Frank Witzel erhält den Deutschen Buchpreis 2015 für seine ERFINDUNG, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß wir den titelsprengenden Titel Witzels Roman DIE ERFINDUNG DER ROTEN ARMEEFRAKTION DURCH EINEN MANISCH-DEPRESSIVEN TEENAGER IM SOMMER 1969 als ERFINDUNG abkürzen dürfen, das hat uns und allen anderen der Preisträger direkt nach der Preisverleihung in seinen staunenden Worten erlaubt. Er nannte die Jury mutig. Das sehen wir auch so, aber auch, daß die Entscheidung gut und richtig ist.

 

Mit Frank Witzel werden also viele ausgezeichnet, die den Mut hatten, ein völlig unordentlich vitales, vor Witz sprühendes, mit Poesie und Musik durchsetztes, aber auch geschichtlich reflektiertes Werk, schließlich geht es um das Großwerden in der alten Bundesrepublik in ihren in dörflichen Strukturen am Rande der Metropole, auszuzeichnen. Vor allem aber wird auch ein eher kleiner Verlag Matthes & Seitz Berlin ausgezeichnet, für den es ein gewaltiges Unterfangen gewesen sein muß, sich auf ein 803 Seiten starkes Buch, das dazu noch 14 Seiten Register braucht und eine Inhaltsangabe von 9 (!) Seiten hat, einzulassen.

 

Darüber wird noch zu sprechen sein, ob beides zusammengehört, das ungewöhnliche und ungewöhnlich lange Buch und der Verlag, der sich des auf dem Literaturmarkt unbekannten Frank Witzels annahm, der zwar schon veröffentlicht hatte, dies aber woanders. Ob also in den Maschinerien der großen Verlage solch ein Buch, das den Deutschen Buchpreis erhalten hat, gar nicht vorwärtsgekommen wäre. Wir könnten dort einige nennen, die es ablehnten, Witzels Buchpreisbuch in ihr Programm zu nehmen. Die werden sich ärgern! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, daß das Buch gelesen wird und mit welcher, ausgesucht guten Stimmung dieser Abend im Frankfurter Römer lief und ausklang.

 

Es war die 11. Buchpreisverleihung und das Schöne an diesem nun Tradition gewordenen Abend als Auftakt zur am Dienstag festlich gefeierten Eröffnung der Frankfurter Buchmesse war, daß jeder wußte, was nun kommt, wie die nächste Stunde verläuft, nur das eigentliche Ereignis, die Preisgabe des Preisträgers, die kommt am Schluß, wo dann der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, ans Rednerpult trat und schlicht sagte: Frank Witzel und in aller Kürze die Urkunde überreicht wurde, zu der Gott sei Dank auch ein Scheck von 25 000 Euro gehört. Denn der Preis soll nicht nur ein Ehrenpreis sein und zu höheren Verkaufszahlen führen, sondern für den Schriftsteller auch Handliches bedeuten.

 

Von daher nun ist auch erlebniswert, wie souverän und solidarisch man die Kollegen Schriftsteller empfinden konnte, die fünf, die zwar in die engere Auswahl der Sechserliste (drei Frauen, drei Männer) gekommen waren, aber eben nicht Preisträger wurden. Wie beispielsweise die, auf die alles zuzulaufen schien, Jenny Erpenbeck mit GEHEN, GING, GEGANGEN. Sie freute sich sichtlich über den Preis für Witzel und meinte, man sei überhaupt eine gute Auswahlgruppe gewesen. Auch Rolf Lappert, ÜBER DEN WINTER, freute sich für Frank Witzel und staunte auch ein bißchen über die Jury, aber positiv. Und Inger-Maria Mahlke mit WIE IHR WOLLT war genauso wie Monique Schwitter, die EINS IM ANDERN im Literaturverlag Droschl in Graz veröffentlicht hat, mit der Auswahl und dem Preisträger völlig einverstanden. Mit Ulrich Peltzer, DAS BESSERE LEBEN, konnten wir nicht sprechen, nehmen aber das Beste an und verbreiten gerne weiter, daß ja der Buchmessenchef Juergen Boos für sich Peltzers Buch als das beste empfunden hatte. Ein Trostpreis.

