Serie: VOM GLÜCK DES HÖRENS, Teil 3/10

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Das also die Anforderungen. Schwer genug. Und sie verlangen nach dem möglichst besten Sprecher 'auf dem Markt': Das können Schauspieler sein, die sich vorwiegend aufs Sprechen statt aufs Gesehen-Werden konzentriert haben. Die Stimme kann viel ausdrucksvoller sein als die eigene Schau-Spiel-Begabung.

 

 

Siegfried Schürenberg (1900 - 1993) ist dafür ein Beispiel. Es gibt zahlreiche Filme, in denen er als Schauspieler zu sehen ist. Immer gut; aber niemals käme man auf die Idee, von einem großen Schauspieler zu sprechen. Aber seine Stimme und die Möglichkeiten seiner Stimme sind aller erster Güte: Sehr charakteristisch und unnachahmlich – und wenn allenfalls nachahmlich, aber unerreichbar. Auch Friedrich Schütter (1921-1995) wäre hier ein gutes Beispiel: Als Stimme stark und markant, man denke an „Bonanza“. Als Schauspieler weit weniger ausdrucksvoll.

 

Bei synchronisierten ausländischen Filmen kann man das gelegentlich studieren: Da kann die deutsche Synchronstimme viel ausdrucksvoller als der zu betrachtende Schauspieler sein. Natürlich auch umgekehrt: Die falsche Synchronstimme kann den spielenden Schauspieler in seiner Wirkung beschädigen. Beispiel: Harald Juhnke, der Woody Allen (*1935) in „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ (1972) synchronisiert hat. Nicht, dass Juhnke ein schlechter Schauspieler oder Sprecher gewesen wäre; aber er paßt einfach nicht zu Woody Allen.

 

Der Part wurde daher später noch einmal durch Wolfgang Draeger (*1928), den unerreichten Woody-Allen-Sprecher überhaupt, nachsynchronisiert. Es ist interessant, beide Fassungen zu vergleichen. - Natürlich gibt es auch die glücklichen Doppelbegabungen wie etwa Will Quadflieg (1914 - 2003), Gustaf Gründgens (1899 - 1963), Heinrich George (1893 - 1946); aber auch Schauspieler der Gegenwart wie Ulrich Matthes (*1959) und Nina Hoss (*1975).

 

Wenn ich kurz vorgreifend zusammenfassen soll, welche Aufnahmen mich am stärksten angesprochen haben, im wortwörtlichen Sinne!, - aber es ist selbstverständlich auch die Qualität der Bearbeitung und Regie, - so sind das Max Frischs „Mein Name sei Gantenbein“; manches aus dem „Echolot“; sicherlich „Effi Briest“ und last not least „Gehe hin, stelle einen Wächter“.

 

Das Schiller-Wort über den Schauspieler: "... wer den besten seiner Zeit genug getan / Der hat gelebt für alle Zeiten" hat seine Gültigkeit ganz genauso auch für das Hörspiel wie für das Hörbuch. Die technischen Möglichkeiten und Moden dürfen sich nicht so in den Vordergrund drängen, dass die Idee des Ganzen darin sich verfängt und hängen bleibt. Die Idee muss über alle Mode hinweg triumphieren und durchdringen. Geschieht das, dann bleibt ein Hörspiel oder ein Hörbuch immer aktuell und, alle Mode hin oder her: Es wird einen immer ansprechen. Ist das hingegen nicht gelungen, mag es zu seiner Zeit zwar sogar brillieren, aber es veraltet auch genauso schnell, wie die Mode vergeht. Im Englischen gibt es das Bonmot: "Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, wird bald Witwer sein!"

 

Für "Gehe hin, stelle einen Wächter" habe ich manche zusätzliche Autofahrt unternommen! Es ist eine wirklich gelungene Lesung. Aber auch eine ganz besondere: Man muss das Buch dazu lesen! So schön Nina Hoss das liest, und sie liest es besonders schön, habe ich vieles aber erst verstanden, als ich es im Buch nachgelesen habe. Woran liegt das? Was Nina Hoss nicht gelingt (oder was sie vielleicht auch gar nicht angestrebt hat), ist es, einen Teppich zu legen, eine Grundlage und Ebene der Erzählung, aus der heraus dann die verschiedenen Figuren in Erscheinung treten. Sie zieht stattdessen alles, auch die rein erzählerischen Anteile des Buches, auf die Hauptfigur. Auf diese Weise wird das rein Erzählte gleichsam wörtliche Rede der Hauptfigur. Fortsetzung folgt

 

Foto: Nina Hoss