Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. August 2015, Teil 4

 

Sibylla von Suden

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das Buch muß man zwar nicht in Hamburg lesen, aber es tönt einen dort durchaus an. Die Geschichte der Icherzählerin Alex hatte mich in der schönen Ausgabe vom Eichbornverlag damals sehr interessiert. Damals sind aber nicht die Achtziger Jahre, in denen der Roman spielt, sondern das Jahr 2003, aus dem heraus in einem gesamtdeutschen Szenario der Rückblick auf die alte Bundesrepublik durchaus nostalgisch wirkt.

 

Im guten, nicht im schlechten Sinn nostalgisch. Denn ob man selbst so ungezwungen und frei gelebt hat, wie es diese jungen Menschen von sich glauben und uns in jeder Sekunde zeigen, wie gezwungen und unfrei sie doch sind, das ist schon spannend, denn natürlich geht das nicht genau auf und den Roman, der aus lauter Episoden, nämlich den Erfahrungen der jungen Taxifahrerin besteht, liest man deshalb mit Interesse weiter, obwohl es nur die Person der Alexandra Herwig ist, 25 Jahre, die ihn zusammenhält.

 

Aber man versteht völlig, wenn diese im 1. Teil 1984-1986 anfängt: „So geht das nicht weiter. Ich hatte die Ausbildung bei der Versicherung abgebrochen, die einzige Ausbildung, die ich je angefangen hatte. Danach versuchte ich, ohne Geld von Hamburg nach München zu laufen, in der Hoffnung, daß sich unterwegs irgendetwas ergeben würde. Ich hätte ja zum Beispiel mitten im Wald auf ein Auto stoßen können, ein Auto mit einem halbverwesten Toten hinter dem Lenkrad. Und neben ihm, auf dem Beifahrersitz, hätte zwischen lauter Maden ein Koffer mit zehntausend Hundert-Mark-Scheinen in unsortierter Numerierung gelegen. Hätte doch sein können. In Göttingen wickelte ich das, was noch von meinen Füßen übrig war, in eine doppeltes Paar Socken und trampte wieder nach Hamburg zurück.“

 

Das gefällt einem doch in dieser Melange aus Schnoddrigkeit, Selbstdistanzierung und unweinerlicher Aussteigermentalität. Der Roman hält dies Versprechen ein. Und wir erfahren schnell, wie es dazu kommt, daß dieser Roman TAXI heißt. Sofort erinnere ich mich, daß ich damals auch ein Buch über Taxifahrer schreiben wollte, denn das war damals – es geht um die Zeit in der Bundesrepublik, wo ausgebildete Lehrer jahrelang keine Stelle fanden, selbst wenn sie mit der Note Eins abgeschlossen hatten, verschärfend kam noch das Berufsverbot für offen links votierende junge Lehrer hinzu – wirklich eine besonderes Völkchen. Hauptsächlich Studenten oder Asylanten, hatte man den Eindruck. Studenten in hohen Semestern und Ausländer, die beim Taxifahren auch Deutsch lernten und gerne von ihrer Heimat sprachen, so man sie fragte.

 

Man weiß also schnell, warum der Roman Taxi heißt und schon auf Seite 14 erfährt man: „Abends zwischen sechs und acht lief das Geschäft eigentlich von selbst – jedenfalls im Innenstadtbereich. Um diese Zeit waren die Leute mit dem, was sie den Tag über beschäftigt hatte, fertig und wollten so schnell wie möglich heim. Nach acht wurde es ruhig. Alle Leute waren dort, wo sie hingehörten, Zu Hause vor dem Fernseher oder im Theater oder im Restaurant, und die nächsten zwei Stunden konnte ich in einem meiner Bücher über die großen Affenarten lesen, ohne allzu oft unterbrochen zu werden. Gegen zehn ging es dann wieder los.“ Da wissen wir von alleine, daß jetzt erneut die Leute nach Hause gegondelt werden wollen. Und gegen drei Uhr morgens auch diejenigen Dämchen, die in den Clubs den Herren die Nacht versüßt hatten.

 

Ein buntes Großstadtpanorama, ein nächtliches, das führt uns dieser Roman auch vor. Aber genauso geht es um Personen. Und was sich da um Alex alles tummelt, das sind zwar auch schablonierte Charaktermasken, aber sie werden so elegant oder tumb eingebracht, daß man sich, kennt man die Zeit, sofort erinnert: Genau, so war der oder die. Der Roman vermittelt wirklich ein Lebensgefühl der Zeit.

 

Aber Achtung. Nur für einen kleineren Kreis von jungen Menschen, denen, die an der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik entweder keinen Anteil haben wollten oder nicht konnten. Es sind diejenigen, die sich sowohl aus all zu viel Bürgerlichkeit, wie auch Aufstiegsdenken und materieller Daseinsvorsorge verabschiedet hatten. Und das stimmt nur zur Hälfte und diese Grauzone schildert eben Karen Duve auch. Wie Alex das Geld unterm Bett scheffelt, wie Dietrich die großen Künstlerträume hegt und die anderen Taxikumpels ihn hofieren. Das ist keine wirklich freiheitliche Welt, sondern eine mit Lebenslügen und sonstwas.

 

Was alles dieser Alex beim Taxifahren und davor und danach passiert, das lesen Sie besser selber. Und die Liebe? Alles nicht so wichtig. Das Leben ist anderswo.

 

 

Info:

 

 

 

TAXI, der Roman von Karen Duve im Goldmann Verlag, 2015

Goldmann hat den damaligen Spiegel-Bestseller jetzt als Sonderausgabe zum Film neu herausgebracht. Die Erstausgabe war 2003 erschienen und zwar im Eichborn Verlag, der seine Eigenständigkeit leider eingebüßt hat, was man hier wieder einmal bedauernd zur Kenntnis nimmt.