Miriam Gebhardts Buch bei der DVA
Helmut Marrat
Weltexpresso (Hamburg) – Dieses Buch, herausgegeben 2015 von der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA), hat einiges Aufsehen erregt. Erstmals, so hieß es, werde hier das Thema der Vergewaltigung deutscher Frauen zu Ende und nach dem 2. Weltkrieg behandelt.
Wirft man einen Blick auf im laufenden Text zitierte oder im Literaturverzeichnis angegebene Quellen, ist zu erkennen, dass dieses Thema oder Aspekte daraus aber bereits seit mehreren Jahrzehnten bearbeitet werden. Meist übrigens von Frauen. Und so mischt sich emanzipations- oder gender-spezifische Forschung - und, könnte man wohl auch sagen: feministische Terrain-Erweiterung - mit den Ansätzen historischer Forschung.
'Ansätzen', weil viele Faktoren nach wie vor im Dunkel bleiben, vor allem sichere Zahlen fehlen. Es bestehen meist noch immer lediglich Schätzungen, Vermutungen: „Nach meinen Berechnungen“, schreibt Miriam Gebhardt, „wurden mindestens 860.000 Frauen (und auch etliche Männer) im Nachkrieg vergewaltigt. Mindestens 190.000 davon, aber vielleicht auch mehr, erlebten die sexuelle Gewalttat durch einen amerikanischen Armeeangehörigen, andere durch britische, belgische oder französische Soldaten. Von diesen Opfern wurde nie gesprochen. Denn so wie die DDR die Untaten des 'Großen Bruders' im Osten unter den Teppich kehrte, so verschwieg die westdeutsche Gesellschaft die Übergriffe der demokratischen Befreier. Den von Rotarmisten vergewaltigten Frauen wurde wenigstens eine, wenn auch ideologisch intrumentalisierende, Form der Anerkennung zuteil – sie wurden zu Belastungszeugen im Ost-West-Konflikt. Jene Frauen hingegen, die den GI's, Briten oder Franzosen anheimgefallen sind, wurden womöglich noch mit Verachtung gestraft."
Und etwas weiter unten: "(...) dazu beigetragen, dass heute die meisten Deutschen glauben, die kriegsbedingte sexuelle Gewalt sei ein Problem der Sowjetsoldaten gewesen, während die anderen Alliierten eher vor liebestollen deutschen Frauen geschützt werden mussten.“ (S. 8 f.)
Das Hauptverdienst dieses Buches liegt genau in dieser Aufklärung, dass nicht nur die Russen, sondern auch die Amerikaner, die Engländer und Franzosen kräftig zugegriffen haben. - Ansonsten war ich von dem Buch enttäuscht. Keine Übersichtskarte mit der Bewegung der einbrechenden feindlichen Truppen ins ehemalige Reichsgebiet mit den entsprechenden Hinweisen und (sei es auch nur geschätzten) Zahlen. Keine wissenschaftlich-methodisch überzeugende Durcharbeitung des Themas. Viele Wiederholungen; keine Querverweise; keine klare übersichtliche Aufmachung; vieles durcheinander gewürfelt. Es ist kein Vergnügen, dieses Buch zu lesen. Und es könnte – trotz des Themas – wenigstens das Vergnügen am Umgang mit dem Material sein. Das ist nicht der Fall. Es ist eine mühsame Lektüre. Warum fehlen klare übersichtliche Kapitel, die die betreffenden Sachverhalte bündeln und sauber geordnet behandeln? Man fragt es sich immer wieder, aber erhält keine Antwort.
