Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 31
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - So geht es im Leben und auch auf der Buchmesse. Man will das eine und heraus kommt etwas ganz anders. Hier wollten wir am schönen großen Stand von Peru in der Halle 5.1 etwas über peruanische Leser, Autoren, Verlage hören – und dann waren wir schnurstracks in ein Gespräch verwickelt.
Claudia Schulmerich: Eigentlich wollte ich über den peruanischen Buchhandel etwas erfahren.Aber das kann ich nachher fragen, ich habe nämlich eben der Vorstellung Ihres Buches von der ersten Botschafterin Amerikas zugehört. Das finde ich faszinierend. Was ist das für ein Buch?
Ernesto Pinto-Bazurco Rittler: Ich finde, dass es keine Buchhandlung gibt, wenn keine Bücher vorhanden sind. Und ebenfalls keine Bücher, wenn die Autoren abwesend sind. Deswegen habe ich mir erlaubt, mein Buch hier auf der Frankfurter Buchmesse vorzustellen. Mein Buch ist ein historischer Roman und es ist aus dem Grund interessant, weil es die erste Reise vom Kolumbus, die Taten von Francisco Pizarro sowie von Ferdinand Magellan behandelt. Alles Ereignisse, die zum Allgemeinwissen gehören.
Doch es handelt hauptsächlich davon, daß die erste Entdeckungsreise vom amerikanischen Kontinent aus, schon im 16. Jahrhundert durchgeführt wurde – und noch dazu von einer Frau! Diese Frau war eine Peruanerin, sie ist aufgrund der damaligen Verhältnisse leider in Vergessenheit geraten – mit voller Absicht, meiner Meinung nach. Zu der Zeit wollten die Spanier keine Konkurrenz haben und sie war eine klare Konkurrentin. Sie hatte ganz einfach andere Methoden im Umgang mit Menschen. Sie war keine Kämpferin, es ging nicht um Sieg, sie wollte mit der von Peru aus entdeckten Bevölkerungen sprechen, sie wollte verhandeln. Dies hat sie auch gemacht, daher der Titel des Buches: „Die erste Botschafterin aus Amerika“. Der Name der Dame war Isabel Barreto.
Ich möchte gerne wissen, was für eine Frau war sie? Wo kam sie in Peru her oder aus welcher Familie entstammte sie? Wie ist sie groß geworden? Wie waren die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse, daß eine Frau das machen konnte.
Man hat mich schon öfter gefragt, weswegen ich über sie geschrieben habe, vor allem, weshalb ich mich mit dem Thema so gut auskenne. Sie war eine Mestizin aus der ersten Generation, das, was man generell Mischling nennt, für Peru heißt das, die Eltern sind sowohl weiß wie auch indigen, sowie ich es auch bin. Ich habe eine deutsche Mutter und einen peruanischen Vater. Ich glaube, daß alle Mestizen irgendwann andere Wege suchen - sie haben eine andere Einstellung zur Außenwelt. Meine Heldin Isabel wollte zunächst nach China, sie dachte, wenn die Inkas eine Vereinbarung mit den Mächten in China schließen, würde man eine Art Gleichgewicht mit den Spaniern erreichen. Doch dieses Vorhaben war nicht einfach umzusetzen, erstens hat man Geld und noch dazu eine Lizenz gebraucht. Sie war damals 26 Jahre alt und wie es eine moderne Frau machen würde, hat sie einen Marquis geheiratet, um ihr Vorhaben verwirklichen zu können.
Also, es war schon damals so?
