bin ich auch offener dem anderen gegenüber, gehe ganz anders auf ihn zu und kann aus dem 'ich' und 'du' ein 'wir'-Gefühl in der Welt entwickeln und vermitteln.
Ein schöner Schluß.
P.S.
Nano, auf Griechisch Nannos, heißt Zwerg. Wenn Sie dies Wort in eine Suchmaschine eingeben, werden Sie vielfach fündig. Für uns wichtig ist Nano als Teil einer Maßeinheit des milliardsten Teils sowie als Nanoteilchen (Nanowissenschaft, Nanotechnologie). Grundsätzlich steht Nano, nano für Kleines, das groß rauskommt. Im ersten Buch ist Nano noch die Kurzform von Nanolino, aber im Film heißt er nur noch Nano. Nano hat sich also durchgesetzt.
'Korponaut' ist Nano noch im ersten Buch, wenn er seine Entdeckungsreisen durch den Körper unternimmt. Damit ist Dietrich Grönemeyer ein schöner Begriff gelungen, denn unser deutscher Begriff Körper entstammt dem lateinischen corpus. Das ist ja noch eindeutig. Schillernd wird es mit dem 'Nauten'. Wir kennen die Zusammensetzung von Astronaut und Kosmonaut. Heute weiß kaum einer mehr, daß Ersteres die Bezeichnung für Weltraumfahrer aus dem politischen Westen, Zweiteres für jenseits des Eisernen Vorhangs galt. Übrigens werden die beiden Begriffe für Raumfahrer bis heute in der gleichen Funktion verwendet.
Sprachlich steckt im 'nautes' der griechische Begriff für Seefahrer, auch Matrose. Der griechische 'Kosmos' ist unser Weltall und und 'Astron' bedeutet auf Griechisch Stern.
Nanos Korponaut ist also dasselbe wie sein filmischer 'bodynaut'.
Zum Schluß:
Wir hatten das Gespräch mit Dietrich Grönemeyer mit einer ganz anderen, für uns aktuellen Frage begonnen, die hier zumindest abgedruckt werden soll, weil die Antwort vielleicht auch für andere hilfreich ist.
Erst einmal Danke für die Aufklärung auf Seite 310 Ihres DER KLEINE MEDICUS über das Dreitagefieber bei Kleinkindern. Davon hörte ich diese Woche in der Verfilmung der sozialkritischen Krimis von Sjöwal/Wahlöös KOMMISSAR Beck, als dieser menschliche Kommissar seinen Enkel ob seines Fiebers so diagnostiziert – und am Schluss auch Recht behält, der Junge muß in die Klinik und wird gesund. Eine Herpes-Virus-Erkrankung. Ich kenne Leute, die immer wieder diese häßlichen Herpesbläschen haben. Hatten die das Fieber nicht und hatte ich es, weil ich nie Herpes habe?
Herpes hat ja ganz verschiedene Ausprägungen, die Windpocken ist eine Herpes-Erkrankung, die Herpes-Zoster ist eine andere Erkrankung des Herpes und das Dreitagefieber auch. Das Virus hat verschiedene Formen der Ausprägung, aber vor allem verschiedene Gattungen. Das ist wichtig, und wenn man das weiß, geht man auch anders damit mit um; das Dreitagefieber kommt und geht in der Regel. Wenn die Immunsituation schlechter ist, kann es natürlich auch schlimmer werden und beim normalen Herpes gibt es eigentlich wenig Hilfsmitteln, die man selbst durchführen könnte. Natürlich antivirale Mittel, die es so gibt. Aber auf der anderen Seite kann man Zahnpasta drauf tröpfeln.
INFO: NEU IM Herbst 2014
FILM von Peter Claridge, Der kleine Medicus. Bodynauten auf geheimer Mission im Körper, mit den Stimmen von Christiane Paul, Bernhard Hoecker, Malte Arkona, Sebastian Fitzer u.a. auch Dietrich Grönemeyer
Kinostart: 30. Oktober
www.der-kleine-medicus-film.de
Dietrich Grönemeyer, Der kleine Medicus, überarbeitete Neuasugabe, Umschlagmotiv Noemi Merkle unter Verwendung des Filmdiesigns, 320 Seiten, Dressler Verlag 2014, schon erschienen
Dietrich Grönemeyer, Die neuen Abenteuer des kleinen Medicus, Umschlagmotiv Noemi Merkle unter Verwendung des Filmdesigns, Dressler Verlag 2014, Erscheinungsdatum 30. Oktober
Dietrich Grönemeyer, Der Kleine Medicus – Das Buch zum Kinofilm, Novelization des Drehbuchs mit vielen farbigen Filmbildern, Dressler Verlag 2014, schon erschienen
Dietrich Grönemeyer, Der kleine Medicus. Hörspiel ab 8 Jahre, 2 CDs, Dressler Verlag 2014, schon erschienen
Dietrich Grönemeyer, Der kleine Medicus – Das Original-Hörspiel zum Kinofilm, 1 CD, mit Christiane Paul, Bernhard Hoecker u.a., Dressler Verlag 2014,schon erschienen
Foto: Ulla Micheline