Das Buch will nicht in revisionistischer Absicht geschrieben sein. Die Autorin zitiert Stimmen, die meinen, ein Buch wie Jörg Friedrichs "Der Brand" von 2002 über die Bombardierung deutscher Städte, das übrigens im Gegensatz zu Miriam Gebhardts Buch wissenschaftlich wohltuend sauber aufgebaut ist, oder Filme wie "Die Gustloff" von 2008 oder "Die Flucht" (2007) oder auch Günter Grass' "Im Krebsgang" hätten letztlich einen revisionistischen Charakter. Und sie zitiert den Kardinal Faulhaber (1869 – 1952), der 1945 geäußert habe, "die befreiten Konzentrationslager böten gewiss keinen schönen Anblick, aber das nach Feindbombardierung zerstörte München schließlich auch nicht." (S. 292)
Die Äußerung Faulhabers ist durchaus berechtigt, benennt sie doch zwei parallel laufende Verbrechen. Und immer wieder ist zu beobachten, - sonderbar! -, dass in Europa die Brutalität der Kriegsführung nach Osten hin immer jeweils größer war als die in Richtung Westen. Die Vernichtung von Bevölkerungsanteilen oder ganzen Völkerschaften in KZ's entspricht so dem Versuch der nach wissenschaftlichen Methoden vorgenommenen Dezimierung der deutschen Arbeiterschaft durch Bombardierung.
Hier kommt man also an einen entscheidenden Punkt: Immer wieder wird betont, meist innerhalb Deutschlands, man wolle nicht gegeneinander aufrechnen. Ob man dadurch eine Zunahme der Schuld-Belastung fürchtet oder gerade Geborgenheitsängste damit verbunden sind, nach einer solchen Aufrechnung eventuell weniger schuldbelastet dazustehen und gefährdet-freier, ist hier nicht zu entscheiden. Generell aber ist anzunehmen, dass ein allgemeines Auflisten der jeweiligen Schuld hilfreich wäre, - vermutlich wird sie sich ohnehin, auch ohne diesen Vorsatz, schon aus Langeweile am Gegenteil, nach und nach ergeben. - Eine solche Liste wäre wissenschaftlich sicherlich interessant, auch wohl lehrreich; und sie würde kaum dazu führen, in kindlicher, ja kindischer Weise zu sagen: "Ihr habt aber mehr Leute umgebracht!" etc. - Vermutlich wird man erst einen wirklichen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen können, wenn all diese Posten aufgerechnet wurden. -
Zu diesen Posten gehört nun auch das Thema der Vergewaltigung von Frauen. Das hat es immer im Zusammenhang mit kriegerischen Zeiten und Handlungen gegeben. Zitiert wird aus einer Schrift von 1975 der Satz: "Die siegreiche Seite in Kriegen ist diejenige, die vergewaltigt." (S. 288) Eine historische Herleitung wäre hier sicherlich auch lesenswert und wahrscheinlich methodisch sogar hilfreich gewesen. Die Frau als Kriegsbeute. Die Frau als der gegenüber dem Mann körperlich schwächere Mensch. Hinzu kommt der physische Reiz, die Schönheit, möglicherweise gar die Verführungskraft. Stellt man dies fest, verschiebt man die Schuld und Gewalt aber bereits zu einem Teil auf das weibliche Geschlecht. Die Dummheit des Mannes, der durch Eva aus dem Frieden des Paradieses gelockt wurde, und die List der Frauen. Männliche Urerfahrungen und Urängste mögen hier eine Rolle spielen. Diesen vermeintlich männlichen Urängsten mögen weibliche Urängste vor der körperlichen Überlegenheit des Mannes oder vor seiner Verführungsbegabung korrespondieren. Zum "Kampf" oder "Krieg der Geschlechter" ist es da nicht weit.
Diese Phänomene kann man benennen. Klären können wird man sie in einer solchen Arbeit nicht. Manches davon spricht Gebhardt an. Immer wieder. Und immer wieder da und dort; ungebündelt. -
Ununtersucht bleibt die Wirkung der industriellen Revolution mit ihren die Menschen zusammenpferchenden und beeinflussenden Begleitumständen, weshalb die Zahl der Vergewaltigungen nach dem 2. Weltkrieg sich von anderen Zeiten unterscheiden mag. Vielleicht! Sicherlich war es auch kein Vergnügen, als junge Frau den Dreißigjährigen Krieg mitzuerleben. Brechts "Mutter Courage" mit der Figur der 'stummen Kathrin', der ein Soldat mal etwas in den Mund gesteckt habe, mag davon einen schwachen Abglanz geben.