Genau, damals war es auch so, Frauen haben immer diesen Instinkt gehabt, wie man den Richtigen findet. Nach der Hochzeit und vor der Reise hat sie vorsichtshalber, etwas, das auch modern ist, ein Testament von ihm unterschreiben lassen, das besagte, daß sie alles erbt, wenn ihm etwas passiert. Dies war natürlich wichtig und auch notwendig, der Marquis war in etwa 60 Jahre alt und sie war viel jünger als er. Tatsächlich ist sie nach dem Tod des Marquis offiziell Kommandantin und Admiralin der spanischen Expedition geworden. Dies hat sie in Schwierigkeiten gebracht, zu einem bestimmten Punkt der Expedition glaubte man nämlich, man sei in China angelandet, doch waren sie auf der Insel Luzon eingetroffen, welche vom spanischen König Philipp II. schon entdeckt worden war. Der spanische Gouverneur vor Ort wußte nicht ,was er sich unter der Erscheinung dieser Frau vorstellen sollte. Sie kam mit einer spanischen Flotte und verfügte über einen offiziellen Titel. Er schrieb also einen Brief an Philipp II., welcher übrigens vor zehn Jahren das Thema eines spanischen Buches wurde,und fragte, was man mit der Frau machen sollte. Darauf antwortete der König in einem geschickten Satz: „Heirate die Dame einfach“.
Jetzt würde ich gerne zu Ihnen mehr wissen. Sie sind in München geboren? Sind Sie Deutscher oder Peruaner ?
Ich habe nur die peruanische Staatsangehörigkeit, in der Zeit nach dem Krieg, galten in Westdeutschland noch die alten Gesetze der Nazi-Zeit. So hatte meine Mutter ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil sie einen Peruaner geheiratet hatte. Nach einiger Zeit hat sie ihre Staatsangehörigkeit später wieder erhalten. So ist sie zum Beispiel in der Deutschen Bibliothek als Exil- Autorin registriert, einfach, weil sie später in Peru lebte. Sie ist vor einem Jahr gestorben, sie verfaßte zwei Bücher, die unter anderen von der deutschen Kriegszeit und welche Schwierigkeiten sie bekam, mit einem Peruaner zusammenzuleben, handeln.
So hat sie in der Kriegszeit hier gelebt?
Richtig und sie hatte einen Peruaner geheiratet, etwas das verboten war. Sie konnte erst erst 1946offiziell heiraten. In einem dieser Bücher gibt es ein offizielles Dokument der damaligen Regierung, in dem wirklich steht, daß es ihr komplett untersagt ist, einen Peruaner zu heiraten. Man hat neulich in Peru einen Dokumentarfilm über das Leben meiner Eltern gedreht. Diese Geschichte stellt dar, wie eine Deutsche zur Peruanerin geworden ist. Es war eine Zeit, in der man sich seine eigene Freiheit auf eigene Faust gewinnen, ja basteln mußte. Mein Vater hatte als Arzt in Deutschland eine konsularische Tätigkeit ausgeübt. Doch in dieser Zeit hatte man dann aus Kriegsgründen die offiziellen Beziehungen unterbrochen. Er hatte damals vielen Juden geholfen, er konnte Dokumente ausstellen, besonders Atteste wegen seiner Position als Arzt.
Das erinnert mich an meine Familie, an meine Großmutter. Sie hat als Österreicherin 1912 einen Russen aus Petersburg geheiratet und ist zur Geburt meiner Mutter mit ihrem Mann nach Wien gekommen. Als das Baby reisefähig war, brach der Erste Weltkrieg aus. Problem: die Russen waren die Feinde. Aber Mutter und Kind waren, obwohl Wienerinnen, durch die Heirat Russinnen, was für die Versorgung, sprich Lebensmittelkarten fatal war. Russen bekamen keine, Russen wurden überwacht. Der Großvater kam ins Gefängnis, starb dort schnell.
Diese Geschichte müssen Sie aufschreiben, Sie müssen sie erzählen. Die Leute können sich nicht vorstellen, wie schwierig das damals war und was alles passierte. Mein Vater war mehrere Monate in Gefangenschaft, er mußte, kann man sagen, fast mit dem Leben bezahlen, eine deutsche Frau zu lieben. Die Geschichte hat man jetzt zusammengefaßt in einem Buch, für das wir gerade einen deutschen Verlag suchen, der es übersetzen und das Buch herausbringen will.
