Lebenserinnerungen des Malerbruders Ludwig Emil Grimm als Buchpräsentation Donnerstag, 10. Dezember im Goethehaus Frankfurt, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt keine Zufälle? Wenigstens staunten wir nicht schlecht, als am Sonntagvormittag in 3 SAT Denis Scheck im lesenswert quartett als seinen persönlichen Favoriten zum Kaufen und Lesen das Buch vom Malerbruder LUDWIG EMIL GRIMM benannte, just das Buch, an dessen Rühmen seiner Präsentation im Goethehaus wir gerade sitzen und schreiben.

 

Und damit wir endlich dazu kommen, verzichten wir auf das andere Rühmen, das der Einrichtung der Anderen Bibliothek galt, die wie eine zu schöne Braut mehrfach den Besitzer wechselte, was aber so faszinierend und umfänglich ist, daß wir hier jetzt sofort auf den neuen Band kommen, der gleich auf Seite 9 zur Einführung von den Grimms berichtet: „Die Grimms lassen sich bis 1508 in Hessen zurückverfolgen, als Peter Grim oder Grym aus Friedberg Bürger von Frankfurt wurde. Ihr Leben lang sollten die drei Brüder Jacob, Wilhelm und Ludwig – Louis oder auch Luis genannt – mit Hessen verbunden bleiben. Ludwig Emil, der am 4. April 1963 in Kassel starb, wohnte dort die längste Zeit seines Lebens.“

 

Das aber hatten wir sozusagen heimlich gelesen, während unsere Ohren den Meriten der Anderen Bibliothek lauschten. Und dann kamen die beiden Verfasser zur Sache und zeigten der Versammlung, was eine gut vorbereitete Buchpräsentation ist, wo der eine das eine, der andere das andere übernimmt, des Scherzens hin und her kein Ende ist und eine so wohlige Mischung zwischen oft Geübtem und vom Himmel fallendem Spontanen entsteht. Das nämlich gerade machte an diesem Abend die Atmosphäre aus, das Vertrautes mit gänzlich Neuem mischte. Denn in der Tat hatten fast alle überhaupt keine Ahnung, was es mit diesem dritten Bruder auf sich hat, der sich den Abend über als einer, der es faustdick hinter den Ohren hat, entpuppte, so witzig, so hinterfotzig auch, so das Geschehen durchschauend und es mit Stift – ob malend oder schreibend – sanft karikierend, wurde er den Zuhörern nach und nach vertraut. Und beliebt.

 

Für Boehncke kam dieser Louis mit dem heutigen Abend nach Hause, denn sechs Abbildungen im Buch gehören dem Goethehaus, die bald das Romantikmuseum bestücken werden. Und dahin gehört auch Emil Ludwig, der als erstes mit unserem Bild als junger Mann mit modischer Frisur, ein typischer Stürmer und Dränger, physisch vorgestellt wurde. Es ist ein Selbstbildnis und zeigt einen Urromantiker mit der sowohl forschenden wie verträumten Miene und der himmelwärts stürmenden Frisur, die wie von heute aussieht. Aber nicht von gestern, dachte man sich dann, weder als die Pilzköpfe modern waren, noch die 08/15 Haarschnitte, die im Jahr 2015 auch mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, wie alles, was nach 08/15 aussieht, riecht oder mahnt.

 

Wir hörten auch, daß der jüngste der Brüder der stürmischste war und daß seine Aufzeichnungen niemals für die Außenwelt gedacht waren, sondern für sich selbst und die Familie aufgeschrieben wurden. Wie gut, daß er sich das Schreiben traute, denn Orthographie war ihm ein Fremdwort, wie Kommata auch, denn die älteren Brüder sind die bildungsbürgerlichen, für ihn war keine Zeit, kein Geld für Ausbildung da. Daß aber Mutterwitz und ein klarer Verstand, auch die Möglichkeit, aus sich selbst herauszutreten und die Umwelt distanzierter zu betrachten, wichtiger sind als Rechtschreibregeln, dafür wurde dieser Abend ein eindrückliches Beispiel.