Wer weiß: Vielleicht waren die beiden Weltkriege nicht nur Unternehmungen, die Hegemonie Deutschlands zu erreichen oder zu verhindern, sondern auch ein Endpunkt der von Männern regierten Welt? Dann wäre die Emanzipation im Zuge der 1968er-Zeit und die sich anschließende Frauenbewegung nicht nur ein Korrektiv der patriarchalisierten Vergangenheit, sondern ein Sich-Abkoppeln zu schließlich eigener Macht. Möglich, dass wir bereits am Beginn eines matriarchalischen Zeitalters stehen. "'Warum sprecht ihr denn hier vom Klassenkampf und zu Hause von Orgasmusschwierigkeiten? Ist das kein Thema für den SDS?' Nachdem ihre Rede nicht die erhoffte Wirkung zeigte, bewarf eine Mitstreiterin Sanders den nächsten Redner mit Tomaten – dieser Tomatenwurf sollte zur symbolischen Initialzyndung der Neuen Frauenbewegung in Deutschland werden.", zitiert hier Gebhard eine Episode aus der Studtenrevolte von 1968 anhand von Helke Sanders, die 1968 einen "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen" mitbegründete. (Zitiert nach: Miriam Gebhardt, Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor, München 2012, (S. 290).
Die Furcht Gebhardts, mit ihrem Buch auf revisionistisches Terrain zu geraten, ist umso unverständlicher, als sie darlegt, dass die amerikanischen Soldaten nicht nur deutsche Frauen ab 1945 vergewaltigten, sondern bereits ab Sommer 1944 französische. Sie vermutet, die amerikanischen Soldaten seien auch durch die Verlockung, um nicht zu sagen: Den Preis einer europäischen Frau in den Krieg gelockt worden. Das prüde Amerika. Zumindest nach außen hin. Den perversesten Sexualverbrechen begegnet man dennoch oder gerade deswegen aber gerade immer wieder in den USA.
Es gab ein klares Fraterinisierungsverbot für die US-amerikanischen Soldaten, das allerdings Ende 1945 wieder aufgehoben wurde, weil der nährere Umgang mit den Besiegten sich auf länger Zeit gar nicht vermeiden ließ. Aber schon zuvor muss der Kontakt oft intensiver gewesen sein, wie der Satz: "Copulation without Conversation Is Not Fraternisation", - offenbar eine Art Latrinenparole -, besagen mag. (S. 142)
Oft wurden Vergewaltigungen den schwarzen US-Soldaten in die Schuhe geschoben. Die tatsächlichen Verhältnisse sehen aber anders aus: 2/3 weiße und dagegen nur 1/3 schwarze amerikanische Soldaten werden der Vergewaltigung überführt. (S. 137) - Auch Frankreich räumt ein, dass es "kriegsbedingte" Vergewaltigungen gegeben habe. (S. 230) – Von Stalin ist zu Anfang 1945 eine Äußerung bekannt, in der er die Vergewaltigung der deutschen, besiegten Frauen zumindest toleriert. (S. 94) – Man stellt sich daraufhin eine rollende Flutwelle brutal vergewaltigender russischer Soldaten vor.
Das hat es gegeben. Berichte darüber sind verbreitet. Und die deutsche Propaganda ließ es sich nicht nehmen, auf diese Begleitumstände der Eroberung durch die Rote Armee hinzuweisen. Die Furcht vor dem Untermenschen aus den Steppen des Ostens wurde damit noch einmal aufgepeitscht. Schon 1914 hatte man in Ostpreußen erfahren müssen, was russische Besetzung bedeutete: Weite Landstriche und die Ortschaften in ihnen waren in Schutt und Asche gelegt worden. - Neben dem Siegestriumph der ausgehungerten Soldaten kam 1945 das Moment der Rache hinzu: Der Rache für die Jahre der Eroberung, Besetzung und Zerstörung Rußlands durch die Deutsche Wehrmacht.
Dieses Motiv spielte begreiflicherweise bei den Amerikanern, Franzosen und Engländern keine so wesentliche Rolle. - Die Übergriffe britischer Soldaten sind in Gebhardts Buch auch kaum dokumentiert. Sie betont zwar, dass es derartige Übergriffe gegeben habe, dass aber gleichzeitig die Quellenlage hier bisher wenig hergebe.
