KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für März 2015, Teil 1
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Diesmal hat der Erstplazierte einen so langen Titel und Verfassernamen, das wir diese Angaben erst im Text nachholen. William McIlvanney hat die Suche nach Tony Veitch schon 1977 (The Papers of Tony Veitch) geschrieben, aber der Roman kam erst jetzt im Verlag Kunstmann heraus - und landete gleich auf Platz 1!
Die KrimiBestenliste teilt dazu mit: Die Suche nach Tony Veitch ist der zweite Band der Serie um den Glasgower Detective Inspector Jack Laidlaw, die unter Kennern, in Großbritannien und vor allem in Schottland Kultstatus genießt. Der Kunstmann-Verlag bringt nach und nach in der herausragenden Übersetzung von Conny Lösch alle vier, insgesamt einen Zeitraum von knapp einem Vierteljahrhundert umspannenden Bände heraus, von denen der vorliegende und die folgenden bisher nicht auf Deutsch vorlagen – großer Tusch!
Interessierten Lesern ist unbedingt der vorausgegangene Klassiker Laidlaw (1977/2014) zu empfehlen, in dem der 1936 geborene William McIlvanney (auf der dritten Silbe „McIlvánney“ betont) epigrammatisch seine Haltung als zeitgenössischer Kriminalschriftsteller zu zentralen und immer noch aktuellen Fragen wie Schuld, Vergeltung, Polizeiarbeit, Ausgrenzung, Monstrosität, Ursprung des Verbrechens formuliert.
Die Suche nach Tony Veitch knüpft zeitlich an den Vorgänger an und variiert das – von McIlvanney zur kritischen Überwindung des Whodunnit-Schemas kunstvoll eingesetzte – Motiv der Suche. Suche nach der Wahrheit heißt hier: Abwehrkampf gegen den das traditionelle Gut-Böse-Schisma zur Ermittlungsgrundlage nehmenden Vorgesetzten Milligan, Eintauchen in Selbsttäuschungen und gesellschaftliche Vorurteile. Gesucht wir der wohlhabende Student Tony Veitch, der verdächtigt wird, einen Obdachlosen und einen Kleingangster umgebracht zu haben, gefunden wird Chaos, Verwirrung, Irrtum.
„Laidlaw ist die alles sehende Sonde, mit der sich McIlvanney in die Sedimentschichten seiner Stadt gräbt.“, betont Kritiker Elmar Krekeler, während Marcus Müntefering äußert:
„Diese Welt, das weiß Laidlaw, wird niemals in Ordnung kommen, ob er den Mörder findet oder nicht, denn Tat, Täter und Opfer sind nur Symptome einer kaputten Gesellschaft: ‚Verbrechen klärt man nicht auf. Man begräbt sie unter Fakten.‘“
Das gab es bei der KrimiBestenListe noch nie, daß auf Anhieb alle ersten Plätze neu besetzt waren, obwohl von den zehn Positionen 'nur' die Hälfte, also fünf Krimis im März zum ersten Mal auf die Liste kamen, die Hälfte vom Februar also auch weggefallen ist, was wir extra kommentieren. Bezogen auf die neuen Romane kommen sie neben dem Schotten McIlvanney aus Australien, Südafrika, den USA und Deutschland.
Auf Platz 2: Prime Cut von Alan Carter (original 2011: Prime Cut)
Mit Prime Cut lesen wir erstmals einen Kriminalroman des in Australien durchaus bekannten Autors Alan Carter, der im Plot ein biografisches Motiv aufnimmt. So wie der 1959 im englischen Sunderland geborene Carter nach Australien wechselte, ist auch ein Mörder Jahre zuvor der Verhaftung durch die Flucht zu den Antipoden entgangen. Ihm gefolgt ist der pensionierte Polizist Stuart Miller. Er glaubt, den in Australien weiter Mordenden stellen zu können. Doch das gelingt Carters chinesisch-stämmigen Serienhelden Cato Kwong, der zur Viehpolizei degradiert wurde und zeigen kann, dass er mehr drauf hat. Dies beurteilt Tobias Gohlis so: „Eine frische, raue Stimme im australischen Crime-Beat.“
Auf Platz 3: Bad Cop von Mike Nicol (original 2013: Of Cops and Robbers)
Mit seiner Rache-Trilogie hat sich Mike Nicol (*1951) als Autor etabliert, der sehr pessimistisch, sehr skeptisch das Fortwuchern der Gewaltmuster aus der Apartheid-Zeit in das moderne, demokratische und offiziell nicht rassistische Südafrika in großen Epen behandelt. Im Stand-alone Bad Cop vertieft er diesen Gap der Gewalt in einer zweisträngig geführten Erzählung: In einer Chronik der Verbrechen einer rassistischen Todesschwadron und in einer komplexen zweiten Erzählung in der Gegenwart, die von einem korrupten Polizisten, einer Mordserie und dem gefährdeten Versuch handelt, ein anständiges Leben im Südafrika von heute zu führen.
