Büchertipp für Olivier Ameisens Buch aus dem Kunstmann Verlag

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - Heute empfehlen wir eine Mischung aus Sachbuch, Autobiografie und Roman von Dr. Olivier Ameisen. „Das Ende meiner Sucht“ schildert bis zur Mitte des Buches das Leben des aus Frankreich stammenden Ich-Erzählers in New York, der an seiner Alkoholsucht fast zugrunde geht. Die Geschichte wird so spannend erzählt, dass an ihrem Schluss, wie in einem Thriller, Mord oder Suizid stehen könnte.

 

Doch stattdessen wird der Autor am Ende von seiner extremen Alkoholsucht befreit, nachdem er lange verzweifelt einen Ausweg aus seinem Dilemma suchte. Denn Ameisen ist der Sohn einer französischen Jüdin, die das Grauen der nationalsozialistischen Lager überlebt hat. Die Angst und die Verzweiflung seiner Mutter haben sich, wie bei vielen Kindern der Überlebenden, auch auf ihn übertragen. Sein Leben ist trotz großer musikalischer und wissenschaftlicher Erfolge von Selbstzweifeln und inneren Spannungen geprägt.

Alkohol befreit ihn – vordergründig - von seinen Problemen, jedoch braucht der erfolgreiche Mediziner lange, um sich selber als Alkoholiker zu sehen, obwohl er immer wieder versucht weniger oder gar nicht zu trinken. Nebenbei bemerkt ist er damit nicht allein, sondern viele Alkoholiker leugnen lange ihre Abhängigkeit: „Sucht hat ein moralisches Stigma und die erwartete Scham hindert die Betroffenen sich einzugestehen, dass sie ein Problem haben“, meint der Autor. Bald merkt er, dass die „Ärzte sich bei dem Thema unbehaglich fühlen, weil sie keine verlässliche Behandlung verordnen oder empfehlen können.“ Letztlich wird aus diesem Grund Sucht moralisch als Charakterschwäche etikettiert. Doch Ameisen spürt, dass seine Angstzustände, seine Verspannungen der Trunksucht vorausgehen, sie hat „biologische Ursachen“. Aber seine Ärzte sagten: „Sie haben Angst, weil sie trinken. Hören Sie mit dem Trinken auf, und Ihre Angst wird weggehen.“ Das geschah natürlich niemals, die Ängste wurden heftiger, der Kreislauf von Furcht und Sucht immer schlimmer.

Das alles erzählt der Autor überhaupt nicht larmoyant, sondern in seiner nachträglichen Reflexion nachvollziehbar mit einfacher Sprache. Ameisen begab sich in viele Entziehungskuren, verbrachte Jahre bei den Anonymen Alkoholikern, probierte alle Medikamente gegen Alkoholsucht aus - aber seine Krankheit wurde immer schlimmer. Erst durch schwere Verletzungen im Vollrausch macht er sich an die wissenschaftliche Erforschung seiner Probleme. So entdeckt er Baclofen, ein krampflösende Medikament, das in der Medizin seit schon lange problemlos verwendet wird. In sehr hohen Dosen soll es Drogenabhängigkeit nicht nur lindern sondern beseitigen.

Leider werden diese Heilwirkungen - nach einigen Rattenexperimenten und wenigen Menschenversuchen - nicht weiter verfolgt, weil das Patent abgelaufen ist und die Pharmaindustrie nichts mehr daran verdienen kann, so Ameisen. Deshalb unternimmt er mutig hochdosierte Selbstversuche und veröffentlicht seine Erfahrungen in Fachkreisen. Seitdem hat er nie wieder getrunken: „Baclofen hat mich nicht nur aus dem biologischen Gefängnis der Abhängigkeit befreit, sondern auch von der lähmender Angst, die ihr vorausgegangen war, und nun fühlte ich mich mit mir selbst und mit anderen wohl. Endlich war ich die Person, die ich immer schon hatte sein wollen.“

In Frankreich ist Baclofen für einige Jahre zur Hochdosierung freigegeben, in Deutschland haben durchaus positive Studien kaum zu Konsequenzen geführt. Nach wie vor weigern sich die meisten Mediziner, das Medikament alkoholkranken Menschen zu verabreichen. Und die Sucht bekämpfende Armada von Kliniken, Ärzten, Therapeuten und Suchtberatern sehen die Abhängigkeit immer noch als primär psychologisches Problem.

Lesen Sie dieses Buch, das einen ausführlichen medizinischen Anhang enthält, und fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker nach den möglichen Wirkungen des Präparats.

Info:

Dr. Olivier Ameisen: „Das Ende meiner Sucht“, Kunstmann Verlag, Hardcover 320 Seiten