Wie vollzogen sich die Vergewaltigungen? Es gab spontane Vergewaltigungen; meist aber serienweise Vergewaltigungen, bei denen bestimmte Räume eines eroberten Gebäudes für diese Zwecke bereit gehalten wurden. Das konnte dann tagelang so gehen. Viele Frauen wurden in diesem Zusammenhang auch erschossen; beispielweise wenn sie ablehnten, einem Eroberungs-Soldaten zu folgen. Oder wenn Mütter ihre heranwachsenden Töchter schützen wollten, indem sie sich selbst anboten. - Oft, - besonders wird dies im Zusammenhang mit den amerikanischen Soldaten erwähnt -, traten die vergewaltigenden Soldaten in Gruppen auf. Und war es wohl auch, dass sich die Männer gegenseitig beweisen wollten, was für Kerle sie seien.
Natürlich blieben die Vergewaltigungen nicht folgenlos. Es konnte zu Schwangerschaften kommen, - und Gebhardt stellt die Rechnung auf, dass auf 100 Vergewaltigungen 1 geborenes Vergewaltigungskind gekommen sei. (S. 229). Schwangerschaftsabbrüche kamen auch vor, weil die Frauen sich weigerten, ein fremdes slawisch-mongolisches oder ein Negerkind zur Welt zu bringen; vielfach aber auch aus Scham und dem Gefühl von Schande. Oft aber behielten die Frauen diese Kinder; und, erfreulich zu lesen, half der Gedanke an diese Kinder oder halfen diese Kinder dann diesen Frauen, Müttern selbst, zu überleben, brachten ihnen Glück. - Aber auch hier gibt es kaum brauchbare Zahlen. - Ich vermißte hier den Hinweis auf den Journalisten André Müller, dessen Mutter von einem französischen Soldaten vergewaltigt worden war. André Müller (1946 - 2011), vielleicht aus seiner frag-würdigen Position heraus, hat später berühmt gewordene Interviews, die oft in der ZEIT veröffentlicht wurden, geführt. (Sie sind in mehreren Büchern gesammelt worden.)
Auch das Thema des Schadenersatzes für die vergewaltigten Frauen, die dann ein halb-fremdes Kind hochzogen, spielt eine Rolle in Gebhardts Buch. Es kommen ja alle wichtigen Aspekte vor: Nur eine Ordnung fehlt! Man müßte ihr Buch als Steinbruch behandeln und eine wirklich brauchbare wissenschaftliche Arbeit daraus machen!
Auch den Hinweis auf Walter Kempowski (1929 - 2007) und sein "Echolot" vermisse ich in ihrem Buch. Ich bin gerade dabei, den letzten Teil des "Echolots" als Hörbuch (aus 'der Hörverlag') kennenzulernen: Die Zeit von Januar bis Mai 1945. Das Thema Vergewaltigung spielt darin eine wichtige Rolle. Warum fehlt bei Gebhardt ein Hinweis auf diese authentischen Texte?
Mißtrauen herrschte teils auf Seiten der amerikanischen Soldaten, wenn sie einer besonders schönen Frau gegenübertraten: Könnte sie eine Spionin sein? - Und das Thema der Geschlechtskrankheiten wird angesprochen. Manche kennen vielleicht noch durch eigene Erfahrung oder durch ein Geschichtsbuch oder eine Ausstellung dieses Scherenschnitt-Plakat eines Paares mit der Unterschrift "Kennt ihr euch überhaupt?" ...
