Bernhard Viel hat eine Biographie über Waldemar Bonsels geschrieben

 

Alexander Martin Pfleger

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Die Biene Maja ist berühmt, nicht ich.“ Diese Abwandlung des bekannten Bonmots von Vladimir Nabokov über seine bekannteste Frauengestalt hätte ohne weiteres einige Jahrzehnte zuvor von Waldemar Bonsels geäußert worden sein können.

 

Anders aber als das Werk des Exilrussen, dessen literarischer Erfolg bei Lesern und Literaturwissenschaft sich keinesfalls auf die Geschichte Humbert Humberts und dessen Liebe zu seinem „Nymphchen“ Lolita beschränkt, ist der Großteil des umfangreichen schriftstellerischen Schaffens von Waldemar Bonsels, trotz verschiedener Neuauflagen und der Existenz einer (philologisch fragwürdigen) zehnbändigen Gesamtausgabe, bis heute letztlich der Vergessenheit anheimgefallen – mit Ausnahme der Abenteuer der kleinen Ausreißerin aus dem Bienenstock und späteren Retterin ihres Volkes („Die Biene Maja und ihre Abenteuer“, 1912) sowie deren partieller Fortsetzung („Himmelsvolk“, 1915).

 

Bernhard Viel tat daher gut daran, in seiner Bonselsbiographie die „Biene Maja“ als dichterisches Hauptwerk zu behandeln – und als ethischen Maßstab für die Beurteilung des Lebens ihres Schöpfers zu handhaben, dem dieser freilich nur bedingt gerecht zu werden vermochte. Weit mehr als nur ein Tiermärchen für Kinder, wird die „Biene Maja“ hier im Kontext übergreifender geistesgeschichtlicher Zusammenhänge gezeigt – eine staatspolitische Parabel, die Elemente des deutschen Bildungsromans aufgreift und das Verhältnis von Staat und Individuum in der Moderne auf originelle Weise durchspielt, irgendwo zwischen Thomas Manns „Tonio Kröger“ (1903) und Ernst Jüngers „Der Arbeiter“ (1932) angesiedelt. Der Idealstaat der Biene Maja taugt kaum zur Begründung einer liberalen Demokratie, ist aber auch alles andere als eine totalitäre Willkürherrschaft – die Bienenkönigin steht zwar an der Spitze ihres Volkes, bleibt aber dem Gesetz untertan.

 

Mit seinem Bemühen, die Spannungen zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft harmonisch auszugleichen, wußte der Verfasser sowohl im Kaiserreich als auch während der Weimarer Republik zu reüssieren. Und auch wenn er sich dem NS-Regime von seinem Refugium auf Capri aus andiente – einen „Rest der Empathie Majas“ (S. 296) sollte sich Bonsels doch stets bewahren.

 

Bonsels, der Opportunist, „ein glühender Anhänger seiner selbst und seines Erfolgs“ (S. 268), war in der Tat kein Ausreißer aus seinem Bienenstock, der bürgerlichen Gesellschaft, sondern vielmehr ein fleißiger Honigsammler – der allerdings auch weit herum kam: Ob als Missionskaufmann in Indien, als Verleger im Umkreis der Schwabinger Bohème der Jahrhundertwende, als von der literarischen Kritik kaum wahrgenommener Erfolgsschriftsteller im Berlin der 1920er Jahre, als Teilnehmer einer Expedition ins Amazonasdelta, die er sich jedoch krankheitsbedingt vorzeitig abzubrechen gezwungen sah, als Tourist an allen kulturell bedeutsamen Stätten des Mittelmeerraums oder als Vertreter deutsch-abendländischer Kultur mit einem zeitlich begrenzten Gastspiel im gleichermaßen „hypermodernen“ wie „bildungsfernen“ Amerika zu einer Zeit, da dieses für viele andere Repräsentanten des deutschen Geisteslebens zur neuen Heimat werden sollte, weil ihnen die Rückkehr in die alte verwehrt war.

