Serie: NACKT UNTER WÖLFEN. Zum Wiederaufleben des Romans durch die ARD-Ausstrahlung am 1. April 2015, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was ist Literatur? Auf jeden Fall besteht ein Roman nicht aus historischen Dokumenten, die aneinandergereiht zwar interessant zu lesen sind, aber wenig über die Menschen aussagen, nämlich wie sie in einem KZ zurechtkamen, wie ihre Binnenkontakte entstanden, wer überlebte und aus welchem Grunde und wie Widerstand unter der Geißel von Folter und Tod überhaupt möglich war.

 

Als Bruno Apitz dies in den Fünfziger Jahren aufschreiben wollte, nämlich seine eigenen Erlebnisse im KZ Buchenwald in eine Geschichte zu binden, auf daß nicht vergessen werde, was weithin geschah, ahnte er nicht, welchen Goldschatz er niederschrieb. Es war sogar so, daß er sich mit Widerständen der Veröffentlichung herumplagen mußte, weder die SED noch die überlebenden kommunistischen Kader aus dem Lager hatten großes Interesse am Thema. Erstens war der Blick nach vorne zu richten, die DDR aufzubauen und zweitens führen die Begleitumstände des Kapo-Systems(1) und der teilweisen Selbstverwaltung des Lagers dazu, daß sich kommunistische Führer im Lager an Verbrechen beteiligen mußten. Ob 'mußten' ist die Frage, auf jeden Fall ist es mehr als sich die Hände schmutzig zu machen, wenn man statt des einen den anderen zum Vergasen schickt.

 

Es wäre aber unredlich, dies nun einzelnen KP-Funktionären vorzuwerfen, denn die Grundsatzfrage ist, ob eine Beteiligung an der Lagermacht mehr nützt, als sie im einzelnen schadet. Wir, die wir nicht in solche Pflicht genommen sind, sollten uns in der moralischen Entrüstung zurückhalten. So lesen wir auch den Roman, der nun 2012 in der ursprünglichen Fassung von Apitz in einer Ausgabe im Aufbau Verlag auf 481 Seiten herausgekommen ist. Es endet: „Plötzlich rannte Kropinksi davon, das Kind vor sich gestreckt, zum Tor, in den tosenden Strom hinein….Kropinksi hob das schreiende Bündel über sich, damit es nicht erdrückt werde von der brodelnden Flut. Einer Nußschale gleich schaukelte das Kind über wogenden Köpfen. Im Gestau quirlte es durch die Enge des Tores, und dann riss es der Strom auf seinen bereiten Wellen mit sich dahin, der nicht mehr zu halten war.“ (Schluß des Romans auf Seite 481)

 

Es geht also wirklich um das Kind, dessen Rettung aus vielschichtigen, auch gegenläufigen Interessen und Verhalten der Lagerinsassen herrührt. Von heute her, wo wir glauben, daß Drehbuchautoren und Autoren die Menschen durch gezieltes Einbinden in existentielle Probleme packen können, kann man erst ermessen, wie dramaturgisch packend Bruno Apitz seinen Roman angelegt und angefangen hat. Tatsächlich drängt er das Leben im KZ Buchenwald, wo er immerhin sechs Jahre gefangen war, auf die drei Monate vor der Befreiung zusammen. Er beginnt also im Februar 1945, wo ein polnischer Häftling sich mit einem mitgebrachten Koffer auffällig benimmt, kein Wunder, darin ist ein etwa dreijähriges Kind. Was tun, denn das ist gegen die Regeln, weshalb das Lagerkomitee, das eben sind die Kommunisten aller Länder, die zum einen Widerständler, zum anderen Erfüllungsgehilfen der Lagerleitung sind, das Kind in ein anderes Lager weiterschicken will, wo sein Tod unausweichlich ist.

 

Was tun? ist wirklich die zentrale Frage, nämlich, wie weit ich gehe, an der Vernichtung von Leben teilzuhaben, um das größere Ganze nicht zu gefährden. Wobei nie sicher ist, ob die gebrachten Opfer für das große Ganze je zum großen Ganzen, nämlich der Befreiung von der NS-Diktatur führen. Auf jeden Fall sind es zwei Kommunisten, die Häftlinge Höfel und Kropinski, die gegen ihre Lagerleitung das Kind im KZ Buchenwald verstecken, und zwar hintereinander an drei unterschiedlichen Orten. Die SS darf das Kind nicht entdecken, dann werden nicht nur es, sondern auch die Helfer ermordet. Wir müssen nun nicht die Stationen der Rettung, die jederzeit in Gefahr ist, detaillieren. Es geht ständig darum, daß das jeweilige Versteck auffliegt, für das Höfel und Kropinski gefoltert werden, aber eisern alles ertragen, damit das Kind und die Kameraden überleben.

 

Sehr eindringlich und differenzierend schildert Apitz das Verhalten der einzelnen Häftlinge und was ihnen angetan wird. Denn Pippig, der ebenfalls schweigt, stirbt unter der Folter der Gestapo und der Häftling Rose hält seine Angst nicht aus, verrät die Kameraden, was ein weiterer Häftling, nämlich Wurach, zuspitzt, indem er gezielt für die SS Spitzeldienste leistet.

