Lebenserinnerungen des Malerbruders Ludwig Emil Grimm als Buchpräsentation Donnerstag, 10. Dezember im Goethehaus Frankfurt, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zu kurz kamen bisher nicht nur die Lebenserinnerungen selbst, sondern auch der Einfluß, den die beiden älteren Brüder, die wir als die Brüder Grimm kennen, auf das jüngste Geschwisterkind nahmen. Denn diese, die so gebildeten Sprach-, Märchen- und Sagenforscher gaben ihm eine Fernerziehung durch aufbauende Belehrungsbriefe an die Hand.
Sicher gut gemeint, aber ein Kind und ein Heranwachsender braucht etwas anderes und genau darüber hat sich Ludwig Emil, der nur Louis genannte Junge bei den älteren Brüdern beschwert. Aber über seine Brüder lernt er u.a. Bettine Brentano kennen, die ihn sehr beeindruckt und mit der er ein Leben lang befreundet bleibt. Alles das kann man nachlesen, auch über die Existenz des vierten Bruders Carl, der aber keinen Platz neben den erst zwei, dann drei berühmteren Brüdern findet.
Im ganzen Buch gibt es kein Bild von Goethe, der doch für alle damals der Heros war. Dafür aber auf Seite 150 ff „Im August 1815 mit Goethe in Frankfurt am Main zusammengewesen“, die Kapitelüberschrift einer denkwürdigen Begegnung, die im Brentanoschen Haus in der Sandgasse stattfand: '„Heute mittag kömmt Goethe und Savignys hierher zu Tisch, da siehst Du sie.“ Ich war sehr begierig auf Goethe, den ich noch nie gesehen hatte.“ Goethe hat dann bei Tisch den obersten Platz zwischen Damen.Nach Tisch läßt er Ludwig Emil ausrichten, er möchte gerne dessen Skizzenbücher sehen. „Sein Gesicht war noch von Tisch, wo er dem Johannisberger Eilfer gehörig zugesprochen hatte, ganz rot.“ Aber dann bemerkt der Künstler, daß Goethes Äußerung zu seinen Arbeiten „den Nagel auf den Kopf“ trifft. ..“Aber ich muß gestehen, daß die meisten, die er als die gelungensten nannte, mir am wenigstens gefielen. Die Köpfe fand er nicht ausgeführt genug.“
Zur Verwunderung von Ludwig Emil war Goethe auch mit seinen Landschaftsstudien außerordentlich zufrieden. „Ich hatte wenig Übung und gar nicht, was die Landschaftsmaler eine Manier nennen. Ich habe Bäume, Baumstämme, Wurzeln, Blätter, Pflanzen ohne irgendeine Manier nachgezeichnet, aber man sah, es war Natur in den Zeichnungen, und das mochte er wohl lobend hervorheben.“
Die Lebenserinnerungen sind grob chronologisch und umfassen auch die Ortswechsel des kleinen Bruders. Und die Liebesgeschichten, wo die rätselhafte Tekla in München schön, aber verborgen bleibt. Da ist die Italienreise schon handfester, die nach einer Nacht voller Träume von der angebeteten Tekla per Brief für den morgigen Tag avisiert wird: „Liebster Freund! Ich bin eben hier angekommen. Wollen sie morgen mit mir nach Rom reisen, so erfreuen sie damit sehr Ihren Freund Georg Brentano La Roche.“ Diese Aufforderung, die unsereinen in einen Freudentaumel versetzte, kann Ludwig jedoch nicht genießen, denn er mag sich von der unsichtbaren Tekla nicht trennen, aber dann wird er überredet und fährt mit. Ist das nicht wunderbar, daß man am 27. Mail 1816 von heute auf morgen einfach nach Italien fahren konnte. Weder galt es größere Vorkehrungen für die Abwesenheit zu treffen, Miete, Licht, sonstige Zahlungen zu berücksichtigen, noch Impfungen zu brauchen oder viele Koffer zu packen.
Mit den beiden fuhr „der Kunsthändler und Maler Prestel, ein etwas schon ältlicher, langweiliger Philister. Es hat nachher später Brentano gereut, ihn mit zur Reise eingeladen zu haben. Der Bediente saß auf dem Bock. Mit 4 Paar guten Doppelpistolen waren wir versehen. Ich hatte meine Uniform mitgenommen und trug auf der Reise den Uniformüberrock. Meine Uniform hat uns auf der Reise sehr gute Dienste getan; mancher Aufenthalt ist vermieden und manches Tor schneller geöffnet worden.“, schreibt Ludwig. Der Prestel übrigens ist wirklich der, der dem heutigen Prestelverlag seinen Namen gab.
Wie gut die beiden Herausgeber nun Wort und Bild ineinanderfügen, kann man hier besonders gut studieren, wo in die Textseiten Bilderseiten komponiert sind, die die originalen Polizeidokumente des Königreichs abbilden und die 56 Ort von Wasserburg über Rom nach Pästum und zurück über Rom bis Mailand, die in ordentlicher kleinteiliger Handschrift auf der Seite 284 der handschriftlichen Notizenabbildungen zu lesen sind. Toll dann auch die Köpfe, ob die Bäckerin von Gaeta oder der Cicerone...aber über die Zeichnungen wollten wir jetzt schweigen. Denn hier müßten wir doch eher die Wort zitieren, dieGrimm begeistert findet für das italienische Volk, das ihn genauso interessiert wie die randständigen Leute zu Hause.