Um so besser, wenn wir jetzt darüber schreiben, so wird das Buch auch hier bekannt.
Das ist ein Buch, das derzeit auch deshalb wichtig ist, weil es die Geschichte einer Migration ist, wie Leute sich durchkämpfen mußten. Die hatten keine Hilfe von der Regierung und Gesetzen, die Menschen haben das aus eigener Kraft geschafft, daß sich dann die Regeln änderten.
Es ist schon erstaunlich und auch erstaunlich, daß wir als Emigrantenkinder sozusagen uns hier treffen.
Das ist mir wirklich ein Vergnügen. Emigranten verstehen sich wirklich immer besser. Ich habe diese öffentliche Funktion vielleicht auch deshalb. Zurück zu meinem Buch. Die Geschichte von dieser Mestizin, dieser Frau aus dem 16. Jahrhundert, hat darum auch den Titel „Die erste Botschafterin von Amerika“ ; in den Geschichtsbüchern gibt es kaum Möglichkeiten, die Motivation der Menschen der Vergangenheit zu schildern, darum habe ich das als Roman geschrieben. Es gibt interessante Sachverhalte, den diese Mestizinnenwaren früher unterdrückt, die Frauen sind dann zurückgekommen als Freiheitsheldinnen, da hat man sie gewissermaßen gezwungen, ins Kloster zu gehen.
Aber Isabel hatte ja geerbt, von ihrem Mann!
Jein, sie hat geerbt, aber sie hat ja ein zweites Mal geheiratet. Der zweite Mann hat davon profitiert, aber sie ist in Einsamkeit gestorben. Das Interessante ist, daß wir aus derselben Zeit, in der sie vereinsamt gestorben ist, eine Figur kennen, die hieß Santa Rosa di Lima, eine Heilige, die in Peru, ja in ganz Amerika sehr gefeiert wird. Diese Person ist völlig konträr zu Isabel. Ihre Persönlichkeit ist eine ganz andere. Die Spanier wollten genau so etwas als Muster haben, eine ganz brave Frau, die nie aus dem Kloster rausgegangen ist, nie versucht hat, jemanden zu heiraten, nie eine Reise gewagt hat, stattdessen immer alle Gesetze brav befolgt hat, das war das Modell, was man gesucht hat. Die Isabel hat man quasi in die Wüste geschickt und eine Frau wie Santa Rosa großgeschrieben.
Wenn Sie sagen „man“, meinen Sie auch Mann!
Das haben Sie richtig interpretiert. Sie sind wirklich eine feine Journalistin.Die Santa Rosa hieß mit bürgerlichem Namen übrigens auch Isabel. Das macht die Geschichte noch deutlicher. Sie, überhaupt Journalisten, können Sachen sagen und interpretieren, die ein Diplomat normalerweise nicht sagt. Ich muß nämlich dazu sagen, daß ich von Beruf Botschafter bin und dies mein zweiter Roman ist.
Richtig Botschafter?
Ja.
Richtig Botschafter, der in Berlin?
Nein, nein, ich bin im Moment Botschafter im Auswärtigen Amt in Lima, ich war Botschafter bei der UNO, ich war Botschafter in Rumänien und jetzt leite ich eine Beratungsstelle als Botschafter im Auswärtigen Amt – bis Ende des Monats. Danach werde ich Generalkonsul in München.
In München? Gab es nicht das Generalkonsulat hier, in Offenbach?
Vor 30 Jahren habe ich das Konsulat in Frankfurt am Roßmarkt eröffnet, das ist dann nach Offenbach umgezogen und jetzt sind wir weiter umgezogen nach München, weil der Süden wichtiger geworden ist, vor allem Baden-Württemberg.
Gibt es etwas, was Sie gerne von mir gefragt worden wären.
Ja, fragen Sie mich, wieso ich auf die Idee komme, ein Buch über eine Frau, die berühmt sein wollte zu schreiben.