Frauen, die in der Nachkriegszeit mit Amerikanern ins Bett gingen, wurden, - vielleicht als verballhornende Anspielung -, "Veronikas" genannt. - Die englische Abkürzung "VD" bedeutete: "Veneral Disease" = Geschlechtskrankheit. - Der deutsche Volksmund, berichtet Gebhardt, habe daraus "Veronika Dankeschön" gemacht. (S. 186). - Die Geschlechtskrankheit als Rache für die Vergewaltigung. Auch später wohl als Abschreckungsfaktor gegen eine eventuelle Vergewaltigung. - Gelegentlich wurden alle verdächtigen Frauen einer Region einer zwangsweisen gynäkologischen Untersuchung unterzogen; sei es, um auf deutsche Beschwerden zu reagieren; sei es, um wieder sicheres Feld zu haben. (S. 195)
"Während noch nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel der Infizierten Männer waren, sind nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Drittel der Infizierten weiblich. Die Melderegister der Behandlungsstellen für Geschlechtskrankheiten geben als Quelle regelmäßig 'russ. Soldat' an, was darauf hindeutet, dass die Sexualkontakte kaum immer freiwillig waren.", schreibt Miriam Gebhardt (S. 194).
Das soll wohl bedeuten, dass während des Ersten Weltkriegs die (deutschen) Männer noch die in mehrfacher Weise Erobernden gewesen waren; während nach 1945 der Feind nicht nur die deutsche Muttererde durchpflügte, sondern auch die deutschen Frauen.
Dabei gab es nicht nur Vergewaltigungen. Es gab auch Fälle von Liebe. Und es gab, vor allem gegenüber den West-Eroberern, auch freiwillige Sexualkontakte. Davon gibt folgende, wie es in ihrem Buch wieder heißt, Latrinenparole Auskunft: "Die Amerikaner brauchten sechs Jahre, um die deutschen Soldaten niederzukämpfen, um eine deutsche Frau zu haben, brauchte es einen Tag und eine Tafel Schokolade." (S. 174)
Oder: Durch ein damals kursierendes Gedicht, das nicht aus Gebhardts Buch stammt, sondern mir früher schon bekannt war:
"Der Mann fiel für das Vaterland,
Die Frau für Zigaretten;
Der Mann, der liegt im Heldengrab,
Die Frau in fremden Betten!"
Auch das wird kurz angesprochen in Gebhardts Buch: Der schwierige Umgang der Männer mit dieser Tatsache, wenn ihre Frauen Opfer von Vergewaltigung(en) geworden waren. Blieb die Liebe und die Beziehung bestehen? Wurde die Frau als Opfer angesehen? Und konnte der Mann so wieder in seine Beschützer-Funktion gelangen? Oder nisteten sich Zweifel ein über die Treue der Frau? - Hier berührt der Sachverhalt die problematische Ureinstellung beider Geschlechter zueinander. - Und auch hier wäre man über einen gesonderten Abschnitt mit einer gesonderten Darstellung dankbar gewesen!
Miriam Gebhardt weiß, dass sie bei ihren Forschungen kaum noch auf Frauen treffen kann, die über dieses Leid persönlich noch berichten können. Sie weiß, sie kommt dafür in den meisten Fällen zu spät. Die parallel zu ihr forschende Martina Böhmer, laut Gebhardt "Altenpflegerin und Traumatherapeutin", sucht alte Frauen "in Alten- und Demenzheimen" auf. Immer wieder erlebt sie dabei, "dass Vergewaltigungsopfer durch ruppige Pflege, durch lautes Türenschlagen im Flur, durch unsensible Erinnerungsrituale in den Altenheimen, aber auch durch zufälliges Zusammentreffen etwa mit polnischen Pflegekräften erneut traumatisiert wurden. Sie erzählte mir von einem Fall einer Altenheimbewohnerin, die sich weigerte, sich entkleiden und waschen zu lassen, vor allem von männlichen Pflegern. Es stellte sich heraus, dass die Frau im Nachkrieg vergewaltigt worden war. In einem anderen Fall überfielen eine alte Dame Panikattacken, weil ihre Zimmernachbarin einen amerikanischen Mann hatte und dessen Sprache sie in die lange zurückliegende Situation zurückkatapultierte, als sie von einem GI vergewaltigt wurde. Oftmals würden solche Traumafolgen falsch diagnostiziert, als Demenz eingeordnet und medikamentös fehlbehandelt (...)" (S. 300 f.)
Zusammengefaßt: Miriam Gebhardts Buch ist ein guter Vorstoß, und es steht zu hoffen, dass ihr Material einmal richtig wissenschaftlich aufgearbeitet werde.