Serie: FRANKFURT LIEST EIN BUCH: Mirjam Pressler, „Grüße und Küsse an alle“ vom 13. bis 26. April, Teil 7

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Um was es wirklich beim diesjährigen Lesefest geht? Um Wiederkehr und Wiederansässigwerden der Familie Frank als eine in Frankfurt tief verwurzelte Familie, die zudem mit der gesicherten Errichtung des Familie-Frank-Zentrums eine dauerhafte Heimstatt erhält. Dies zeigt auch der Eröffnungsabend in der Deutschen Nationalbibliothek.

 

Am Beginn von 'Frankfurt liest ein Buch' 2015 fand dort traditionell der Auftakt zu den Lesungen statt, in diesem Jahr aus GRÜSSE UND KÜSSE AN ALLE, an diesem Abend von neun „Vorzeige“vorlesern vielseitig und vielstimmig. Darunter auch Gerti Elias aus Basel, Gattin des im März verstorbenen Buddy Elias, Lieblingscousin von Anne Frank und der letzte aus der Familie, den sie noch gekannt hatte. Sie war gekommen, weil sie damit auch Trauerarbeit leistete, denn Buddy Elias, der ja den Anne-Frank-Nachlaß gerade nach Frankfurt ins Jüdischen Museum gegeben hatte, hatte sich ungeheuer auf diese zwei Wochen gefreut.

 

Kulturdezernent Dr. Felix Semmelroth bezog sich noch einmal auf ein schwer Verständliches: warum wurde einer in Frankfurt so tief verwurzelten Familie das angetan, was nur durch die Begegnung mit den Aufzeichnungen der unbeschreiblichen Anne, Tochter von Otto und Edith Frank, aus dem Amsterdamer Exil und Versteck erst zu dauerhaftem Bewusstsein gelangen konnte.

 

Die Familie Frank war beispielhaft dem kulturellen und geistigen Leben Frankfurts zugetan, der Schriftwechsel unter den Familienmitgliedern – von denen Auszüge aus dem Buch gelesen wurden - zeugt von höchster Sprachkultur, sowohl bei jungen wie auch älteren Mitgliedern der Familie; aus geistigen Äußerungen, die uns überliefert sind, spricht feinste Empfindung und Lebensart. Sie waren im besten Sinne Deutsche, vor dem nicht unwichtigen Hintergrund ihrer Zugehörigkeit war ihre Integration und „Emanzipation“ - aus Verhältnissen des Ghettolebens - geradezu rasend schnell abgelaufen. Die Generation der Urgroßeltern von Anne Frank, Elkan Juda Cahn mit Frau Betty, hatten ihre Jugendzeit noch im Ghetto verbracht. Dort fand Leben unter äußerst beengten Umständen statt.

 

Die erste Lesung des Abends ergab auch – entgegen dem Vorurteil vom reichen Juden - dass die Mehrzahl der Juden - nicht nur der Ghettozeit - sich mit Hausieren im weiteren Umkreis Frankfurts über Wasser hielt. Ein Wetterauer Onkel wusste das vor nur wenigen Jahren noch zu bestätigen. Immer wieder wird auch bewusst, dass Deutsche mit jüdischen Wurzeln keine gleichsam unsicheren Kantonisten waren – wie ihnen von den Deutschtümlern unterstellt wurde - sondern kaisertreu waren und häufig deutschnational empfanden.

 

Nach einem langen Weg der Geschichte der Franks ist es an der Zeit gewesen, dieser Familie endlich einen Hort der Nachvollziehbarkeit ihrer Zeiten der Entwicklung und der ihnen aufgezwungenen Schicksale zu schaffen, die menschenfeindliche Verhältnisse ihnen gnadenlos oktroyiert hatten und die sie als Menschen nahezu zerbrach.

 

Gerti Elias, die Gattin des wie erwähnt gerade im März leider verstorbenen Buddy Elias, Cousin von Anne Frank, hatte im Dachboden des Baseler Familienhauses in der Herbstgasse eine große Anzahl von Kisten entdeckt und in ihnen stapelweise Briefe und Dokumente. Der Anne-Frank-Fond beschloß daraufhin, Mirjam Pressler zu bitten, zusammen mit Gerti den Fund zu sichten und Überlegungen anzustellen, in welcher Art man damit publizistisch umgehen könne. Aus diesem Bestand hat Mirjam Pressler unter Beteiligung von Gerti Elias 'die einzigartige wie exemplarische Geschichte vom Aufstieg und Schicksal der deutsch-jüdischen Familie Frank zusammengefügt'. (Umschlagtext von: „Grüße und Küsse an alle“, Die Geschichte der Familie von Anne Frank, Mirjam Pressler, 2009).

 

Mit dieser Nachlaßübergabe, die Gerti Elias am Abend in der Nationalbibliothek in bewegende Worte kleidete, ist der Grundstein für das unter der Schirmherrschaft des Jüdischen Museums Frankfurt stehende Anne-Frank-Zentrum gelegt und wird damit auch die Metapher des sich schließenden Kreises erfüllt und bestätigt. Dies konnte auch durch die Mithilfe der Anne-Frank-Stiftung und durch Klaus Schöffling, dem Vorsitzenden von 'Frankfurt liest ein Buch e.V' geschehen, um nur wenigstens auf diese beiden Mitwirkenden anzusprechen.