„Nicols Südafrika ist korrupt und morsch bis ins Mark. An den Hebeln der Macht sitzt mancher, der mit dem Apartheids-Regime kollaborierte und danach seine Schäfchen geschickt ins Trockene brachte. (…)Mindestens einen neuen Nelson Mandela bräuchte es wohl, um diesem Land der Bad Cops eine Zukunft zu geben.“, sagt Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau. Wir finden den Roman so beeindruckend, daß wir ihn extra besprechen.
Auf Platz 4: Killer von Dave Zeltserman (original 2010: Killer)
Boston entwickelt sich nach und nach zu einem wichtigen Kriegsschauplatz des amerikanischen Gangsterromans: Dennis Lehane, Dave Zeltserman. Killer ist ein spannendes und amüsantes Spiel mit dem Noir und mit einer Tendenz im US-amerikanischen Kriminalroman, die diesen als eine Art moralischer Besserungsanstalt betreibt. Auch Lennie March scheint nach 14 Jahren Knast auf dem Weg der Besserung. Er will mit seinen Kindern ins Reine kommen, putzt ein Büro, statt zu morden. Bis ihm ein Licht aufgeht.
„Keine Schnörkel, keine langen, verwickelten Handlungen, unnötige Nebenfiguren oder leicht durchschaubare falsche Fährten, sondern einfach nur die Lebensgeschichte eines abgehalfterterten Ex-Profikillers, der gerade aus dem Knast kommt. (…)Fast erscheint alles ein wenig zu sehr dem altmodischen amerikanischen noir zu entsprechen. Doch dann gibt es ein Ende, das schlichtweg hinreißend ist.“, lobt Sonja Hartl
Auf Platz 9: Schwarzblende von Zoë Beck
Als Zoë Beck diesen Roman über einen doppelten, beinahe zeitgleichen Terroranschlag durch selbsternannte Schlächter des Islamischen Staats verfasste, lag der Doppelanschlag in Paris auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt Hyper Cacher noch in der Zukunft der Imagination.
In Schwarzblende geht Beck hellsichtig den diversen Motivsträngen nach, die zu einem Macheten-Attentat zweier Briten mit Immigranten-Herkunft führten. Zufallsaugenzeuge ist der Dokumentarfilmer Niall, der nicht nur mit den Recherchen beauftragt wird, sondern durch seine familiären Beziehungen auch Einblick in die verborgenen Aktivitäten des demokratischen Staates gewinnt.
„Der Krieg gegen den Terror wird zum Bürgerkrieg werden, wenn es so weitergeht. Das ist Kriminalliteratur at its best: Radikal, zupackend, aktuell – unentbehrlich.“, urteilt Tobias Gohlis, der mit der Autorin auf der Leipziger Buchmesse zum Zehnjährigen der KrimiBestenListe am Freitag, 13. März von 13. 00 Uhr bis 13.30 am ZEIT-Stand in Halle 3, D 101 über ihren Roman und die KrimiBestenListe spricht. Fortsetzung folgt.
Die KrimiZEIT-Bestenliste März 2015
„
INFO I :
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenListe
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 5.März 2015 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr
sowie später in den Sendungen der „Buchpiloten2, nachzuhören unter
http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
- für die Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. März 2015 unter www.zeit.de/krimizeitbestenliste_2014
Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:
Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt
Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*
Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, SWR
Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Lore Kleinert, Radio Bremen
Elmar Krekeler, Die Welt
Kolja Mensing, Dradio Kultur
Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*
Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*
Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin
Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*
Jochen Vogt, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.
JahresBestenliste 2013
INFO II :
Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:
Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste
Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.
Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.
Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.
Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.
Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man
Hannibal Lecter nicht toppen kann."
Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.
Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.
Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“
Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.
Franz Dobler im Weltexpresso
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3712-noch-immer-im-gespraech-mit-franz-dobler-ueber-der-bulle-im-zug