Träger des Geschwister Korn und Gerstermann-Preises 2015. Preisverleihung am 6. Dezember in Frankfurt

 

Gerhard Wiedemann

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev erhält am 6. Dezember 2015 den Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann-Stiftung in Frankfurt erhalten. Hintergrund ist das Lebenswerk des Autors, der in Israel zu denen zählt, der die Bevölkerung geradezu zwingt „Meinungen“ zu haben, diese auszusprechen und zu begründen.

 

Mit dem Preis von 50 000 Euro wird Segevs Lebenswerk als Autor zahlreicher Bücher gewürdigt, die auf der Grundlage von neu erschlossenem Archivmaterial, unveröffentlichten Privatdokumenten und Zeitzeugeninterviews zur neuen Bewertung sehr komplexer Zusammenhänge und in der Folge zur kritischen Revision des bis in die 1990er Jahre herrschenden Geschichtsbildes in und über Israel beitrugen.

 

Er wird zur Gruppe der „Neuen Historiker“ gezählt, die in den späten 1980er Jahren einen israelischen „Historikerstreit“ auslösten. Durch seine hohe persönliche Integrität konnte er in seinem Land ebenso wie im Ausland eine selbstkritische Öffnung der Geschichtsdebatte über entscheidende Phasen der Geschichte Palästinas und Israels entscheidend anregen und den Geschichtsdiskurs über Israel bis heute prägen. Seine vorbehaltlose Offenheit zur Neubetrachtung der Vorgeschichte und ersten Jahrzehnte des israelischen Staates sowie seine Arbeiten über den Holocaust und seine Nachwirkungen begründeten seine Glaubwürdigkeit und Anerkennung als Historiker und Kommentator weit über Israel hinaus.

 

Diese doppelte Beschäftigung mit israelischer und deutscher Geschichte macht ihn zugleich für das deutsche Publikum zu einem der einflussreichsten Vermittler der israelischen Geschichtsdebatte und viel gefragten Analyst des deutsch-israelischen Verhältnisses hierzulande.

 

 

Über Tom Segev

 

Tom Segev wurde 1945 kurz vor Kriegsende in Jerusalem geboren, seine Eltern wanderten 1933 aus Deutschland aus und ließen sich 1935 in Palästina nieder. Sein Vater Heinz Schwerin war Architekt, seine Mutter Ricarda Meltzer Fotografin, beide lernten sich als Studenten am Bauhaus in Dessau kennen. Seine Dissertation (Univ. of Boston/USA) widmete Tom Segev den „Soldaten des Bösen - Zur Geschichte der KZ-Kommandanten“ (gedruckt 1988, deutsch 1992), und sein zweites Buch „Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung“ (1991, deutsch 1995) setzte die Beschäftigung mit dem Holocaust mit einem anderen Focus fort: Er vertrat die provokante These, dass die zionistische Bewegung vor und auch lange nach der israelischen Staatsgründung 1948 der Auslöschung und den Leiden der europäischen Juden nahezu passiv oder sogar gleichgültig gegenüberstand. Auch den Ambivalenzen der nach dem Eichmann-Prozess von 1961 in Israel einsetzenden Integration des Holocaust in die nationale Erinnerungspolitik ist das Buch gewidmet.

 

In „Es war einmal in Palästina“ (1999, deutsch 2005) griff er einen weiteren Grundpfeiler des bis dahin geltenden Geschichtsbildes an: Die Rolle der britischen Mandatsmacht (1917-1948) in Palästina wird von ihm radikal neu bewertet. Sie sei nicht pro-arabisch gewesen, vielmehr hätten die Briten das zionistische Staatsprojekt gefördert. Segev erhielt dafür den National Jewish Book Award. In „1967, Israels zweite Geburt“ (2005, deutsch 2007) stellte Segev einen weiteren Pfeiler im israelischen Geschichtsbild in Frage: Der Sechstagekrieg war nicht unvermeidbar und die Truppen der arabischen Nachbarn nicht überlegen. Derzeit schreibt Segev an einer Biografie des israelischen Staatsgründers David Ben Gurion, mit dessen Rolle er sich seit seiner Studentenzeit beschäftigt. Es wird die zweite große Biografie in seinem Oeuvre: nach „Simon Wiesenthal. Die Biographie“ (2010) sein.

 

Segevs Bücher verbinden stilistische Eleganz mit Erzählfreude und scharfsinniger Analyse, unter Einbeziehung einer ungewöhnlichen Breite und Vielfalt von Materialien als Quellen. In angelsächsischer Tradition richten sich seine Bücher an eine breite Öffentlichkeit und werden in der Tagespresse diskutiert. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt.

 

 

Über den Preis

 

Der Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann -Stiftung würdigt literarische,

publizistische und kulturelle Bemühungen um den Frieden in Israel und darüber hinaus in der ganzen Welt. Er wird alle drei Jahre vergeben und ist zurzeit mit 50.000 Euro dotiert. Gestiftet haben ihn Abraham Korn und seine Schwester Rosa Gerstenmann im Jahr 1987 zum Gedenken an ihre im Konzentrationslager Majdanek ermordete Nichte Sarah Gerstenmann. Bisherige Preisträger waren:

 

Schimon Peres (2001)

 

Amos Oz (2003)

 

Daniel Barenboim und Edward Said (2006)

 

Sari Nusseibeh und Itamar Rabinovich (2009)

 

Avi Primor (2012

 

 

 

Die Laudatio auf Tom Segev hält Prof. Dr. Raphael Gross, scheidender Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt und neuer Direktor des Simon Dubnov-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig. Die Preisverleihung findet am 6. Dezember im Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt statt.

 

 

Die Bücher Tom Segevs werden in Deutschland vom Siedler Verlag verlegt.