Ach, es gibt bei so viel Zustimmung zu den Aufzeichnungen von Ludwig Emil natürlich auch ein paar Hämmer, wo er völlig daneben lag. So hat er völlig Heinrich Heine unterschätzt und einen heute völlig Unbekanntem diesem als Dichter vorgezogen. Heine besucht ihn 1830 in Kassel und Grimm macht eine Vorzeichnung für eine spätere Radierung, zu der Heine an eine dritte Person schreibt: „Ludwig Grimm hat mich gezeichnet; ein langes deutsches Gesicht, die Augen sehnsuchtsvoll gen Himmel gerichtet.“(443)
Wer über die großen kulturellen Ereignisse in der Lebenszeit Grimms mehr hören möchte, den wird DAS DÜRERFEST IN NÜRNBERG faszinieren, denn im 19. Jahrhundert entsteht der Kult um deutsche Künstler des Spätmittelalters und der Renaissance, als die typisch deutschen Vertreter wie Dürer und Holbein, wobei der Witz ja darin liegt, daß Albrecht Dürer der Sohn eines aus Ungarn ins Asyl gegangenen Malers ist, ein sogenannter Armutsflüchtling würde man heute sagen.
Uns begeistern dann noch die SPÄTE KARIKATUREN ab Seite 474, die zeigen, wie locker der Stift saß und wie präzise die launigen Beschreibungen waren: Im Aquarell von 1858 THEATER WAHNSINN „stürzen Damen in Reifröcken, sich verzweifelt die Haare raufend, händeringend durcheinander, Vögle zwitschern in ihren Bauern irgendwelche Texte, ein Nachtigall fliegt aus dem Bild – die man allerdings nur erkennt, weil es dabei steht.“
Und Vollends im Heute ist man auf Seite 481, bei der Kunstbetrachtung „den 8 Octob 51.adviv“. Das ist wie heute, wenn andächtig von guten Bürgern die Kunst an der Wand betrachtet wird: lässig, ehrfurchtsvoll, herablassend, gläubig sehen wir die Kunstbetrachter im Profil, wobei die Frauen klein, ja winzig sind und die Männer alle einen dicken Bauch haben, den sie noch dazu vorstrecken. Mode der Zeit.
Der dritte, nun erst öffentlich so richtig entdeckte Grimmbruder aber ist einer, der einem nach Durchsicht und Gefallen dieser Lebensbetrachtungen geradezu zeitlos vorkommt. Alle Achtung, die Herren Boehncke und Sarkowicz für diese Entdeckung – und Dank auch.
P.S. Über Albert Schindehütte und was er mit den Arbeiten von Grimm zu tun hat, zu berichten, wurde uns jetzt zu viel. Wir wollen uns die schon zuvor in der Anderen Bibliothek erschienen Bände der Brüder Jacob und Wilhelm genauer ansehen, wo Schindehütte, aber auch der dritte Bruder Hand anlegten. Demnächst also mehr.
Info zu den Verfassern:
Hans Sarkowicz kommt aus der Grimmgegend, aus Gelnhausen nämlich, wo er 1955 geboren wurde und seit 1979 die Leitung des Bereichs Kultur und Wissenschaft im Hessischen Rundfunk innehat. Er hat sich schon mehrere hessische Verdienstorden erarbeitet, denn neben Biografien über Erich Kästner, Heinz Rühmann etc. und seinen grundlegenden Forschungen zum Radio der NS-Zeit, seinem mit Kollegen Alf Mentzer veröffentlichten Schriftstellerlexikon LITERATUR IM NAZIDEUTSCHLAND, hat er unzählige Schriften und Bücher über hessische Literaten herausgegeben. Viele mit Heiner Boehncke.
Heiner Boehncke , 1944 in Schwarzenfels geboren, war Hochschullehrer für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität und an der Uni Bremen, wo Boehncke auch bei Radio Bremen mitarbeitete und ab 1988 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Hessischen Rundfunk wurde und seit 1998 Literaturredakteur im Bereich Kultur und Wissenschaft, dem nämlichen also, dem Hans Sarkowicz noch heute vorsteht. Ganz schön traditionsverbunden, der Hessischen Rundfunk, fällt einem dazu ein. Boehncke jedoch hat weit darüber hinaus in Hessen an der Konsolidierung hessischer Literatur früher und jetzt mitgewirkt. Er hat den Hessischen Literaturrat mitbegründet, der „die reiche literarische Tradition Hessens einer breiteren Öffentlichkeit bewußt zu machen und somit zur kulturellen Identität des Landes beizutragen“ hat. Und er ist Künstlerischer Leiter des anspruchsvollen Rheingau Literatur Festivals, das Teil des Rheingau Musikfestivals ist und außerordentlich erfolgreich wirkt. Und er ist Herausgeber vieler hessenspezifischen Bücher über Literatur. Viel mit Hans Sarkowicz.
Buchpräsentation
LEBENSERINNERUNGEN DES MALERBRUDERS LUDWIG EMIL GRIMM, ediert von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz – begleitet von Albert Schindehütte. Die Andere Bibliothek, 2015
Donnerstag, 10. Dezember 2015, 19 Uhr
Frankfurter Goethe-Haus, Großer Hirschgraben 23-25
www.goethehaus-frankfurt.de