Ausstellung „Stefan Zweig - Abschied von Europa“ in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt bis 24. März 2016, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dies tat Zweig umgehend zwei Tage später am 20. Februar 1934 und ging nach England. Aus Frucht, durch den Anschluß Österreichs zum Deutschen gemacht zu werden und in England als feindlicher Ausländer interniert zu werden, bestieg Zweig, als der Krieg immer näher kam, am 25.Juni 1940 das Schiff nach New York mit seiner zweiten Frau Charlotte Altmann, die übrigens aus Frankfurt stammt, was in Wien keinen interessierte, aber hier in der Heimatstadt eine andere Konnotation erhält.
Das Schiff Scythia können wir sehen, denn es ist längs über eine ganze Wand projiziert und wir haben auch 24 Ausweisfotos in der Manier dieser Paßfotostreifen: zuerst ist der Oberkopf abgeschnitten, dafür fehlt unten die Brust, aber die mittleren Bilder zeigen einen freundlichen Herrn mit dem charakteristischen Schnauzer und den dünnen Haaren über der hohen Stirn. Allein diese Paßbilder machen deutlich, wie sehr nichts mehr selbstverständlich ist, einfach leben zu dürfen, sondern wie von jetzt an alles zu beweisen ist, Anträge auszufüllen, Aufenthaltserlaubnisse einzuholen, die Existenz ständig bedroht ist und von daher die Furcht täglich vor der Tür steht. Oder eben auf dem Teppichboden.
Der nun wird in Frankfurt anders interpretiert denn in Wien. Dort stand er für den Glanz des Hotels und seiner Gäste, eben der feudalen Gesellschaft, zu der Stefan Zweig als Geistesadel unbedingt dazugehörte. Hier ist er die Reminiszenz, die den Heutigen verständlich machen soll, welcher Star Stefan Zweig in Österreich und auch in Deutschland war. Erstens kam er aus einer reichen Familie, zweitens erhielt er unmittelbar Tantiemen aus der familiären Textilproduktion und drittens war er ein Hommes de lettres, der erfolgsumrauscht mit gewaltigen Auflagen nicht nur ein sehr gutes Einkommen hatte, sondern auch luxuriös lebte. Auf großem Fuß, wie das heißt, mit Bildungsreisen in die Welt und dem Anspruch und der Existenz eines Mannes von Welt.
Wie sich beides vereinen läßt, exakte Buchführung und gedankliches Schweifen, das kann einem Zweig tatsächlich vorführen, denn in seinem HAUPTBUCH ist alles beieinander, die Werke, die Übersetzungen und auch solche Fragen, wie viel Geld es für was von wem bekam oder gab. Allein hier kann man staunen, erstens über den Erfolg des gut 40jährigen mit Übersetzungen in über 20 Sprachen, zweitens wie detailliert Stefan Zweig dies notierte. Sein Originalbuch aus Salzburg kann man hier als Faksimile einsehen.
Dem rauschvollen Leben steht das Exil gegenüber, wobei die Schiffsfahrt über den Teich sich in DIE SCHACHNOVELLE wiederfindet. Darin geht es um eine zugespitzte Schachpartie von einem Dr. B., der niemals mit Brett und Figuren gegen einen realen Gegner Schach gespielt hat, der nun gegen den amtierenden Weltmeister antritt und ein Remis erzwingt. Dr. B war monatelang im METROPOL durch die Nazis in Einzelhaft zermürbt worden und widerstand der Isolation und dem Terror durch das Auswendiglernen von Schachpartien und dem Nachbilden von Figuren aus Brot auf seiner karierten Bettdecke, weshalb er später abstrakt und fiktiv in seiner eigenen Vorstellung gegen sich selbst spielen konnte. Das Buch konnte er bei einem der Verhöre ergattern.
Das ist so grandios erzählt, daß wir, wenn schon nicht DIE WELT VON GESTERN schnell folgt - das Projekt bleibt -, wir uns unmittelbar an die SCHACHNOVELLE halten und diese zum Mittelpunkt des nächsten Artikels machen.
Für Zweig gilt, daß man, um wirklich um seine Not zu wissen und sich Flucht und Exil auch körperlich vorstellen zu können, man unbedingt den Katalog erwerben sollte. Natürlich ist er als Weihnachtsgeschenk auch repräsentativ. Ein Ziegelstein, der so viele kluge Erklärungen, so viel Liebevolles zur Zeit und Person ausbreitet, so viele Einschätzungen, auch literarischer Art gibt, daß wir ihn unbedingt empfehlen wollen.
Katalog:
Stefan Zeig, Abschied von Europa, hrsg. von Klemens Renolder, Ausstellung im Theatermuseum Wien, Verlag Christian Brandstätter, Wien 2014
Info:
"Wir brauchen einen ganz anderen Mut!"
Stefan Zweig - Abschied von Europa
Ausstellung des Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main
Dauer: 24. November 2015 – 24. März 2016
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 14 - 20 Uhr, Samstag 14 - 18 Uhr. An Sonn- und Feiertagen sowie vom 24. Dezember 2015 bis 3. Januar 2016 geschlossen.
Eintritt frei
Kuratorenführungen: 4. Februar und 17. März 2016, jeweils 18 Uhr