Olga Martynova gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis 2012, Lisa Kränzler, Cornelia Travnicek, Inger-Maria Mahlke gewinnen auch

 

Felicitas Schubert

 

Klagenfurt (Weltexpresso) – Fest in Dichterinnenhand blieb der diesjährige Preissegen bei den „36. Tagen der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt, bei einem 'schwachen' Jahrgang, wie die allgemeine Einschätzung lautete, was nicht unbedingt für die Preisträgerin des Bachmann-Preises gilt: Olga Martynova aus Frankfurt am Main für ihre Erzählung „Ich werde sagen: 'Hi'“. Sie ist im Jahr 1991 aus Rußland nach Deutschland gekommen und schreibt ihre Gedichte weiterhin auf Russisch.

 

 

Olga Martynova setzt nicht nur die Riege weiblicher Preisträgerinnen fort – 2011 erhielt den 25 000 Euro werten Preis die Kärntnerin Maja Haderlap – sondern auch die der älteren Semester. Sie selbst wurde 1962 in der UdSSR geboren, wuchs in Leningrad auf, zählt also rund fünfzig Jahre wie die vorjährige Preisträgerin und auch 2010 war mit Peter Warwerzinek kein Jungspund an der Spitze, wenngleich ebenfalls ein richtig guter Erzähler. Der diesjährige Preisträgerintext wurde wegen des Witzes, auch des Sprachwitzes und der Zusammenballung der großen Welt und ihrer Geschichte in einem kleinen Kopf eines Dichteraspiranten Moritz ausgewählt, der in den Sommerferien sich innerlich auf seine Dichterlaufbahn vorbereitet und auf die Liebe auch, die sich erst einmal im Schwärmen für dunkelhaarige Mädchen äußert. Eine Erzählung über die Möglichkeiten der Phantastik in der Literatur und ihres Personals in Form von Schreiberlingen dazu.

 

Die 1983 geborene Lisa Kränzler erhielt den 3sat-Preis für „Willste abhauen“, über den sich neben ihr auch der Verbrecher Verlag freute, der sie herausbringt und der schnell eine Nachricht herumschickte: „Wir freuen uns sehr für unsere Autorin und gratulieren ihr herzlich.“ Vorgeschlagen vom Juror Hubert Winkels stellte Kränzler beim Bachmann-Wettbewerb einen Ausschnitt aus ihrem zweiten Roman vor, der im Frühjahr 2013 erscheinen wird. Hubert Winkels würdigte in seiner Laudatio diese "Geschichte der erwachenden Sexualität", die durch ihre Darstellung einer Mischung aus Erotik, Sexualität und Gewalt überzeuge.

 

Die schnelle Information hatte noch einen traurigen Grund: „Jedoch ist dieser Erfolg von einem tragischen Ereignis überschattet. Jan Jenrich, unser Freund, Kollege und Lektor von Lisa Kränzler ist am Donnerstag in Klagenfurt im Schlaf an einem Herzschlag gestorben.

Er hatte auch den Textauszug, den sie beim Bachmann-Wettbewerb gelesen hat, lektoriert, und damit mit ihr zusammen erarbeitet. So ist dieser Preis auch sein Preis.“ Im Februar dieses Jahres hatte Lisa Kränzler ihren Debütroman »Export A« im Verbrecher Verlag veröffentlicht, ebenfalls von Jan Jenrich lektoriert. Darin schildert die Malerin und Schriftstellerin die Erlebnisse einer Austauschschülerin in Kanada.

 

Der Ernst-Willner-Preis ging an Inger Maria Mahlke für ihren Sexdienstleistungsgeschichte, geboren aus dem Bäckereigewerbe und den Publikumspreis errang die 1987 geborene Cornelia Travnicek für den Romanauszug „Junge Hunde“. Hunde ist ein Stichwort. Denn zwei inhaltliche Schwerpunkte hatten die Lesungen: Familie, detaillierter Jugend und Erwachsenenwerden und Tiere. Das brachte der 36. Tagung auch den Vorwurf ein, sie sei etwas zahnlos, was angesichts von Jugend sprachlich das falsche Bild wäre, da es an Greise erinnert. Wie sehr aber der Klagenfurt-Jahrgang 2012 mit sich selbst beschäftigt ist, zeigten die Geschichten rundherum. Das steht auffällig im Gegensatz zu den Bücherpreisen, sowohl in Deutschland wie auch der Schweiz, wo gesellschaftlich relevante Themen in Romanform eine Rolle spielten. Warten wir also auf den Deutschen Buchpreis 2012 im Oktober und den Schweizer Buchpreis im November.

Nur weibliche Autoren gewannen. Der Umkehrschluß, männliche hätten nicht teilgenommen trügt. Einigen hätte man auch Preise zugetraut. Beispielsweise dem 1983 geborenen Matthias Stichmann für eine Erzählung, die eine bürgerliche Familie aushebelt, der 1979 geborene Matthias Nawra in „Unternehmer“, wo eine ganze Familie dran glauben muß, der 1978 geborene Simon Froehling mit einem Romanauszug aus „Ich werde Dich finden“, wo die Niere eines tödlich Verunglückten in einem anderen durch Transplantation weiterlebt, diese aber die Seele des Toten mitgenommen hatte.

 

Auffällig waren nicht nur die private Thematik der vorgetragenen Texte, sondern auch, daß in den Feuilletons ausgetragene Debatten, wie derzeit Martin Mosebachs über Blasphemie und Zensur keine Rolle spielten. Daß die Jury einen Begriff wie „funktionieren“ für die Wertung eines literarischen Produkts überhaupt in den Mund nahm, ist eine Tatsache, die nicht allein nachdenklich macht, sondern die ebenfalls zu einer in Klagenfurt vermißten Debatte über die Literatur unserer Zeit führen müßte.

Foto; Lisa Kränzler

 

Info:

Die Aufzeichnungen der Lesung und der Diskussion beim Bachmann-Wettbewerb sowie ein Videoporträt finden Sie hier:

http://bachmannpreis.eu/de/autoren/3812