 

Die Lesungen wurden gehalten von: Barbara Englert (Regisseurin und Schauspielerin), Prof. Dr.. Raphael Gross (Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt am Main), Nina Wolf, Schülerin der Wöhlerschule, Matthias Altenburg, Schriftsteller, Mala Emde, Schauspielerin und Darstellerin der Anne Frank im Film 'Meine Tochter Anne Frank', Peter Lerchbaumer, Schauspieler, Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, Dr. Helmut Reitze, Intendant des Hessischen Rundfunks, Mirjam Pressler, Schriftstellerin, Übersetzerin und Biografin von Anne Frank.

 

Die Lesung gab zunächst Einblicke in die Familie von Alice und Michael Frank (verheiratet seit 1885), die Eltern von Otto Frank (Vater von Anne Frank); sie und ihre Kinder lebten in der Leerbachstraße, ab 1901 dann in der Jordanstraße, die später zur Dantestraße wurde; es werden Verhältnisse einer intensiv verlebten Zeit geschildert, in der sie zielstrebig am kulturellen Leben teilnahmen, Vergnügungen nachgingen, oft einluden, die Oper gerne frequentierten. Michael war Pfälzer, daher auch Frohnatur und Genussmensch. Michael war erfolgreicher Geschäftsmann, legte seine Erträge in Beteiligungen an, starb aber viel zu früh. Alice wurde schon in ihren Vierzigern Witwe, übernahm die Rolle der Gesamtmutter und Wächterin über eine in der Nähe und dann auch Ferne angesiedelten Großfamilie. Als ganz eigener Mensch von künstlerischer Kompetenz war Robert Frank (Bruder von Otto) anzusehen, der früh in der Kunst heimisch wurde, selbst zum Schaffen von Kunst begabt war und später in London einen Kunsthandel aufgezogen hatte.

 

Nahegehend waren die gelesenen Briefauszüge von Margot und Anne an Omi (Alice) und Stephan (Sohn der Alice und Cousin der Mädchen) – via Basel, aus der Zeit zwischen 1938 und 1941, aus dem Exil in Amsterdam, zu einer Zeit als noch nicht ins geheime Versteck zum Schutz vor dem Zugriff durch die Nazis geflohen war. Sie handeln u.a. von Winterkälte und den Umständen und Bedingungen des Schlittschuhlaufens, das eine große Rolle spielte.

 

1931 hatte der antisemitische Hauseigentümer dem Vater Otto die Wohnung am Marbachweg gekündigt. Als 1933 SA-Horden am Fenster der Familie vorbeizogen und vom 'Judenblut', das 'vom Messer spritzt', sangen, war der Zeitpunkt zum Auswandern gekommen. Otto gründete eine Filiale der Opekta-Werke in den Niederlanden. Am 21. September 1933 verließ auch Alice, die Mutter, die Stadt Frankfurt in Richtung Basel und zog zu ihrer Tochter Leni (mit Stephan und Buddy als deren Kindern). Anfang 1934 holte Vater Otto auch seine Töchter Margot und Anne nach Amsterdam nach. An jenem Vorgehen des Hauseigentümers offenbarte sich die widerwärtige Neigung, die durch einen Wahn abgewerteten Menschen ihres Menschenrechts auf Wohnen zu berauben, um sie dann weiter noch mit Raub und Mord zu überziehen.

 

Eine weitere Lesung handelte vom Leben in der Schweiz, wo man in Grenznähe Kanonendonner hörte. Man hörte aus dem Radio auch von den Deportationen in die Lager Auschwitz, Majdanek, Theresienstadt und Treblinka. Auf den Briefträger zu warten war jetzt umsonst. 1942 endete die Briefezeit, der Kontakt mit den Lieben bricht ab. Er wäre auch zur Gefahr geworden, denn das Leben im geheimen Versteck hatte begonnen. Das Wort Untertauchen hatte in der Schweiz immer öfter die Runde gemacht. Am 12. Juni 1942 beginnen die Aufzeichnungen von Anne Frank in der Ausnahmesituation des geheimen Verstecks, sie enden mit dem 1. August 1944. Der August wurde zum Monat der Entdeckung durch Verrat.

 

Bewegend war die den Abend beschließende, kurz gehaltene Rede von Gerti Elias. Sie verstand sich als ein von Buddy zurückgelassener Mensch, der unverhofft die begonnene Reise alleine, ohne Buddy, durch ihr Erscheinen am Abend in der Nationalbibliothek beschloß. Engagiert hatte Buddy auf die Gründung des Familie Frank-Zentrums mit allem, was das erfordert, hingewirkt. Noch im November 2014 hatte er eine Rede in der Frankfurter Paulskirche gehalten. Gerti Elias sprach nun auch von dem Kreis, der sich schließe mit der Gründung des Familie Frank-Zentrums durch die konzertierte Aktion der am Projekt Beteiligten.

 

 

Info:

 

Mirjam Pressler/Gerti Elias „Grüße und Küsse an alle“

Die Geschichte der Familie von Anne Frank

Fischer Taschenbuch Verlag

432 Seiten. Kartoniert.

10,99

ISBN 978-3-596-18410-1

 

 

Das 16 seitige DIN A4 Programm FRANKFURT LIEST EIN BUCH liegt an verschiedenen Stellen der Stadt aus. Sie finden es auch unter:

www.frankfurt-liest-ein-buch.de