 

Die Häftlinge sind die interessanteren Charaktere, schon weil ihnen unser Mitgefühl gilt. Apitz schreibt aber wirklich vom Lagerleben von innen, denn die SS-Wächter sind auch kein festgefügter Block, sondern verfolgen eigene Interessen und unterschiedliche Absichten. Da gibt es Zweilig, der nur Angst hat und nicht weiß, wen er mehr fürchtet, die Rache der Häftlinge oder die seiner Leute, da gibt es Mandrak, der gleich alle Gefangenen seines Blocks töten will, Lagerführer Schwahl will das gesamte Lager auf den Todesmarsch nach Dachau schicken und das Lager vor der Befreiung durch die Amerikaner so herrichten,als sei es nie ein KZ gewesen. Letzteres will auch Kluttig, aber der will gleichalle Häftlinge töten, dann gibt es noch Reineboth, der verschwinden will und alles den anderen überlassen.

 

Eine widerliche Gesellschaft, wobei die Handlung verschränkt läuft, denn Spitzel Wurach stellt die Todesliste mit 46 Namen zusammen, die er als Haupträdelsführer des kommunistischen Widerstands denunziert. Daraufhin versteckt das kommunistische Lagerkomitee diese Männer, wobei der Lagerälteste Krämer eine besondere Rolle spielt als einer, der von der Lagerleitung für die Spitze der Kommunisten gehalten wird, dies aber gar nicht ist und gleichzeitig durch seine Persönlichkeit viel für den Zusammenhalt aller über 50 000 Häftlinge tun kann. Doch die ersten Todesmärsche sind unterwegs und in einem dramatischen Schluß, als die Front der Befreier naht, befreien die Häftlinge sich und das Lager mit eigenen Waffen und entwaffnen die noch verbleibenden Nazis. Höfel und Kropinksi werden aus dem Bunker geholt und das Kind aus dem Versteck befreit, wo es dank des Zusammenhalts so vieler überlebte. Fortsetzung folgt.

 

 

 

(1) KAPO nennt man diejenigen, die im Auftrag einer Führung ihre, ihnen eigentlich gleich gestellten Kameraden/Kollegen/Mithäftlinge beaufsichtigen. Im KZ-Jargon hießen sie Funktionshäftlinge, weil ihnen eine in der Hierarchie und Arbeitsteilung der KZs vorgesehene Funktion übertragen wurde. Ein KAPO kann dabei rein die Interessen der Leitung, der Chefs vertreten, aber er kann auch hilfreich für die sein, die er mit Befehl von oben beaufsichtigen soll. Er überwacht die Arbeit der Häftlinge und auch ihr Lagerleben. Spätestens bei Aufgaben wie der Selektion von Häftlingen in diejenigen, die erst einmal überleben durften und denen, die direkt ins Gas geschickt wurden, zeigt sich das grundsätzliche Dilemma. Ein Kapo erhielt Vergünstigungen in Form von Essen, Alkohol, Zigaretten, Besuch von Bordellen. Es gab dann auch noch Oberkapos, die wiederum auch die Kapos beaufsichtigten und kontrollierten.

 

In Auschwitz waren die KAPOS in der Regel Juden. In Buchenwald, wo die politischen Häftlinge konzentriert wurde, bestand die Binnenlagerleitung aus Kommunisten. Diesen wurde auch deshalb gerne eine administrative Aufgabe überlassen, weil sie durch ihren politischen Kampf hochqualifiziert für Führungsaufgaben waren und gewohnt waren, Entscheidungen rational und erfolgsversprechend zu treffen.

 

 

INFO:

 

Das Buch

 

Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, erweiterte Neuausgabe auf der Grundlage der Erstausgabe des Mitteldeutschen Verlags Halle (Saale) von 1958, hrsg. von Susanne Hantke und Angela Drescher, Aufbau Verlag 2012

 

 

 

Der Fernsehfilm

 

Originaltitel Nackt unter Wölfen

Produktionsland Deutschland

Originalsprache Deutsch

Erscheinungsjahr 2015

Länge 105 Minuten

Altersfreigabe FSK 12

 

 

Stab

Regie Philipp Kadelbach

Drehbuch Stefan Kolditz

Produktion Nico Hofmann

Benjamin Benedict

Sebastian Werniger

Musik Michael Kadelbach

Kamera Kolja Brandt

Schnitt Bernd Schlegel

 

 

Besetzung

 

Florian Stetter: Hans Pippig

Peter Schneider: André Höfel

Sylvester Groth: Helmut Krämer

Sabin Tambrea: Hermann Reineboth

Robert Gallinowski: Robert Kluttig

Rainer Bock: Alois Schwahl

Rafael Stachowiak: Marian Kropinski

Thorsten Merten: Bochow

Torsten Michaelis: August Rose

Robert Mika: Zacharias Jankowski

Matthias Bundschuh: Gotthold Zweiling

Ulrich Brandhoff: Heinrich Schüpp

Torsten Ranft: Mandrill

Andreas Lust: Förste

Marko Mandić: Leonid Bogorski

Janusz Cichocki: Zidkowski

Max Hegewald: Roman

Leonard Carow: Johann Müller

Robert Hunger-Bühler: Pippigs Vater

Vojta Vomácka: Kleiner Junge