Aus Anlaß des Anlaufens von HEIDI, dem neuen Film: Film, Buch (Johanna Spyri) und TV-Serie auf DVD, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es ist sinnvoll, vor dem Eingehen auf die Originalfassung von Johanna Spyri, sich die Geschichte seiner Veröffentlichungen anzuschauen. In der 2013 bei Anaconda erschienenen Ausgabe, die die Teile 1 und 2 umfaßt, heißt es: „Spyris Roman erschien zuerst 1880 bei Perthes in Gotha unter dem Titel Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Eine Geschichte für Kinder und auch für solche, welche die Kinder lieb haben. ...Orthografie und Interpunktion wurden der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.“

 

Das wollen wir im einzelnen überprüfen, denn wir verfügen über eine Ausgabe des 1. Teil, Heidi's Lehr- und Wanderjahre aus dem Ensslin & Laiblin Verlag Reutlingen o.J. , 359. - 362. Tausend der Gesamtausgabe, in der auch der 2. Band „Heidi kann brauchen, was es gelernt hat“ aufgeführt ist. Allein die jeweilige erste Seite der beiden Heidibücher im Vergleich verblüfft. Zuerst ist man froh, daß die Kapitelüberschriften in den beiden Fassungen insgesamt identisch sind und auch die ersten Zeilen diese langsame einfühlende Naturschilderung beibehalten, doch dann fallen Kleinigkeiten auf. Statt 'Heideland' mit dem kurzen Gras und den kräftigen Bergkräutern wird 'Weideland' geschrieben, was ganz unsinnig erscheint, denn natürlich ist die Vegetation eine der Heide. Denkt man. Man denkt dies auch deshalb, weil man einer älteren Ausgabe stärker zutraut, am Original zu haften und von heutigen Ausgaben eher vermutet, daß sie an den modernen Sprachgebrauch angeglichen sind.

 

 

Der neuen Ausgabe genügt das Bisherige der alten Ausgabe nicht: „denn es geht steil und geradenwegs zu den Almen hinauf“. Stattdessen heißt es, „denn der Fußweg geht steil und direkt zu den Alpen hinaus.“ Diese Veränderung erscheint völlig unsinnig. Fußweg zu schreiben, wäre nicht nötig gewesen, und zu den „Alpen hinaus“ ist ja widersinnig, wenn man den Berg hinauf will. Man wundert sich, warum schon im ersten Absatz solche Veränderungen im Text sind und versteht sie nicht. Aber! Dann erinnert man sich an die Umschlagseite der alten Fassung „Textbearbeitung von Alexander Troll“ und wird unsicher, ob man überhaupt davon ausgehen kann, daß die Veränderungen in der Neuausgabe gegenüber der älteren eine Abweichung gegenüber der originalen Ausgabe der Spyri ist. Denn die Ausgabe von 2013 beruft sich auf die Ausgabe Berlin um das Jahr 1935, spricht nicht von Bearbeitung wie die ältere Fassung.

 

Wir können also aus den Abweichungen nicht schließen, welche vom Original abweicht. Aber auch die Benennung nur einiger Unterschiede beider Fassungen ist aufschlußreich. Die neue Ausgabe legt Dete in den Mund: „Nach Frankfurt“, was in der älteren Ausgabe heißt: „Nach Frankfurt am Main“. Das ist ja nun komisch, daß eine Ausgabe, die wir in der alten BRD ansiedeln, von Frankfurt am Main spricht, während eine, die in das wiedervereinigte Deutschland gehört, wo es mindestens zwei Frankfurts gibt, nur von Frankfurt spricht. Wir wollen es nicht zu weit treiben, sondern aufklären, was Sache ist. Aber warum man Überarbeitungen macht, ist noch die Frage. Gemeinhin galten Überarbeitungen von Texten dem Anspruch des Ad usum delphini, also der Glättung und Verständlichmachung von Texten für die Kinderohren und Kinderaugen, was man also ihrem kindlichen Verstand zutraute, wobei vor allem erotische Anspielungen wegfielen. Eine Überarbeitung von Heidi wäre unter diesem Aspekt sinnlos. Man sollte Überarbeitungen lassen, sofern Kinder den Text von 1880 und folgende Jahre verstehen können.

