Lebenserinnerungen des Malerbruders Ludwig Emil Grimm als Buchpräsentation Donnerstag, 10. Dezember im Goethehaus Frankfurt, Teil 4

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Übrigens machte Dennis Schenk bei seiner, sozusagen Weihnachtsempfehlung für diesen Bildband in der Sonntagmorgensendung von 3 Sat, überhaupt nicht viele Worte. Er zeigte nur zwei Bilder, einen Hund (Bild) und eine Katze, Zeichnungen von Grimm von 1856 mit dem Zusatz „Den Katzen zum Andenken“ und „Den Mäusen zur freundlichen Erinnerung.“ Und alle lachten.

 

Das sind übrigens die einzigen über die ganze DIN A 4 Seite abgedruckten Zeichnungen im opulenten Band, so daß man jedes Kopfhaar der Katze erkennen kann, die einen durchdringend anschaut: rätselhaft, hellwach und irritierend durch einen hindurchsehend. Daß Zeichner Grimm dem gegenüberliegenden Hundekopf als Betitlung auch ein Katzengedenken widmet, zeigt, daß er sie für die eigentliche Krone der Schöpfung hält, was sie auch sind. In den Augen seiner Katze kann man sich verlieren und als die beiden Verfasser, die Seiten des Buches auf eine Leinwand projizierten, diese Katze zeigten, ging eine bewundertes Raunen durch die Reihen. Wir konnten für uns, den Band im Schoß, im Buch weiter hinten auf den Seiten518 f weitere Katzenzeichnungen sehen, die Grimm schon ab 1848 immer wieder skizzierte. Überhaupt muß Grimm ein großer Tierfreund gewesen sein – und auch damit in Tradition der Romantik -, denn er bringt detaillierte Naturbetrachtungen, also auch Blumen, aufs Blatt, die einfach schön sind und zutreffend auch.

 

Darauf verweisen auch die beiden Dioskuren, die von den Tier- und Naturzeichnungen unmittelbar auf die Kinderzeichnungen kommen und ihn als „genauesten Kinderzeichner“ charakterisieren. Kindheit. Was ist das damals, wo überhaupt erst der Begriff der Kinderstube entsteht. Was bedeutet das für Ludwig Emil, dessen Vater stirbt, als er gerade sechs Jahre alt ist. Hart muß es gewesen sein, denn, was er da zeichnet, gehört in den Bereich der schwarzen Pädagogik, wo unterdrückt und geprügelt wird, und der Lehrer Zinkhahn mit der Peitsche nicht nur fuchtelt, sondern zuschlägt. Sogar ein Auge kann man im Unterricht verlieren.

 

Eine regelrechte Komposition vollbringen die zwei Grimmerklärer, die sich nicht nur thematisch abwechseln, sondern durch die Verbindung von Worten und Bildern an der Leinwand auch für die Versammlung die Einheit von Gesagtem und Gesehenem des Bildbandes wieder herstellen und eine große Sympathie für diesen dritten Bruder vermitteln, wobei ihnen das Plenum willig folgt. Denn die einzelnen Porträts, die nun gezeigt werden, zeigen die liebevolle, gleichwohl auf den Punkt gebrachten Radierungen eines Meisters des Menschen. Genauer: des randständigen Menschen. Das Interesse von Grimm galt nicht den hohen Herrschaften, sondern den Menschen am Rande der Gesellschaft oder sogar den vollends ausgegliederten. Juden, Bettlern, Hausmädchen, Alten, richtigen Greise, Kranken u.a. galt sein besonderes Interesse und sein abbildender Stift. Doch, doch, Landschaft ist auch dabei und auch die hessische Tracht. Er zeichnet und malt mit Empathie, was aber den genauen realistischen Blick nicht hindert. Bei den Porträts liebt er den Dreiviertelkopf, aber auch frontal oder im scharfen Profil erkennen wir die Vielfalt menschlicher Wesen. Und wir merken gerade, daß wir uns viel zu sehr mit den Bildern des Malerbruders beschäftigen, einfach, weil sie gut sind und liebevoll eine Welt von früher zeigen.

