Ein wahres Monument von Bildband von Taschen bildet ein Overview-Protokoll der ewigen Rotzlümmel ab, Teil 2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Bildband – kein passender Ausdruck eigentlich– ist ein Super-Foliant enormsten Ausmaßes. Er liegt schwer auf den Oberschenkeln. Für den Tisch ist er zu groß und zu schwer. Er hat das Format 50 mal 50 und birgt über 500 Seiten. Entscheidend sind die Gesichter der Musiker, die Posituren auch, die sie einnehmen und die der Selbstinszenierung dienen.
Während wir Teil 1 dem Gruppen-Phänomen widmeten, geht es jetzt um den Folitanten selbst. Alle, die die Fotos machten, haben sie von Anfang an im Sinne der selbstverständlichen Gesamtkunstwerksidee arrangiert. Aber die Mitglieder der Gruppe sind auch einzeln fotogen, sie wissen um ihren Rang und propagieren ihn, bzw. das, was er entzünden will (ein Ungefähres, in die Zukunft Offenes). Ihre Inszenierungen waren nicht nur situativ, sondern entsprachen einem gesetzten Muster.
Der Band hat drei Partien:
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Act one: Time is in on my Side (1962 - 1969)
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Act two: Wild Horses (1969 - 1978)
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Act three: Mixed Emotions (1978 - präsent)
Er beginnt mit: Ladies and Gentlemen... The Rolling Stones!
Act One
Die Sechziger Jahre waren eine Explosion an Formen, Farben und Ideen. So auch im Populärmusikalischen, angestoßen durch die Vorlagen der afro-amerikanischen Musiker. Die Vorlagen bekamen eine neue Wende. Es wurde zugespitzt, bisherige Grenzen wurden niedergerissen.
Von dem Fotografen Guy Wenster stammen die Aufnahmen mit der körnigen Struktur, die aus dem eigenen Erleben der Zeit mit am stärksten haften geblieben sind. Mit einer gewollten Unschärfe auch versehen. Von den Beatles gibt es Vergleichbares.
Die Fotos können in einem Zusammenhang mit den augenblicklichen veristischen Skulpturen, die im Frankfurter Liebigmuseum zu sehen sind, betrachtet werden. Gesichter; Haut und was sie abbildet, auch in ihren Furchen, ist entscheidend. Daraus folgt, dass Gesicht und Hautoberfläche das primäre Organ des Menschen darstellen. Es ist Organ zur Außenwelt.
Die Rolling Stones gaben sich anfangs nach innen gekehrt, reserviert, ergrimmt, jedoch nicht grimmig. Das ausdrücklich Grimmige ist den Metalern heutiger Tage vorbehalten (es ist eine andere Zeit). Die 60er waren verheißungsvoll, enthielten ein Versprechen auf ein besseres Zeitalter. Das ist passé. Unsere Gattung scheint zurückzufallen. Genügend Vorkommnisse belegen es. Typisch für die Erinnerung ist die Aufnahme der Fünf zwischen den Eisenplatten und der Brüstung, verwendet auch für die Zusammenstellung von: 'december`s children' (1966) - sie erscheinen zwischen dem Eisen wie eingeklemmt).
Die Aufnahmen von Bent Rej zeigen die Gruppe intim, auch in Sfumato, etwas jünger wirkend als sie waren, mit einem Anhauch von Flaum. Stets ist der Ausdruck des Eine-Mission-Habens, einen Kulturauftrag Vertreten, in die Gesichter geschrieben.
Jerry Schatzberg macht Fotos, die nichts dazugetan oder weggelassen haben, sie zeigen ein bisschen also doch auch das Allerweltsmäßige einer Supergruppe. Bei Linda McCartney lassen sich innere Vorgänge, Bewegungen erahnen, das Ausdrucksmoment ist vergleichsweise stärker.
'Beggars Banquet' (1968) wirft seine Schatten bzw. Glanzlichter voraus mit dem verwegen-eleganten Gepose der fünf mimenden 'Taugenichtse' in den Aufnahmen von Michael Joseph. Terry O`Neill zeigt sie grimmig und abstoßend, dieses Element gehörte ureigenst zum Gepräge aber der 'Pretty Things', die den Rolling Stones das Wasser reichen konnten, extremer waren. Sie „zerspielten amerikanische Rhythm & Blues-Vorlagen mit einer Brutalität, dass die Rolling Stones neben ihnen 'wie die sprichwörtliche Teegesellschaft im Pfarrhaus' (Nik Cohn) wirkten“ (Rock-Lexikon, Barry Graves: Siegfried Schmidt-Joos, 1990, S. 632). Ihr Verhängnis war: sie konnten sich – nicht nur auch geschäftsmäßig – leider nicht so gut organisieren wie die Rolling Stones, blieben irgendwie in der Entwicklung zurück, stagnierten. Im Sich selbst Organisieren waren die Rolling Stones den Beatles weit überlegen, sie waren 'mittelständischer', wie schon gemutmaßt wurde. Was sich bis auf den heutigen Tag bestätigt.
'St. Pepper`s Lonely Hearts Club Band' von den Beatles und 'Their Satanic Majesties Request' von den Rollings (von 1967) sind miteinander korrespondierende Konzept-Alben dieser beiden wohl legendärsten Gruppen eines vielfältigen Genres. Die Psychedelische Ära setzte mit der Hippiebewegung ein. Die Gruppen bekamen generell Ärger durch ihre showmäßig betriebenen Rauschmittel-Experimente. Diese gehörten zweifellos zur Idiotie der ausgehenden Sechziger und haben vielen talentierten Musikern und Musikerinnen das Leben gekostet.
