Carlo Strenger: Das Leben in der globalisierten Welt sinnvoll gestalten; in: Psychosozial-Verlag, Teil 4/4

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Erwähnt wird von Carlo Strenger, dass einige Vertreter der existenziellen Psychologie behaupten, Ideologien, Religionen und Weltanschauungen seien »zwangsläufig destruktiv«, denn »der Versuch, die eigene Weltanschauung zu verteidigen«, führe »zwangsläufig zu einer Haltung der Intoleranz … zu einer Bereitschaft, grausam gegen andere vorzugehen und Zerstörung, Leiden und Tod auf der Erde zu verbreiten«.

 

Der Autor schließt sich dieser fatalistischen Haltung nicht an, sondern stellt die Frage, ob es ein Prinzip gebe, dass die meisten Bewohner der globalisierten Welt akzeptieren könnten und das dazu beitragen könnte, unsere Erfahrung von Sinn zu vertiefen. Was könnte die Bewohner der globalisierten Welt verbinden? Könnten sie eine gemeinsame Sache vertreten, die ihnen allen »heilig« ist?

 

Helfen könnte, das skizziert Strenger am Ende des Buches, eine WIN-WIN Interaktion zwischen den Vertretern verschiedener Weltanschauungen. Helfen könnten die Entwicklung einer »Art Universalreligion« oder zumindest ein universell akzeptierter Wertekanon, also eine universalistische Konzeption von Humanität.

 

Aber dafür müsste, dieser Forderung Isaiah Berlins schließt sich Strenger an, die verhängnisvolle Überzeugung, dass es »irgendwo, in der Vergangenheit oder in der Zukunft, in der göttlichen Offenbarung oder im Geiste eines einzelnen Denkers, in den Verlautbarungen der Geschichte oder der Naturwissenschaft oder in dem einfachen Gemüt eines unverdorbenen braven Menschen eine endgültige Lösung gibt«, überwunden werden.

 

»Diese uralte Überzeugung beruht auf der Vorstellung, alle positiven Werte, an die Menschen je geglaubt haben, seien letztlich miteinander vereinbar und würden sich vielleicht sogar logisch auseinander ergeben.» (Berlin, I.; Freiheit. Vier Versuche, 2006; S. 255f).

 

Carlo Strenger gibt zu bedenken, ob wir uns nicht von der Überzeugung, es könne jemals eine absolute Gültigkeit von Werten geben, verabschieden müssen. Es gebe allerdings ein unstillbar erscheinendes metaphysisches Bedürfnis, endgültige Lösungen zu finden, demnach auch von endgültigen Wahrheiten auszugehen.

 

Dieses Bedürfnis sei allerdings eine der schlimmsten Quellen des uns von Menschen auferlegten Leidens. Wünschenswert wäre stattdessen, wenn wir Menschen uns mit der relativen Gültigkeit von Überzeugungen und eigener Wertvorstellungen begnügten.

 

Der Autor kann auf der letzten Seite seiner Veröffentlichung der Versuchung nicht widerstehen, seinen Mitmenschen, also uns allen, zuzurufen:

 

»Ihr Bewohner der globalisierten Welt, vereinigt euch! « Vielleicht wird die gebündelte Kreativität derer, die begreifen, dass die Menschheit durch ein gemeinsames Schicksal vereint ist, noch einmal den Sieg davontragen. Nicht indem sie mit Andersdenkenden rivalisieren und sie vernichten, sondern indem sie eine neue Form der Solidarität entwickeln - Solidarität mit der gesamten Menschheit, einer Spezies, die ein blindes Schicksal in die Abgründe des Genozids und der Umweltkatastrophe geführt hat und zugleich zu den höchsten Höhen individueller und kollektiver Schöpferkraft - eine Schöpferkraft, die alles übersteigt, was unser von Narben übersäter Planet je gesehen hat«

 

Eine neue Form von Solidarität, möchte ich zurückfragen, eine »neue Form von Solidarität« angesichts der jüngsten Erfahrungen in der europäischen Flüchtlingskrise, angesichts von weltweit sechzig Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten?

 

Und angesichts eines weltweiten Prekariats, dessen Zahl in die Milliarden gehen dürfte. Müssten diese Menschen nicht vordringlich gefragt und gehört werden, welche »neue Form von Solidarität« sie sich wünschten.

 

Auch wenn die Realität immer wieder das Gegenteil zu beweisen scheine, möchte Carlo Strenger an Sigmund Freuds Aussage festhalten: »… Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat« (Freud, S. 1927. Die Zukunft einer Illusion. Studienausgabe. Frankfurt A. M. 1974, Bd. 9, 135-189. Zitiert nach: C. Strenger, a.a.O. S., S. 286).

 

Das zaghafte Nicken des Rezensenten können Leserinnen und Leser leider nicht sehen.

 

Info:

 

Carlo Strenger: Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit, Das Leben in der globalisierten Welt sinnvoll gestalten; in: Psychosozial-Verlag, Buchreihe: Psyche und Gesellschaft, Gießen 2016

 

Psychosozial-Verlag, Walltorstr. 10, 35390 Gießen, Tel.: 06 41 - 96 99 78 0, Fax: 06 41 - 96 99 78 19; E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!