 

Weder Anklage noch Aufwertung oder gar Rechtfertigung ist Viels Intention; ihm ist es vielmehr darum zu tun, den seines Erachtens durchaus exemplarischen Lebensweg eines konservativ-nationalen Intellektuellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts plausibel nachzuzeichnen und das reichhaltige ideen- wie sozialgeschichtliche Potential dessen literarischen Gesamtwerks zur Entfaltung gelangen zu lassen. So entrollt sich ein „kulturgeschichtliches Panorama“ (S. 370) verblüffenden Ausmaßes: Es werden Übereinstimmungen wie Unterschiede zwischen der Wandervogelbewegung, der Bonsels nahestand, und den „Tramp“-Gestalten im Stummfilm Charlie Chaplins herausgearbeitet – Bonsels dürfte von diesen und anderen Hervorbringungen der von ihm herablassend behandelten, wenn nicht gar schlichtweg negierten amerikanischen Kultur einiges während seiner Zeit in Hollywood 1934/1935, die er nach 1945 zur „Emigration“ umdeutete, aufgenommen haben. Reizvoll ist auch die Vorstellung eines „Biene Maja“-Kostümfilms im Stil der „Sommernachtstraum“-Verfilmung von Max Reinhardt und William Dieterle (1935).

 

Wie bereits in seinen Biographien über Johann Peter Hebel (2010) und Egon Friedell (2013), bedient sich Viel auch hier einer Methode, die manchem Leser gewöhnungsbedürftig erscheinen mag – der romanhaften Ausschmückung zahlreicher Stellen. Doch Viel gelingt es gerade auf diese Weise, kaum mehr Rekonstruierbares oder ohnehin Widersprüchliches nachvollziehbar zu gestalten. Überdies informiert er im Anhang detailliert darüber, wie es um die faktische Fundiertheit seiner Fiktionalisierungen tatsächlich bestellt sei. Seine Darstellungsweise ist dabei insgesamt behutsam und distanziert, wenn auch häufig dramatisch akzentuiert, und völlig frei von jener merkwürdigen Tendenz zur Süffisanz, woran so manches Produkt neuzeitlicher Biographik krankt.

 

Viel läßt Bonsels oder zumindest die gesicherten Fakten seines Lebens mehr oder minder für sich selbst sprechen – kaum verwunderlich erscheint es da, daß man den Helden seines Buches, ungeachtet seines Opportunismus´, nicht ohne Sympathie betrachtet und vor allem neugierig auf sein Werk wird: Etwa auf den Roman über den „Griechen Dositos“ (1943), einen historischen Roman über die Zeit Jesu, der sich sowohl als Anbiederung an die braunen Machthaber wie als verdeckte Kritik am NS-Staat lesen läßt, auf den Kriminalroman „Mortimer“ (1946), ein eigenwilliges „Crossover“ zwischen Schwarzer Romantik und Schwarzer Serie – und, wen wundert's, natürlich wieder auf die Abenteuer der Biene Maja!

 

Einige eklatante Lektoratsfehler fallen unangenehm auf, dürften sich aber für die nächste Auflage sicher mit Leichtigkeit korrigieren lassen und beeinträchtigen den positiven Gesamteindruck kaum.

 

 

Info:

 

Bernhard Viel: Der Honigsammler:

Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016

445 Seiten, EUR 24.90 (DE), ca. EUR 25.60 (AT), ca. sfr 31.60 (freier Preis)

ISBN: 978-3-95757-148-9

EAN: 9783957571489

 

 

Anmerkung der Redaktion:

Diese Besprechung erschien ursprünglich in der Märzausgabe 2016 der „Wiener Sprachblätter“ (Jahrgang 66, Heft 1, März 2016). Für die Wiederveröffentlichung wurde sie geringfügig bearbeitet. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.