Serie: VOM GLÜCK DES HÖRENS, Teil 1/10

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Vor mir liegen mehrere Hör- oder Audio-CDs. Es sind ganz verschiedene Titel, aber oben rechts steht jeweils als unaufdringlicher Schriftzug „der Hörverlag“; die Silbe „Hör“ dabei durch Fettdruck hervorgehoben. - Die meisten dieser Audio-CDs sind nicht vom Hörverlag produziert worden, sondern von deutschen Radio-Sendern.

 

Eine Ausnahme bildet Harper Lees neues, eigentlich uraltes, da erst jetzt wiederentdecktes Manuskript „Gehe hin und stelle einen Wächter“. -

 

Es sind in zeitlicher Reihenfolge: „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum (1888 - 1960) von 1958 ((1 CD)); „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch (1911 – 1990) von 1967 ((3 CDs)); „Effi Briest“ von Theodor Fontane (1819 – 1898) von 1974 ((4 CDs)); dann Giovanni Boccaccios (1313 - 1375) Novellen-Sammlung „Das Decamerone“ von 1984 ((10 CDs)); Walter Kempowskis (1929 - 2007) „Echolot / Der Krieg geht zuende“ ((7 CDs)); von Hesiod (um 700 v. Chr.) seine „Theogonie“von 2014 ((2 CDs)); und schließlich von Harper Lee (*1926) der Roman „Gehe hin, stelle einen Wächter“von 2015 ((1 CD)).

 

 

All diese CD-Hüllen und -Boxen sind sehr ansprechend und qualitätvoll aufgemacht. Da hat man Lust, sie in die Hand zu nehmen. Fast immer ist ja der optische Kontakt der erste Kontakt zwischen Leser/Hörer/Käufer und Buch/CD/DVD. Sieht etwas reizvoll aus, bleibt der Blick an ihm hängen, erregt die Sache meine Aufmerksamkeit, ist das die erste Chance überhaupt, dass ich sie mir selbst kaufe oder zum Verschenken kaufe. Etwas anderes wäre die Empfehlung eines Buchhändlers oder einer Person, die ich kenne; dadurch wird man dann vielleicht auf etwas gebracht, das einem sonst nie aufgefallen wäre. - Im Internet funktioniert das ähnlich, wenngleich ein bißchen andere Kriterien für die optischen (Verführungs-)Reize eine Rolle spielen mögen als bei den körperlich greifbaren Dingen.

 

Diese CDs nun sind teils Hörbücher, teils Hörspiele. Der Unterschied: Ein Hörbuch ist ein vorgelesenes Buch. Es entspricht Seite um Seite dem gedruckten Buch. Allenfalls kann es leicht gekürzt sein. Aber es ist normalerweise nicht bearbeitet worden. Es ist ein vorgelesenes Buch für alle jene, die sich überhaupt gerne vorlesen lassen, dazu aber keine Person verfügbar haben, sondern nur ein Gerät. Oder die sich auf langweiligen Autostrecken gerade durch diese CDs nicht langweilen wollen. Natürlich kann man eine CD auch während einer langweiligen oder eintönigen mechanischen Arbeit hören. Nicht zuletzt bilden Menschen mit Sehbehinderungen oder gar blinde Menschen einen Teil der Kundschaft der Hör-Bücher.

 

Es geht also auch immer darum, verantwortungsvoll beim Einlesen vorzugehen. Das muß gut, liebevoll, sorgfältig und technisch hochwertig, möglichst einwandfrei, gearbeitet werden. Das gilt für die Hörspiele nicht minder. Hörspiele sind keine vorgelesenen Geschichten oder Romane, sondern Bearbeitungen solcher Texte. Es kann natürlich beides geben: „Effi Briest“ als Roman 1:1 vorgelesen und „Effi Briest“ in einer Hörspiel-Bearbeitung. Hier dient der dichterische Urtext als Roh- und Ausgangsmaterial. Der Bearbeiter hat die Absicht, diesen Stoff durch seine Bearbeitung noch zu steigern und zu verdichten; ihn anschaulicher zu machen, dramatischer möglicherweise auch. Indirekte Rede wird in direkte Rede verwandelt.

 

 

Es entsteht überhaupt ein ganz neues Skript, sozusagen ein Buch des Buchs, ein ebenso eigenständiges wie abhängiges Werk. Beschreibungen fallen weg und werden durch Geräusche ersetzt. Oder durch die Art des Sprechens. Wenn es zum Beispiel heißt, diese oder jene Person stottere vor Angst, muß das nicht berichtet werden, sondern der Sprecher drückt genau dies aus. - Natürlich ist das ein kunstvolles akustisches Gewebe, was da hergestellt wird. - Das verlangt nach genauer Vorbereitung und nach einem geeigneten Regisseur. Nicht jeder kann jeden Stoff bewältigen. Fortsetzung folgt