Camilo Sanchez, Die Witwe der Brüder van Gogh, Unionsverlag, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Amsterdam (Weltexpresso) – Erst zog Johanna van Gogh aus Paris zurück nach Holland, um ihren Mann Theo dort in Würde sterben zu lassen, dann geht sie mit dem kleinen Sohn und vielen van Goghbildern - vorrangig aus finanziellen Gründen - zurück ins Elternhaus.

 

 

Das kommentiert der Verfasser so: „Einfach ist es nicht, zu ihren Eltern zurückzukehren,frisch verwitwet und mit einem so kleinen Kind. Sie selbst ist noch keine dreißig Jahe alt. Trotzdem hält sie in ihrem Tagebuch von nun an wieder alle Augenblicke fest,die ihr einen Eintrag wert zu sein scheinen. Beim Schreiben kommen ihr immer neue Ideen. Sie schreibt, um besser denken zu können.“ (Seite 90)

 

Wer kennte das nicht, was wir in Abwandlung des Spruchs Heinrich von Kleist' die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben nennen und die der Autor der Tagebuchschreiberin attestiert, wo doch er es ist, der das meisterhaft beherrscht. Das Buch ist ein Paradebeispiel für die Kunst, die Wirklichkeit durch Erzählen dichter, aussagekräftiger, elendlicher, aber auch schöner und spannender zu machen, als sie war und sein kann. Das behaupten wir zumindest, denn keinen Moment lassen wir beim durchaus bewegtem Lesen außer acht, daß uns eine Geschichte erzählt wird, die plausibel ist, die aber als Roman dichterische Freiheit nutzt. Und sie nutzt sie gut!

 

Daß darin dann auch eine Auswahl der genau 600 Briefe, die Vincent an Bruder Theo über die Jahre auf Niederländisch, auf Englisch, auf Französisch schrieb, genutzt werden kann, wo vor allem Passagen ausgesucht werden, in denen van Gogh von seinen Überlegungen bei seinem Malprozeß schreibt, das ist ein Glück, denn so erleben wir den ewig kränkelnden und erfolglosen Holländer in Frankreich als einen bildstrategischen Meister, der nicht so aus Stimmungen heraus dahinmalt, sondern überlegt Form und Farbe wählt, weil er damit einen sowohl optischen wie interpretierenden Eindruck erzielen will und kann. Beispiel auf Seite 91 ein Brief aus Arles von 1888, der endet: „Und so bekommt der blonde, leuchtende Kopf aus dem Hintergrund von reichem Blau eine mystische Wirkung wie der Stern im tiefen Azur.“

 

Während der Leser noch beeindruckt weiterdenkt, nutzt der Autor diese Zeilen zur Verfestigung und Beschleunigung der Handlung, denn er läßt Johanna innehalten, den Brief erneut lesen und sagen: „Was dort steht, in einer gehetzten, nervösen Schrift, ist ein künstlerisches Manifest zur Farbe, eine Art Ars poetica. Plötzlich muß Johanna an all die Bilder in der Rue Pigalle denken“, die sie in Paris zurückließ, jetzt Sehnsucht danach verspürt, was zum Auftakt wird, daß sie aus der Trauerphase heraus nun zur Sachwalterin der Bilder wird und van Gogh erst zu van Gogh, dem doch eigentlich beliebtesten Maler der Welt machen wird.

 

Wir lesen diese Zitate und ganzen Briefe als Aussage des Malers, Johanna aber erliest in ihnen all das, was in van Goghs Augen sein Bruder Theo war. Sie liest sie also adressatenbezogen, um mehr über ihren verstorbenen Mann zu erfahren. Auch eine elegante Volte vom Autor, dem ein interessantes, leicht lesbares, aber tiefes Werk gelungen ist.

 

Das ist rundherum ein Buch, das man nur empfehlen kann.

 

Foto: Dies ist Johanna van Gogh, geborene Bonger und in zweiter Ehe - zehn Jahre nach dem Tod des Ehemanns Theo van Gogh - mit dem Maler Johan Cohen Gosschalk verheiratet, der seine Frau hier 1905 porträtiert.

 

INFO:

 

Camilo Sanchez, Die Witwe der Brüder van Gogh, Unionsverlag 2014