Gerne, also?
Ich glaube, wir sind in einer Zeit angekommen, wo die Frauen eine größere Rolle spielen. Man muß diese neue Rolle auch bewerten durch die Geschichte, was Frauen nämlich schon früher gemacht haben, also zeigen, daß die Frauen auch früher schon wichtige Rollen gespielt haben, und dies jetzt dank der Kommunikation und dank guter Journalisten bekannter geworden ist. Aber: es gab immer tolle Frauen.
Das wäre ein schönes Schlußwort. Aber : Es gab ja vor allem im Mittelalter diese tollen Frauen und wir müssen uns fragen, warum ist die Bedeutung von Frauen, je moderner die Zeiten wurden, desto geringer geachtet worden? Da ist für Deutschland das 19. Jahrhundert ausschlaggebend, denn aus den Großfamilien sind Kleinfamilien in kleinen Wohnungen geworden. Da mußte die Mutter zur Kinderaufsicht und -erziehung zu Hause bleiben und die Kinder versorgen. Und in dem Moment, wo sie aus dem Erwerbsleben ausschied, war sie als Frau in der Öffentlichkeit verschwunden.
Das ist gerade die Geschichte von meiner Mutter. Sie hat angefangen zu arbeiten, als wir schon in der Universität waren und interessanterweise hat sie uns in die Uni begleitet und gesagt: „Jetzt darf ich auch in die Uni gehen“ und war bei uns Mitstudentin. Sie hat angefangen zu schreiben, als sie schon 80 geworden war. Sie hat gesagt, ich darf jetzt meine Zeit nützen und jetzt auch meine Meinung sagen. Es hat lange gedauert, weil das früher nicht akzeptiert war.
INFO I:
Was Ernesto Pinto-Bazurco Rittler am Ende des Gesprächs über sich selber sagt:
Geboren 1946, gleich nach dem Krieg, als Peruaner in München. Der erste Blick, den ich auf die Stadt geworfen habe,führte zur Frage: Wer hat sie zerstört? Dann habe ich erfahren, daß eigentlich offiziell das Land meines Vater verfeindet war mit dem Land meiner Mutter. Da habe ich mich gefragt, wieso: meine Eltern lieben sich so, warum kann das sein, daß die Regierungen die Liebe nicht erlauben.In den Fünfzigern sind wir dann nach Peru gegangen. Da war ich vier, fünf Jahre alt. In Peru haben wir im Urwald gelebt, weil mein Vater Forschungen gemacht hat über Heilpflanzen im Amazonasgebiet. Er war Naturmediziner und ist über hundertjährig vor ein paar Monaten gestorben. Ich habe im Leben sehr gute Erfahrungen gemacht, bin aber 42 Mal umgezogen.
Ich habe einmal mit Mario Vargas Llosa, meinem Landsmann, ein interessantes Gespräch gehabt. Wir haben bei Konstanz den Bodensee auf der Fähre überquert. Dort hat er mir erzählt, er habe gerade gezählt, wie oft er umgezogen ist: 33 Mal. Da habe ich ihm sagen können, das ist bei mir ein bißchen mehr. Der Umzug nach München wird der 43. sein.
Sechs Jahre Uno, 1973 und 1980, für Deutschland eine wichtige Zeit, da 1974 die Bundesrepublik Deutschland, ja beide deutsche Staaten, in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden, deshalb habe ich jetzt auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. In China auch. Ich habe schon als Kind gewußt, ich werde einmal peruanischer Botschafter. In echt. Und wurde es. Das beweist, daß die Kinder, die nach dem Krieg geboren sind, geeignet als Diplomaten sind, weil sie sich einsetzen für den Frieden. Das ist auch meine Geschichte.
INFO II:
Ernesto Pinto-Bazurco Rittler, Isabel De Los Mares, Primera Embajadora de América“, Verlag Titanium 2014, Lima Peru - 390 Seiten – Historisches Roman
Foto: Georgina Caballero