Endlich ein neuer Roman von fred Vargas: das barmherzige fallbeil, Limes Verlag, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Den Pariser Mordfällen liegen offensichtlich Ereignisse vor zehn Jahren auf einer Reise französischer Touristen nach Island zu Grunde. Aber zu offensichtlich erinnert ein Zeichen, das sich bei allen Toten findet, auch an die französische Revolution.

 

Die Kunst der Fred Vargas ist es nun, wie sie diese beiden Motivbündel miteinander in einen Zopf flicht, bei dem mal der eine Strang sichtbar und den anderen verbergend, und dann wieder das Untere nach oben gekämmt ist. Das eine ist also eine Islandfahrt vor vielen, nämlich genau zehn Jahren, wo die Franzosen mit zwei Mitgliedern weniger zurückkamen. Die sind nämlich vom Afturganga – das ist der Untote, der Dämon, der über die Insel herrscht – mitten im Schneesturm geholt worden. Von dem war die Gruppe überrascht worden, als sie nur kurz auf einer unbewohnten kleinen Insel Halt machte und nicht mehr vor noch zurückkonnte. Erst nach dem tagelangen Sturm wurden die Überlebenden gerettet. Und aus dieser damaligen Touristengruppe stirbt eine pensionierte Mathematiklehrerin. Angeblich ein Selbstmord, aber ein merkwürdiges Zeichen, das der Guillotine ähnelt, ruft den Adamsberg und die seinen auf den Plan.

 

Und Tage drauf, der nächste Selbstmord. Der angebliche. Da trifft es den reichen Schloßherrn, an dessen Sohn die Mathematiklehrerin vor ihrem Tod einen Brief gerichtet hatte, den dieser mit den Andeutungen, die zwei Verschwundenen von Island seien einem Verbrechen zum Opfer gefallen, auch erhalten hatte, sie besucht hatte, nach Hause kam und der Vater daraufhin just die Mathematiklehrerin nachahmt, mit dem Selbstmord, allerdings erschießt er sich und schon wieder: dieses Zeichen. Als dann herauskommt, daß beide auf dieser Islandfahrt dabei waren, wo sogar die Ehefrau des Schloßherrn die eine Person ist, die verschwand, ahnen wir eine private Tragödie. Doch auf einmal ist alles ganz anders. Denn die beiden und weitere Mitglieder der Islandgruppe auch, nehmen an den Treffen einer Geheimgesellschaft teil, die die scharfzüngigen Reden vom Revolutionsführer Robespierre nachspielen.

 

Einzigartig, wie Fred Vargas hier wieder ein Ziel außerhalb Frankreichs mit einer genuin französischen Sache mischt, sie aufeinander bezieht, durcheinanderwirbelt. Bleibt Island der Ort, wo die Mystik waltet, die Naturgewalten personifiziert werden und Adamsberg so richtig in seinem Element des Erspürens ist, des Zuhörens, des Ahnens, des Somnambulen, so wird die Geschichte um diese Geheimgesellschaft in Paris zum Höhepunkt des kristallinen Geisteskampfes mit dem Florett der Revolutionstheoretiker von einst. Und da es um die historischen Reden im Nationalkonvent geht, die für geschichtserprobte Franzosen zur grundlegenden Bildung gehören, lernen wir nicht nur das Wort als Schwert von Robespierre kennen, sondern auch die verbalen Streitäxte der anderen erlauchten Herrschaften: Danton, Fouché, Desmoulins und endlich mehr über St. Just, dem man in Deutschland viel zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Wirklich.

 

Und jetzt kommt es. Diese Reden werden nicht nachgesprochen, sondern mit voller Kostümierung nachgespielt. Sie werden regelrecht verkörpert und die Perücken – Robespierre ging nie ohne eine, was uns heute nicht besonders revolutionär erscheint, im Gegenteil – und vor allem die Schminke (!) stellen sicher, daß hinter den dargestellten Personen die Träger der Rolle nicht sichtbar, höchstens zu ahnen sind. Geheimgesellschaft also auch in dem, daß deren Mitglieder voneinander wenig wissen.

Alles wird vom Präsidenten der Gesellschaft, FrançoisChateau, zusammengehalten, der uns sowohl als Verdächtiger wie auch als nächstes Mordopfer suggeriert wird und der sich auch genetisch in der Ahnenreihe auf Robesspierre bezieht. Aber hatte der den Kinder? Doch nicht?! Auf jeden Fall ein buntes Völkchen, das wir kraftstrotzend und gedankenvoll erleben. Und das Eigenartigste: alle eingenommenen Rollen und Kostüme müssen im Turnus gewechselt werden. Es gibt also kein Verwachsen mit der Rolle, alles bleibt Spiel.

Aber ein mörderisches.

 

Nein, mehr erzählen wir jetzt nicht. Denn eigentlich geht es nie um die Inhalte allein, so spannend, skurril, absonderlich die wieder ausgefallen sind, sondern eben auch um die Art der Ermittlung im 13. Arrondissement, wo die Stammannschaft einem über die Romane so ans Herz wächst, daß man die Akteure auch diesmal wie im Abbild vor den eigenen Augen sieht, so lebendig kann Fred Vargas sie mit Worten malen. Daß sich etwas Gravierendes mit dem Ermittlerpaar Adamsberg und seinem Stellvertreter Capitaine Danglard tut, hatten wir schon angedeutet. Der ist wieder der treue Diener seines Herrn, aber...Lesen Sie selbst.

 

Foto: die Autorin