Immer wieder entzückend anzusehen ist das Gruppenportrait der Fünf vom Fotografen David Bailey. (S. 231) Er hat auch Mick Jagger mit einem senkrecht noch oben gerichteten Finger im 'Rolling Stones Rock´n Roll Circus' zentral erfasst, lange bevor das Fingerhochstrecken epidemisch wurde. Die Rolling Stones waren keineswegs ungebildete Rockertypen, ihre Texte vermitteln der Zeitlichkeit enthobene Einsichten. Das Album 'Sympathy for the Devil' war durch Baudelaire („Die Blumen des Bösen“) inspiriert, 1968. Thema des Foto-Bands ist unter anderem auch die Labilität und Unkonzentriertheit von Brian Jones, die ihm zum Verhängnis wurde. Sein Tod hat das Konzert im Hydepark (1969) veranlasst (im Band ab Seite 252 zu verfolgen). Schriftliche Beiträge sind übrigens rar vertreten, aber völlig ausreichend.
Act Two
1971 folgt die französische Periode, gelebt vor allem in Ville franche-sur-Mer. Sie entstand durch die Finanzamtsprobleme, die die Gruppe sich eingehandelt hatte, wurde aber zu einer schöpferisch ergiebigen Zeit auf dem Anwesen der Villa Nellcôte. Es war auch eine partyfreudige Zeit.
Stets lassen sich die Rolling Stones mehr oder weniger hinter die etwas hart wirkende Oberfläche blicken, z.B. mit dem Fotografen Ethan Russell. In Frankreich wird ihre Kleidung, die vorher oft das Beggars-Gentleman-Gepräge hatte, nachlässiger. Das war Phänomen der Siebziger Jahre. Es ist auch eine Zeit der Des- sowie Umorientierung.- Annie Leibovitz verewigt Keith Richards in einer schlafenden Situation nach einer wüsten Nacht, wie der Band angibt. Der Film „Das Wilde Leben“ (über Uschi Obermeier) enthält auch eine langgezogene Szene mit Richards in ähnlicher Lage.
Act Three
Ab Seite 406 beginnt das eingetretene Alter der Rolling Stones dominierend zu werden. Mark Seliger fotografiert: Verwitterung, Runzeligkeit sind nicht mehr zu übersehen, aber die vom Leben Geprägten scheinen ungebrochen. Das wilde, selbstbestimmte Leben ist ihr täglicher Dienst. Dies zu sein ist dem Rock´n Roller - überwiegend männlich – angeboren und gehört zur Berufsehre. Allein die Sängerin 'Doro' (früher 'Warlock', jetzt lange musikalisch solo) zieht mit den Männern gleich. Sie allein kann Wacken besingen und bespielen. Sie sieht sich allein mit ihrer Musik verheiratet, wie sie äußerte.- Wir bewegen uns sodann um das Jahr 2002. Die 'Licks-Tour' bedeutete 113 Konzerte! Das Pensum der Rollings Stones ist bis in die Gegenwart immer ein Unwahrscheinliches gewesen, aber das gehört zur Regel im Milieu der Ruhelosen, das nicht nur äußerer Zustand ist.
Der Eindruck wechselt um das Jahr 2005 dann zu: nunmehr ganz alt. Der Holländer Anton Corbijn – der jüngst als Regisseur der John le Carre Verfilmung 'The most wanted man' Furore machte - gestaltet, wenn auch nicht als Einziger, die optischen Zugriffe. Keith hat die lurchigen, schildkrötenartigen Furchen mehrfach über die Gesichtszüge abgekriegt, die Falten wurden speckig, bei den anderen ähnlich. Wie Keith das alles geschafft hat und noch schafft auf der Bühne, das ist Teil seiner unergründlichen Phänomenalität. Denn er hat ja doch ziemlich schlimm gehaust mit seiner Physis. Auf Seite 440/441 sind die Fünf als nunmehr auch unweigerlich alt gewordene Gruppe porträtiert: die arrangierte, vielleicht auch spontan entstandene Fünferposition der Gruppe, Mark Seliger nahm das Foto.
Die Rolling Stones spielen weiterhin besser den je. Musikalische Vergreisung ist ihnen nicht anzumerken. Dies zeigte der Film 'Shine a Light' aus dem Jahr 2006, von Scorsese. Auf ihren Grabinschriften könnte stehen: Sie haben trefflich gerackert, bis zuletzt.
Am Schluss wäre noch darauf zu kommen, dass das, was die Rolling Stones wesentlich ausmacht, entscheidend mit dem Gitarrenanschlag von Keith Richards zu tun hat. Er verleiht mit seiner Anschlagstechnik den Rolling Stones des Eruptive, Elektrisierende, durchweg Ruhelose. Das Veredelnde einer raffinierten Brechung des Rhythmus´ ist auch vom Schlagzeuger der Gruppe 'Cream', Ginger Baker, bekannt, dem besten seiner Profession.
Keith hat einen Anschlag, der dem Punk vorgreift, der raffiniert mit Rhythmus und Takt spielt. Im rechten Moment (was schwierig ist) setzt er seinen Akzent in den laufenden Rhythmus. Der Schlag kommt wie reingefunkt daher. Das Herz der Musik ist die Rhythmisierung. Ob zuerst Rhythmus war oder Ton, wie das zusammenhängt, ist ohnehin die Frage.
Bewegt man sich in einem ähnlichen Altersgebiet wie die Rolling Stones, muss man den Band nicht unbedingt erstehen (auch weil der Platz dafür langsam fehlt). Man kann ihn aber kaufen, um ihn den Nachkommen in den Nachlass zu legen.
Info:
Reuel Golden (Hrsg.): The Rolling Stones, Taschen Verlag, Köln 2014, 519 Seiten, 99 Euro