mächtig Wirbel mit MACHT bei Galiani Berlin

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So oft passiert mir das auch nicht, daß ich hochgestimmt und hochgespannt nach den ersten Seiten gleich alle Freunde anrufen will, sie sollten sofort dieses neu herausgekommene Buch kaufen und lesen. Aber so oft passiert mir das auch nicht, daß ich nach etlichen Pausen zum Ende des Buches, hier auf Seite 424, mit hängender Zunge ankomme. Irgendwas ist unterwegs auf der Strecke geblieben. Aber was?

 

Karen Duve, die wir gerne lesen und deren TAXI von 2008 wir auch herrlich verfilmt fanden, hatte sich viel vorgenommen, denn schlußendlich geht es hier um das Wiederaufleben eines patriarchalischen Verbrechers, der die Errungenschaften der Weiberwirtschaft und Weiberherrschaft, die im Jahr 2031 in Deutschland herrschen, mit krimineller Energie und höchst niederträchtigen und verbrecherischen Handlungen zurückschrauben möchte, will sagen, die alte Männerdominanz im Allgemeinen und ganz speziell im selbstgestrickten Detail wiederaufleben lassen möchte.

 

Es ist Sebastian Bürger, der sich mit der Verjüngungspille EPHEBO wie alle anderen Deutschen äußerlich um Jahrzehnte jünger macht, der hier Geschichte schreiben will. Dabei hätte er mal lieber das Motto lesen sollen, das Karen Duve ihrem Buch als eines von Zweien mit auf den Weg gibt: „Mit Frauen und Untertanen umzugehen ist äußert schwierig.“. Das hat Konfuzius gesagt, steht da, und der weise Mann wird wissen, wovon er spricht. Der Möchtegern Sebastian hat aus dem Wörtchen 'und' eine folgenschwere Einheit gebastelt, er hat seine eigene Frau in den Keller gesperrt und dort zur Untertanin gemacht. Und nicht nur das. Es kommt noch viel schlimmer, denn er ist später sogar Wiederholungstäter. Und macht zwei Frauen zu Untertaninnen, d.h. er versucht es und scheitert.

 

Das Buch ist also eines, das im gewissen Sinn eine Anleitung zum Unglücklichsein für Männer beinhaltet bei der Vorgaukelung dessen, es sei eine Anleitung zum Glücklichsein. Aber jetzt von vorne und ordentlich!

 

Wir sind im Jahr 2031. Es ist glühend heiß, keiner der Tage hat weniger als 35 Grad Hitze, obwohl wir erst im April sind. Das gefällt nur dem Raps, der auch über das Titelbild wuchert, denn der ist genmanipuliert und macht allen anderen Pflanzen in der Gegend den Garaus. Zwar gibt es formal noch das Staatswesen der Bundesrepublik, es herrscht eine 'kontrollierte Demokratie' in einem 'Staatsfemininismus'. Männer können sich also endlich mal ihres Lebens erfreuen und müssen keine staatstragenden und öden Rollen mehr spielen, sondern dürfen sich den Frauen und den Kindern widmen. Aber eigentlich bekommen wir vom Leben im Jahr 2031 kaum etwas anderes mit, als Basti, wie er gemütlich genannt wird, denn er ist als umgänglich bekannt.

 

Geradezu langsam wird uns der Icherzähler in einem Telefongespräch mit einem Klassenkameraden ans Herz gelegt, der das 50jährige Klassentreffen organisieren will, das in Wellingstedt – gute Begriffsvermatschung für einen Vorort von Hamburg – stattfinden soll, wo alle aufwuchsen und wohin Basti nach dem Tod der Eltern wieder gezogen ist. Und dann beginnt ein Ritt über Berg und Tal, wo ein Sammelsurium von schrägen Gedanken und wenig entwickelten Gefühlen des Sebastian Bürger einem mehr und mehr zu schaffen macht. Der ist weder ein richtiger Zyniker, obwohl er zum Verhalten seiner Mitmenschen schon gute Analysen liefert, die er aber als Moralapostel dann wieder ins Allzumenschliche abgleiten läßt, dazu ist er die Rohform eines Wiener Grantlers, aber ohne dessen Charme zu haben, er ist einfach ein genervter Durchschnittstyp, der an seiner eigenen männlichen Durchschnittlichkeit leidet, dafür aber andere verantwortlich macht: die Frauen und am allermeisten seine eigene Frau. Seine Ex-Frau.

 

Und wenn wir hören, die ist verschwunden und das seit Jahr und Tag, war aber zuvor als Christine Semmelrogge Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerksstillegung und Atommüllentsorgung eine politische wichtige Figur, so wundern wir uns ab irgendwann gar nicht mehr, was es mit diesem unsauberen Basti auf sich hat: der hält sie nämlich in einem dafür ausgestatteten Keller im eigenen Haus gefangen, sinnig wie ein Hofhund als Kellerfrau an einer Kette. Doch, zuerst ist das schon durchschlagend, wie dieser kleine Pimpf Basti – den wir vor allem im Umgang mit seinen Kindern als einen verschlagenen, bösartigen Überzwerg kennenlernen – hier endlich zurückschlagen kann und die jahrelangen Demütigungen, daß Frauen einfach besser sind, durch Gefangenenhaltung korrigieren will. Da muß man ihm in manchen Auswüchsen und vor allem Sprechblasen absolut zustimmen, wie das Fiese an diesem Buch ja auch darin besteht, daß er manches zur Sprache bringt, was tatsächlich dummes Zeug ist, aber als angesagt gilt. Dann aber muß man ihn ob seiner mentalen und intellektuellen Unterlegenheit immer wieder auslachen, zumal wenn er technische Spielchen spielt, wie den Zugang zum Keller, die ja bitterer Ernst sind.

 

Aber der Ernst dringt nicht durch und im Ernst will man sich ja ernsthaft auch nicht mit gefangengehaltenen, gedemütigten als Sexsklavinnen mißbrauchten Ehefrauen und potentiellen Geliebten, ach was: vergewaltigten Frauen beschäftigten. Nicht, wenn man nicht muß. Und darum gibt es im Roman mehrere Stellen, wo man aussteigt: emotional, gedanklich, moralisch – und auf einmal ist man gelangweilt. Was heißt schon man. Ich muß ich sagen. Dabei war ich doch die, die so begeistert angefangen hatte.

 

P.S. Zum guten Teil geht es auch um das, was man fälschlich gerne den 'gesunden Menschenverstand' nennt. Wir finden also hier ganze Parteiparolen der AfD und anderer wieder.