 

Zurück auf Anfang, wo die Zeit ihr Zepter schwang, was der Veranstaltung sichtlich gut tat. Denn, da alles im Fernsehen übertragen wurde, mußten die Zeitvorgaben eingehalten werden. Das tat Felix Semmelroth, Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, als Hausherrn des Römers sichtlich gut. Er lobte, was aus dem Preis seit der ersten Vergabe 2005 geworden ist, daß er tatsächlich die erreicht, um die es geht: das Lesepublikum. Kein anderer Preis schaffe diese Öffentlichkeit, es sei die unmittelbarste zentrale Literaturförderung, die man sich vorstellen könne. Zwar lag Semmelroth mit seiner Aussage von den über 600 eingereichten Romanen durch die Verlage angesichts der knapp 200 gleich über dreimal so hoch, aber das verzieh ihm vor allem die Jury besonders gerne, für die ja schon die Sichtung der genau 199 Bücher ein Herkuleswerk ist, von denen dann sicher die letzten 20 von allen von vorne bis hinten gelesen wurden, erst recht die letzten Sechs.

Fortsetzung folgt.

 

 

INFO:

 

Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2015 gehören an: Markus Hinterhäuser (Wiener Festwochen), Rolf Keussen (Mayersche Droste, Düsseldorf), Ursula Kloke (Botnanger Buchladen, Stuttgart), Claudia Kramatschek (freie Kritikerin), Ulrike Sárkány (Norddeutscher Rundfunk), Christopher Schmidt (Süddeutsche Zeitung) und Bettina Schulte (Badische Zeitung).

 

Der Deutsche Buchpreis und sein Findungsverfahren rücken nicht nur den eigentlichen Preisträger in den Mittelpunkt, sondern vielmehr eine ganze Reihe von Büchern, die sonst nicht diese Aufmerksamkeit der Leser erhalten hätten. Jeder, der sich für Bücher interessiert, wird neugierig gemacht, weil nicht nur ein einzelner Rezensent über ein Buch urteilt, sondern weil sich eine Gruppe von sieben kundigen und lesebegeisterten Kritikern und ausgewiesenen Fachleuten durch die wichtigen Neuerscheinungen der letzten Monate gelesen hat. Die Long- und Shortlist sind Destillate dieses Diskussions- und Meinungsbildungsprozesses. Und das Endergebnis, die Wahl des Romans des Jahres, rückt dabei ein Buch ins Rampenlicht, ohne die anderen vergessen zu machen“, sagt Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

 

Frank Witzel hat sich durchgesetzt gegen: Jenny Erpenbeck (Gehen, ging, gegangen, Knaus), Rolf Lappert (Über den Winter, Carl Hanser), Inger-Maria Mahlke (Wie Ihr wollt, Berlin Verlag), Ulrich Peltzer (Das bessere Leben, S. Fischer) und Monique Schwitter (Eins im Andern, Droschl)

 

Er erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro. Der Preisträger wurde in mehreren Auswahlstufen ermittelt. Die sieben Jurymitglieder haben 199 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2014 und dem 16. September 2015 erschienen sind. Aus diesen Romanen wurde eine 20 Titel umfassende Longlist zusammengestellt. Daraus haben die Juroren sechs Titel für die Shortlist gewählt.

 

Mit dem Deutschen Buchpreis 2015 zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Förderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind zudem die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.

 

Exklusive englische Übersetzungen von Leseproben der sechs Shortlist-Titel sowie ein englischsprachiges Dossier stehen unter www.new-books-in-german.com bereit.

 

 

www.deutscher-buchpreis.de.