VERSCHWÖRUNG von David Lagercrantz, Heyne Verlag und Random House als Hörbuch, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kommen wir zum Buch, das also keinesfalls auf Vorgaben von Larsson beruht, sondern eine selbständige Fortschreibung von Lagercrantz ist. Mit der Zeitschrift MILLENIUM und Mikael Blomkvist beginnt es . Die Zeitung ist erneut in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Blomkvist ein nicht mehr als herausragender investigativer Journalist angesehen, eher als einer, dem lange schon nichts Großes mehr gelungen ist.

 

Es gibt deshalb erneut einen Investor der Zeitung, der diese in andere Fahrwasser lenken will, sprich populäre Massenware und Entpolitisierung. Aber er ist der Wolfs im Schafspelz, was sich erst später zeigt, wie es mit den Wölfen in Schafspelzen so ist. Miakel Blomkvist wird überraschend eine interessante Sache angeboten, die mit Forschung und Internet zu tun hat, weshalb er erwidert: „Ich glaube auch, daß das eine interessante Geschichte sein könnte. Aber leider nicht für mich. Ich bin kein EDV-Experte – ich bin ein Steinzeitmensch.“ Genau diese Geschichte ist es aber, die uns Lagercrantz dann erzählt und in der der Journalist eine gute Rolle spielt, so daß am Schluß, als seine Geschichte auch in MILLENIUM erscheint, die Zeitung gerettet ist und der Investor gefeuert wird.

 

Es geht um den Schweden Frans Balder, der in den USA als Professor und Forscher weit gekommen ist mit der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Er hat seinen kleinen autistischen Sohn bei seiner geschiedenen Frau in Schweden zurückgelassen, will sich aber jetzt um ihn kümmern und kommt nach Schweden zurück. Mit diesem Sohn August ist Lagercrantz ein Wurf gelungen. Denn dieser kommt einem vor wie die zweite, noch jüngere und männliche Version der Lisbeth Salander, ein gleichermaßen geniales wie zutiefst gestörtes Kind. Sein absonderliches Verhalten – bisher spricht er nicht, stiert in die Gegend, reagiert nicht auf die Umwelt – ist mit einer besonderen Begabung gekoppelt: er ist ein Genie in komplexen mathematischen Zusammenhängen und ein Zeichengenie zugleich.

 

Das aber kann sein Vater nur noch teilweise miterleben, denn dieser wird erschossen. Vorher hatte er aus guten Gründen in seinem Rechner seine gesamten Forschungsergebnisse gelöscht und zwar so gründlich, daß auch Experten nichts mehr herstellen können. Wir verfolgen über viele Seiten und über neun Stunden des Hörens die Hintergründe der Tat und der Verschwörer, wie man angesichts des Titels sagen könnte. Aber nun kommen zur Technik- und Technologiesaga noch eine persönliche hinzu. Lagercrantz hat eine bei Larsson nur kurz erwähnte Figur (wir erinnern uns daran überhaupt nicht) zum Leben erweckt und ihr ein schönes Gesicht und häßliche Geschichte geschrieben: die Zwillingsschwester der Lisbeth, Camilla. Das ist ganz flott erzählt, und im übrigen auch eine wirklich gute Idee. Aber leider zeigt sich ausgerechnet an Lisbeth Salander - die wieder über ihre Hackerkünste dem Blomkvist unter die Arme greift und zu den entscheidenden Informationen verhilft, weshalb sein Artikel in Millennium mit hohen Verkaufszahlen wieder Unrecht in Recht verwandeln hilft - die Schwäche des Buches. Wir freuen uns, wenn sie auftritt und mit der selben kaltschnäuzigen Art, die Rechte von Schwachen durchsetzt. Sie macht alles richtig im neuen Roman, ist aber nicht nur zu sehr dea ex machina, an der alles hängt, sondern wirkt als Person überhaupt nicht mehr derart schräg und völlig einzigartig, wie sie bei Larsson vital aus den Zeilen sprang.

 

Sie ist auch leicht brav geworden, aber das ist es nicht, es ist einfach eine Verflachung des gesamten Personals eingetreten. Der schwedische Professor Balder bleibt blaß, dessen Frau agiert derart hilflos und dem Kind schädlich, daß man sie für diejenige hält, die in die psychologische Betreuung gehört, statt ihres Kindes August, der ihr anvertraut ist, den sie aber sogar ungehindert von ihrem neuen Lebensgefährten schlagen läßt. Das ist alles hanebüchen unlogisch und unpsychologisch. Andererseits macht der neue Autor seine Schwächen mit der Brisanz der Geschichte zwar nicht gut, aber hilft ihr voran, denn der eigentliche Plot, wobei auch noch die NSA und deren fragwürdige Kooperationen mit dem Verbrechersyndikat, der ist ja durchaus zeitgemäß. Zudem verwendet der Autor auch die landläufigen Mittel des Spannungsaufbaus, indem er Kapitel immer dann abbrechen läßt, wenn gerade ein spannende Situation da ist.

 

Doch das wiederholt sich zu oft. Mit einem Wort. Man kann das lesen, aber die Personen, die wir aus Stieg Larssons MILLENIUM lebten, die kommen entweder wie ihre Schatten daher oder sie agieren zu mechanisch. Allein das Kind August fesselt einen. Dies aber nicht durch die Beschreibung seiner Person, sondern allein durch sein Tun, aus dem, was er auf Papier aufschreibt. Für die Durchdringung einer Person und ein tieferes Interesse ist das zu wenig. Doch, wir waren enttäuscht, aber nun nicht so entsetzt, daß uns das Interesse an Millennium und vor allem an Lisbeth Salander genommen wäre. Schade, wir hätten gerne einen vierten Band mit den Materialien der Lebensgefährtin gelesen, Kann die nicht den fünften Band schreiben? Oder darf sie das nicht, weil sie nicht Erbin ist, obwohl sie 30 Jahre mit Larsson zusammenlebte und die Rechte an den Figuren bei seiner Familie liegen. Dann sollte man vielleicht das schwedische Erbrecht ändern.Oder einen Roman schreiben, wo genau dies von Lisbeth Salander initiiert und durchgeführt wird.

 

P.S. Doch, zur Stimme von Dietmar Bär, die man also über neun Stunden hört, muß man schon etwas sagen. Dietmar Bär, der im Fernsehen in einer Krimifolge auch einen Kommissar gibt, ist einer, der mit dunklem Timbre sehr viele Hörbücher spricht. Hier nun machten wir eine interessante Erfahrung. Man hört ihn sonst mit seiner markanten Stimme eigentlich immer heraus. Wir hatten aber beim stundenlangen Hören den Sprecher gar nicht weiter registriert, ihn überhaupt nicht mitbekommen, sondern waren die vielen Stunden nur ins Hören vertieft und fragten uns keinmal, wer da eigentlich spricht. Natürlich hätten wir es herausbekommen, aber das Sonderliche war, daß wir uns keinen einzigen Gedanken um den Sprecher machten. Wenn so was passiert, dann muß man sagen, daß der seine Sache sehr gut gemacht hat.

 

Info:

David Lagercrantz, Verschwörung, Heyne Verlag

David Lagercrantz, Verschwörung, gelesen von Dietmar Bär, 2 mp3-CDs, Gesamtspielzeit ca. 9 Stunden, 10 Minuten, Random House Audio