 

Dies Buch aber hat die Bilder ja nur hinzugenommen, um den Lebenserinnerungen auch das Professionelle des Malers beizufügen. Aber, und das ist ehrlich, es langen auch die Worte. Die Lebenserinnerungen sind umwerfend. Nur bleibt unser Auge immer wieder an den Bildern hängen. So ein Buch wie dieses haben Sie noch nicht gesehen, denn der Abdruck der Bilder ist ungewöhnlich, aber dem Auge sehr angenehm. Die Verfasser haben es damit verglichen, wie wenn man eine Handvoll von Fotografien oder kleinen Bildern mit einer Bewegung auf den Tisch schmeißt. So, wie dann die einzelnen Blätter auseinanderfallen, übereinander zu liegen kommen, sich leicht verdecken und dann doch durch dunklere oder hellere Töne hervorstechen, so wurde dieses Buch graphisch gestaltet. Das ist hohe Kunst, gerade, weil es wie zufällig daherkommt. Daß die Zeichnungen und Radierungen noch dazu alle einen gewissen Sepiaton haben, nur einige sind koloriert, verleiht dem Buch auch etwas Kostbares.

 

Und damit der Humorist nicht zu kurz kommt, soll doch darauf verwiesen sein, daß viele der Blätter einen humoristischen Hintergrund haben und man den späteren Wilhelm Busch (1832-1908) nicht weit weg wähnt, der gezielt Wort und Zeichnung verband, was eben Grimm nicht macht, aber dennoch in mancher Betitlung seiner Arbeiten die Satire aufscheinen läßt. Man kann also sagen, daß die geschriebenen Lebenserinnerungen zwar ohne Illustrationen auskommen, daß aber die Titel seiner Zeichnungen und Radierungen großenteils schon deren witzige Kommentare sind. Gezielt gilt das, wenn er ganze Gesellschaften abbildet und jedem der Personen eine eigene Texttafel im Bild widmet wie „ Ein Kunstabend bey Senator Franz Brentano“ Betrachtung und Beurteilung von graphischen Blättern in geselliger Runde u.a. mit Georg Brentano, dem Gastgeber der Italienreise (links) und davor, Ludwig Emil Grimm. Jeder, der um den Tisch sitzt, bekommt sein Wortpäckchen wie: „Das Muß man sagen ein ganz vortrefflicher Druck, es hat Ähnlichkeit mit meinem Raphael in den Stellungen etc.“ Aha, eine Runde von Kennern mit eigenen Raffaels!, die hier spöttisch von Meister Grimm paraphrasiert wird.

Fortsetzung folgt.

 

 

Info zu den Verfassern:

 

Hans Sarkowicz kommt aus der Grimmgegend, aus Gelnhausen nämlich, wo er 1955 geboren wurde und seit 1979 die Leitung des Bereichs Kultur und Wissenschaft im Hessischen Rundfunk innehat. Er hat sich schon mehrere hessische Verdienstorden erarbeitet, denn neben Biografien über Erich Kästner, Heinz Rühmann etc. und seinen grundlegenden Forschungen zum Radio der NS-Zeit, seinem mit Kollegen Alf Mentzer veröffentlichten Schriftstellerlexikon LITERATUR IM NAZIDEUTSCHLAND, hat er unzählige Schriften und Bücher über hessische Literaten herausgegeben. Viele mit Heiner Boehncke.

 

Heiner Boehncke , 1944 in Schwarzenfels geboren, war Hochschullehrer für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität und an der Uni Bremen, wo Boehncke auch bei Radio Bremen mitarbeitete und ab 1988 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Hessischen Rundfunk wurde und seit 1998 Literaturredakteur im Bereich Kultur und Wissenschaft, dem nämlichen also, dem Hans Sarkowicz noch heute vorsteht. Ganz schön traditionsverbunden, der Hessischen Rundfunk, fällt einem dazu ein. Boehncke jedoch hat weit darüber hinaus in Hessen an der Konsolidierung hessischer Literatur früher und jetzt mitgewirkt. Er hat den Hessischen Literaturrat mitbegründet, der „die reiche literarische Tradition Hessens einer breiteren Öffentlichkeit bewußt zu machen und somit zur kulturellen Identität des Landes beizutragen“ hat. Und er ist Künstlerischer Leiter des anspruchsvollen Rheingau Literatur Festivals, das Teil des Rheingau Musikfestivals ist und außerordentlich erfolgreich wirkt. Und er ist Herausgeber vieler hessenspezifischen Bücher über Literatur. Viel mit Hans Sarkowicz.

 

Buchpräsentation

 

LEBENSERINNERUNGEN DES MALERBRUDERS LUDWIG EMIL GRIMM, ediert von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz – begleitet von Albert Schindehütte. Die Andere Bibliothek, 2015

 

Donnerstag, 10. Dezember 2015, 19 Uhr

Frankfurter Goethe-Haus, Großer Hirschgraben 23-25

 

www.goethehaus-frankfurt.de