Streichquartett von Anna Enquist, Luchterhand Verlag, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie ein Deus ex machina taucht bei der Probe auf dem Hausboot eine Person auf, die das Geschehen gründlich durcheinanderwirbelt. Er sorgt dann auch noch im Haus von Reinier, wohin er die Vier verschleppt, für die Konfrontation aller mit ihrem eigenen Leben. Spätestens jetzt empfindet der aufmerksame Leser das Ganze als überkonstruiert.
„Das reinste Vogelgezwitscher, denkt Hugo, wenn ich auch ein paar Noten weglassen mußte. Was für eine tolle Partie, was für ein großartiger Komponist. Phantastisch, wie die Bratsche am Schluß die Kadenz vom Anfang wieder hineinbringt, schön macht Jochem das. Jetzt ist aber Zeit für ein Gläschen, nach so einem Abschluß kann nicht nicht gleich weitermachen.
Er lehnt sich zufrieden zurück, die Geige aufrecht auf dem Knie. Da sitzt jemand auf dem Sofa, sieht er. Komisch. Dieser Blumenbote war doch gegangen? Der Mann hat Kontakt zu Heleen, Hugos sieht sie ein wenig verlegen ein halbes Lächeln aufsetzen, während der Mann sie anstarrt. Ein Bekannter? Hat sie ihn eingeladen...'Wer ist der Mann?', fragt sie leise. 'Keine Ahnung. Ein Freund von Helleen?' 'Ach. Ich dachte, es ist ein Nachbar von dir. Er sitzt da mit Reiniers Partitur in den Händen, als ob er hier zu Hause wäre. Solltest du nicht mal fragen?'“ beginnt in Kapitel 43 das, was sich zum Horror auswächst.
Doch man hat auf einmal den Eindruck, daß nicht die Menschen hier das Geschehen bestimmen, sondern, daß sie ein Konstrukt, das schon vorher abstrakt vorlag, mit Leben füllen sollen. Die Sätze lesen sich fremd. Solche Empfindungen verstimmen.
Man scheut sich, die Werke eines Schriftstellern als Fortsetzung oder Begründung des Schriftstellerlebens zu interpretieren. Aber bei der 70jährigen Anna Enquist liegen diese Überlegungen durchaus nahe. Daß sie eine ausgebildete Konzertpianistin ist, hört man angesichts ihrer fachkundigen Ausführungen im Roman gerne und daß sie als Psychoanalytikerin gearbeitet hat, ist auch keine Überraschung. Daß sie allerdings selbst eine Tochter verloren hat, läßt das Ehepaar mit den zwei im Bus verunglückten Söhnen auf einem anderen Hintergrund erscheinen, wozu für uns gehört, daß keine einzige Tochter im Roman vorkommt, aber mit denen von Carolien und Heleen insgesamt fünf Söhne.
Sie selbst sagt dazu: "Als ich meine Arbeit an dem Roman "Die Eisträger" abgeschlossen hatte, es war im Sommer, starb unsere Tochter in einem Verkehrsunfall. Sie war erst 27 Jahre alt. Ich kann nur darüber sprechen, wie dieses Unglück mein Leben als Schriftstellerin verändert hat: In der ersten Zeit danach konnte ich eigentlich gar nicht schreiben. Das Erstaunliche aber war, dass ich in diesen ersten Monaten wieder angefangen habe Klavier zu spielen. Ich denke, das hat damit zu tun, dass ich Klavier gespielt hatte, bevor ich Kinder bekam, und natürlich ist das Musikmachen eine gute Medizin für Körper und Seele."
Dies spürt man im Roman dann doch zu bemüht, denn abgesehen davon, daß die Geschichte und Lebenssituation dieser Vier im Miteinander konstruiert erscheinen, ist dann der Schluß gewaltsam, nicht, weil er gewaltsam abläuft, sondern weil diese Lösung im Ablauf der Geschichte gewaltsam herbeigeführt wird. Das sind die Überlegungen am Schluß. Lange liest man erst einmal das Geschehen gerne, vor allem, wenn es um den alten Cellospieler Reinier geht, den wir uns wirklich in einem weiteren Roman gut vorstellen können.
Info:
Anna Enquist, Streichquartett, Luchterhand Verlag 2015