 

Wir lachen heute, wenn wir das, was wir Fehler nennen, vor Augen bekommen, aber wir lachen nur, wenn wir es sehen. Denn, wenn wir es hören, entfaltet es seinen Sinn, denn Grimm schrieb phonetisch, also so, wie er es hörte, so daß man dann sofort weiß, um was es geht. Da nicht für die Allgemeinheit gedacht, mußte sich Grimm sowieso keine Gedanken um die Form machen, aber so ein klein wenig bleibt bei Boehncke und Sarkowicz dennoch die Vermutung im Hintergrund, ob Grimm nicht doch an eine Veröffentlichung gedacht habe. Zwei Dinge sind dabei wesentlich. Es handelt sich nicht um eine illustrierte Schrift. Nein, der Malerbruder malt und zeichnet woanders und schreibt in dieser Kladde nur die Buchstaben und Worte hinein. Unter denen fehlen aber ganze Passagen. Mitten aus dem Blatt sind sie herausgeschnitten und kein Mensch weiß, ob es amouröse Absätze, zu viel offenbarende, oder zu politische oder zu beleidigende oder sonstwas war. Herausgeschnitten wurde. Das kann natürlich auch ein Nachfahr gewesen sein, denn schon zweimal sind die Lebenserinnerungen ediert worden: 1911 und 1950. Allerdings noch nie in der Form, wie sie die Andere Bibliothek nun als Blickfang und Ziegelstein gleichermaßen vorlegt: Schrift und Bild.

 

Die reiche Bebilderung nun wiederum war nur möglich, weil die statt Kassel 600 Abbildungen zur Verfügung stellte, die zu den anderen Bildwerken hinzukamen und ohne die dieses Buch nicht gemacht worden wäre. Zwei sind für die gefundene Einheit von Text und Bild zuständig. Der Künstler Albert Schindehütte und die freundlich begrüßte, weil anwesende Barbara Kloth, „deren kluge Geduld und ästhetische Kraft beim Umgang mit Hunderten Bilddateien uns so sehr gefreut und ermuntert hat.“ Fortsetzung folgt.

 

 

 

Info zu den Verfassern:

 

Hans Sarkowicz kommt aus der Grimmgegend, aus Gelnhausen nämlich, wo er 1955 geboren wurde und seit 1979 die Leitung des Bereichs Kultur und Wissenschaft im Hessischen Rundfunk innehat. Er hat sich schon mehrere hessische Verdienstorden erarbeitet, denn neben Biografien über Erich Kästner, Heinz Rühmann etc. und seinen grundlegenden Forschungen zum Radio der NS-Zeit, seinem mit Kollegen Alf Mentzer veröffentlichten Schriftstellerlexikon LITERATUR IM NAZIDEUTSCHLAND, hat er unzählige Schriften und Bücher über hessische Literaten herausgegeben. Viele mit Heiner Boehncke.

 

Heiner Boehncke , 1944 in Schwarzenfels geboren, war Hochschullehrer für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität und an der Uni Bremen, wo Boehncke auch bei Radio Bremen mitarbeitete und ab 1988 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Hessischen Rundfunk wurde und seit 1998 Literaturredakteur im Bereich Kultur und Wissenschaft, dem nämlichen also, dem Hans Sarkowicz noch heute vorsteht. Ganz schön traditionsverbunden, der Hessischen Rundfunk, fällt einem dazu ein. Boehncke jedoch hat weit darüber hinaus in Hessen an der Konsolidierung hessischer Literatur früher und jetzt mitgewirkt. Er hat den Hessischen Literaturrat mitbegründet, der „die reiche literarische Tradition Hessens einer breiteren Öffentlichkeit bewußt zu machen und somit zur kulturellen Identität des Landes beizutragen“ hat. Und er ist Künstlerischer Leiter des anspruchsvollen Rheingau Literatur Festivals, das Teil des Rheingau Musikfestivals ist und außerordentlich erfolgreich wirkt. Und er ist Herausgeber vieler hessenspezifischen Bücher über Literatur. Viel mit Hans Sarkowicz.

 

 

Buchpräsentation

 

LEBENSERINNERUNGEN DES MALERBRUDERS LUDWIG EMIL GRIMM, ediert von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz – begleitet von Albert Schindehütte. Die Andere Bibliothek, 2015

 

Donnerstag, 10. Dezember 2015, 19 Uhr

Frankfurter Goethe-Haus, Großer Hirschgraben 23-25

 

www.goethehaus-frankfurt.de