 

Tatsächlich ist die Anaconda Ausgabe aus dem Jahr 2013 diejenige, die strikt an Johanna Spyri angelehnt ist, während die 'alte' Ausgabe tatsächlich von diesem Alexander Troll mannigfach „überarbeitet“ ist – ohne Sinn und Verstand, wenn man dies – was wir taten – in weiteren Belegstellen überprüft. Woher wir das wissen? Zuerst wollten wir in der Deutsche Nationalbibliothek die Originalfassung von Johanna Spyri einsehen. Aber dann fanden wir aus dem Verlag Lentz das Faksimile der Originalfassung. Das kann man heute kaufen und sollte es tun oder eben eine der neueren Fassungen, die ausdrücklich keine Überarbeitungen sind, nehmen.

 

Jetzt aber schnell zur Geschichte. Es fällt auf, daß die einzelnen Kapitel wirklich echte abgeschlossene Geschichten sind. Deshalb muß im Film alles auf Frankfurt hin und zurück konzentriert werden, damit ein erzählerischer Bogen gespannt werden kann. Deshalb ist die TV HEIDI Serie von Studio 100 auf bisher 78 Folgen (in der Komplettbox oder als einzelne DVDs) ausdehnbar, weil in jedem Schritt, den Heidi tut, die Geschichte schon ins Laufen kommt.

 

Uns fiel beim Lesen sehr vieles auf. Auch wie schnell Heidi von der Fünfjährigen, als die sie ihre Tante Dete bei ihrem Opa, dem Almöhi abliefert, zur Achtjährigen wird. Und dann in Frankfurt als Zwölf/Dreizehnjährige angekündigt wird, was dann so zwischen 8-12 Jahren verkauft wird, denn Klara selbst „hat das zwölfte Jahr zurückgelegt“. Was einem gut gefällt, ist auch der Sprachgebrauch, durchgehende „das Heidi“ zu schreiben. So spricht man übrigens auch in Nordhessen von Kindern. Und in der Pfalz auch. Vielleicht überall? Und wenn die Hausdame Rottenmeier ein „unverdorbenes, eigenartiges Kind“ sozusagen bei Dete 'bestellt', dann hat man daran auch seine Freude, denn 'eigenartig' würde man heute kein Kind nennen, das man wo anbringen möchte. Dabei ist das doch ein wunderbarer Begriff – eine eigene Art haben - und besitzt keine negative Konnotation, wie sie aber heute assoziiert wird, wo eigenartig eben schon aus der Art geschlagen meint, auf jeden Fall, wenn nicht abartig, so doch nicht in der Norm. Und in diesem 'eigenartig' haben wir auch das Zipfelchen Unabhängigkeit und Souveränität, das HEIDI bis heute auszeichnet. Ein kleines Kind gegen den Rest der Welt und dann will die ganze Welt eins mit HEIDI werden.

 

Es gibt so viel lustige Stellen. Aber auch seltsame. Als Sebastian angesichts der kleinen Katzen, die Fräulein Rottenmeier in Aufregung versetzen, in sich hineinlacht und im inneren Monolog sagt: „Das wird noch was absetzen!“ wunderten wir uns über diesen uns unbekannten Ausdruck, der allerdings in allen vier Fassungen steht, über die wir insgesamt verfügen. Wie man merkt, haben wir schon sprachlich ein großes Vergnügen am Text und auch an den Vergleichen.

 

Auf die Geschichten in der Geschichte wollen wir bei den DVDs eingehen. Fortsetzung folgt.

 

Info:

 

Johanna Spyri, Heidi. Vollständige Ausgabe. Erster und Zweiter Teil, Verlag Anaconda 2013

 

zum Vergleich ältere Ausgaben von HEIDI und die Faksimileausgabe vom Verlag Lentz

 

Daß es auch ein Buch zum Film gibt, haben wir erst im Laufe unserer Recherche mitbekommen. Wer weiß, vielleicht überkommt uns noch einmal HEIDI.