Das 3-bändige Kant-Lexikon von De Gruyter kann über die akademische Sphäre hinaus wirken

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zu allen Zeitperioden wurde Kants 'Kritik der reinen Vernunft' für Studierende in einer bestimmten Phase des Philosophiestudiums zur angenommenen Herausforderung, an der sich der Intellekt bewähren wollte, auch wenn es das anschließend mit der Arbeit an Kant erstmal gewesen war.

 

Aber die Arbeit mit Kant hat ihren bleibenden Ertrag, der nie mehr verloren geht. Sie weitet die Augen des inneren Verstandes für die Problematik der Erkenntnis, die fragt, wie denn Erkenntnis möglich sei. 'Seid mal arg vorsichtig', mahnte uns stets ein Lehrer. Er meinte es in Bezug auf die Religionskritik, die wir vortrugen, aber er hätte dieses Konzept auf die gesamte Erkenntnis aller Gegenstände der realen und ideellen Welt beziehen müssen. Das Packende an Kant ist die mit der 'Transzendentalphilosophie' verbundene kritische Wendung auf das Subjekt der Erkenntnis, revolutionär zu seiner Zeit.

 

Kants philosophische Mega-Anstrengung, wie sie heute im Diskurs lauten möge, die ihn zur singulären Erscheinung machte, auch weil er sich nirgendwo anbiederte, befördert eine innere wie äußere Haltung der Erkenntnis, eine Verantwortlichkeit für die Funktionen der Begriffe und Vernunftakte, betreffe sie die weltlichen oder höheren bis allerhöchsten Gegenstände - zu denen es die Vernunft auch drängt.

 

Kant beförderte die skeptische Methode im Gegensatz zu dem menschlich leider sehr üblichen unmittelbaren Hindenken auf 'etwas', sowohl im Rahmen der Gebiete der Erkenntnis selbst oder in den unterschiedlichsten Welterkenntnisgegenden bis hinauf zu den entlegendsten. 'Methode' ist aber schon zu weit gegangen, denn Kant war kein Methodiker. Er bewegte sich im Feld vor jeglicher Methode. Er schuf keine Apparatur etwa für Weltaneignung und entwarf keine fest umrissene Systematik zum sichereren Gang durch das grenzenlose System der Welten, was vorkritisch Gestimmte immer noch an die Philosophie als Erwartung heranbringen, wenn sie in die Akademie eintreten. Dies alles gerade überhaupt war nicht in Kants Interesse. Er lieferte ein verpflichtendes Memento, indem er ein Bewusstsein für die unabschließbare Problematik der nie endenden Springsteine des Erkennens und der Erkenntnis hervorrief. Selbst ein 'im gemeinen Verstande' (seine Diktion) verankerter Kant ist zu keiner späteren Zeit mehr hinterschreitbar. Nicht nur Kant zu erklären hat eine Schwierigkeit: denn was zu erklären war, ist ein im Felde der Erklärung immer auch schon 'Gegebenes'. Jede Erklärung ist notwendig zirkulär, wie die Erkenntnis als solche.

 

 

Denkrealismus und Kritizismus

 

Die realistische Einstellung ist die vorkantische, es ist eine vorkritische. Die kantische aber ist eine eine transzendentale Haltung. Kant unternimmt die kritische Bewegung gegen das unbedarfte Denken, gegen das erkennende Ich, noch einmal ganz anders als Descartes mit dem 'Ich denke...'. Er fragt: wie sind synthetische Urteile apriori überhaupt möglich? Entscheidend ist dieses 'überhaupt'. Es bedeutet: wie ist Erkenntnis also solche überhaupt möglich, vor aller spezifischen Erkenntnisleistung (im einzelnen). Diese Frage bezieht sich zunächst auf die Tagesarbeit, das gewöhnliche Geschäft der Erkenntnis.

 

Als transzendental-philosophischer Aufklärer liefert Kant auch keine Voraussetzung für den Griff ins Unbedingte, wie Heidegger das später tut, der tatsächlich Kant so uminterpretieren will, dass er die synthetischen Urteile apriori Kants letztlich in eine 'ontologische Synthesis' überführen will (vergl. 'Kant und das Problem der Metaphysik'), in eine Metaphysik der 'Seiendheit', die als sozusagen stabile Metaphysik angelegt ist. Das ist ganz und gar widerkantisch. Überhaupt ist das bloße Meinen eines Kantfolgers ein unmöglich´ Ding. Kant wird auf diese Weise vergewaltigt. Mit Heidegger ging der Irrsinn dann erst 'richtig los', der mit Hegel und der Ansage: 'Das Ding an sich muss zum Ding für uns werden' begonnen hatte. Damit wurde auch der Grundstein für die Depravation der Lehre von Marx zu einer fragwürdigen Identitätslehre gelegt.

 

Kant konnte und wollte keine Wege in abschlußhafte Welterklärung liefern oder gar Legitimationen für religiöse Überspanntheiten begründen, mit der in unseren Tagen übelste Verbrechen gerechtfertigt werden, obgleich Kosmos, Unendlichkeit, Unsterblichkeit und Freiheit für ihn immer Themen der praktischen Vernunft waren, aber allein einer transzendental-kritischen. Auch gut gemeinte Ideen, mindere wie höchste, können nur eine regulative Funktion einnehmen, d.h. sie müssen sich ein Korrektiv gefallen lassen. Sie bewegen sich im Feld der Postulate, ein inneres willentliches Vermögen drängt zu ihnen hin.

 

Kant lieferte eine Richtschnur für die mögliche Erfahrung und Erkenntnis 'nur' als solcher überhaupt,d.h.: redlicherweise. Das alles entscheidende Diktum, für das Kant steht, war für den Philosophiestudenten immer: Die angemaßte Erkenntnis des Dings an sich, also eines Unbedingten - für das der Name Gott auch nur eine Deckbezeichnung ist, nur ein Wort sein kann - wechselt in eine Sphäre, die die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung 'als solcher überhaupt' (über diesen lediglich postulierbaren Gegenstand) auf alle Zeit übersteigt, sie gilt daher als gleichgültig, als hinfällig. Auch ein 'transzendentaler' Gottesbeweis ist nicht möglich.

 

Kant lehrte also Vernunftkritik, den kritischen Gebrauch der Begriffe, Urteile und Schlussfolgerungen (anhand von Urteilen), sowie den kritischen Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe - auch als Kategorien bezeichnet -, zu denen der Raum als solcher zählt. Dieser Raum ist nicht der Erfahrung einzelner Räume abgenommen, er ist ein Konzept bzw. eine Gegebenheit a priori der 'reinen Anschauung'.

 

Faszinierend an Kant ist auch die Erkenntnis einer besonderen Leistung des Intellekts: die der Spontanität, ohne die Erkenntnis unmöglich ist. Erkenntnis rührt also nicht allein vom Objekt her und ist auch nicht im wesentlichen nur eine Leistung der physikochemischen Erkenntnismaschinerie, sondern ein besonderes Vermögen der Vernunft.

 

Kant wird in den Schulen oft exemplarisch für einen Philosophen und als repräsentativ für die Arbeit der Philosophie 'durchgenommen'. Eine adäquate Ausgabe des Lexikons für Schulen wird es wohl nicht geben, eine Studienausgabe allerdings könnte es geben. Es gibt übrigens die Praxis der 'Schülerstudierenden' über Fernstudium mit Vorlesungen und Seminaren. Ein Vorläufer des neuen Kants-Lexikons war die Ausgabe von Rudolf Eisler, 'Kant-Lexikon', der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung aus dem Jahr 1930. Früher kam Kant in Biographien als alter Mann daher, der seinen Senf anrührt, dies ist aber nicht der Fall in der Kant-Biographie von Manfred Kühn: 'Kant', von 2007. Er widmet sich auch dem jüngeren Kant.

 

Info:

Kant-Lexikon, 3 Bände, Herausgeber: Marcus Willaschek, Stefano Bacin, Georg Mohr, Jürgen Stolzenberg, Verlag Walter de Gruyter, 16. Oktober 2015

ISBN-13: 9783110172591 ISBN-10: 3110172593 Best.Nr.: 36199551