Dieter David Seuthe, Frankfurt verboten, Weissbooks Verlag, gelesen in einem Literaturkurs in Rüsselsheim, Teil 2/2
Thomas Adamczak
Rüsselsheim (Weltexpresso) - In Erinnerung gerufen sei an dieser Stelle der Plot des Romans: Elise ist eine kreuzbrave Bürgerstochter. Um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu gewinnen, die den frühen Tod ihres Bruders nicht verwinden können, möchte sie Pianistin werden. Weil die Augenoperation der geliebten Großmutter von der Familie nicht zu finanzieren ist, organisiert Elise 1929 ein Klavierkonzert an ihrer Schule, das in Bad Ems, dort wohnt die Familie, großen Anklang findet, aber kurz vor Ende des Konzerts durch einige Jugendliche in HJ-Uniform gestört wird.
Diese Jugendlichen singen, um nicht zu sagen grölen, unterstützt von ihrem Lehrer, der vorher lautstark die »volksfremde Musik der Franzosen« moniert (gespielt hatte Elise ein Stück von Debussy), das Horst-Wessel-Lied. Elise schaut bei dieser Störung »verblüfft in den Saal«, was unterstreichen soll, dass mit einer solch provokanten Aktion niemand gerechnet hatte. Im Saal breitet sich »eine Woge der Empörung« aus. Noch sind die Gegner der Nazis eindeutig in der Überzahl, noch. Die Störenfriede werden vom Schulleiter aus dem Saal verwiesen. Der Lehrer, der die NS-Jugendlichen begleitet und vermutlich zu dieser Aktion angestiftet hatte, brüllt, als er mit seinen Kumpanen den Saal verlassen muss: »… noch können Sie uns den Saal verbieten. Aber nicht mehr lange … bald sind wir wieder da … Dann werden wir Schluss machen mit Ihnen und Ihren jüdischen Volksschädlingen, die Sie hier immer noch schützen und unterstützen.«
Eine Drohung, die bald Realität werden sollte, das zeigt der Roman eindrücklich. Entscheidend für die Romankonzeption ist, dass Elise, die das Konservatorium Dr. Hoch’s in Frankfurt besucht, welches sie als Jüdin 1933 kurz vor dem Abschluss des Studiums verlassen muss, eine für heutige Leserinnen und Leser »zu romantisch« dargestellte Liebesbeziehung zu dem Juristen Max von Hochem eingeht. Es geht also um eine Liebe zwischen Jüdin und Christ, die durch die Rassengesetzgebung der Nazis (Nürnberger Gesetze) verboten ist.
Verboten wird auch das erste Konzert in Frankfurt, mit dem sich Elise der in Frankfurt an Musik interessierten Öffentlichkeit vorstellen will. Der Adjutant des Frankfurter Gauleiters teilt ihr mit, dass dieses Konzert in »Frankfurt verboten« sei. Daher der Titel des Romans. Dieser Adjutant mit Namen Sörger (Pervertierung von Sorge kann man assoziieren) will seine Machtposition ausnutzen und macht der schönen Jüdin Elise in Anwesenheit von Max ein unsittliches Angebot.
Elise reagiert impulsiv und völlig richtig: Sie knallt dieser Kanaille eine, woraufhin der sich schwört, diese Person und am besten auch deren Partner zu vernichten. Damit ist die zentrale Problematik des Romans hinreichend erhellt. Max hält bis zum Schluss zu Elise, bezahlt das mit seinem Leben, während es Elise gelingt, mithilfe eines neuseeländischen Sportlers während der Olympiade 1936 nach London zu fliehen. Von London aus geht die Flucht nach Neuseeland, wo sie, allerdings viel später, ihre Geschichte aufschreibt, die Geschichte ihrer Flucht aus Deutschland und die Geschichte ihrer Familie.
Diese Aufzeichnungen findet ihre Tochter Sarah nach ihrem Tod in Neuseeland. Der Autor lässt also, das ist wesentlich an seiner Konzeption, das Einzelschicksal von Elise von ihr selber aufschreiben, einer Klavierlehrerin, die in Neuseeland heiratet und ihrer Tochter gegenüber Zeit ihres Lebens ihre Geschichte verschweigt. Diese Rekonstruktion des Inhalts des Romans in groben Zügen war erforderlich, um die neben viel Zustimmung auch geäußerte Kritik relativieren zu können, denn diese Kritik bezieht sich auf die sprachliche Qualität des Romans.
Die Rezensentin in Weltexpresso, Claudia Schulmerich, kommt sogar zu einem vernichtenden Urteil. Der Roman sei zwar »Gut gemeint«, so die Überschrift der Rezension, aber letztlich formalsprachlich misslungen, er sei, das ist das Fazit, »keine gute Literatur«.
Vergleichbare Einwände werden im Literaturkurs der Volkshochschule in Rüsselsheim geäußert. Die Beziehung zwischen Elise und Max ist einer Teilnehmerin »auf den Keks« gegangen, andere meinen, der Roman sei sprachlich zu schlicht, zu nah am Bereich Trivialliteratur. Dagegen wird allerdings eingewandt, dass der Inhalt bei einem solchen Roman entscheidend sei. Es entspannt sich eine Kontroverse, die erweist, dass die Teilnehmerinnen in ihrer Haltung gespalten sind.
Der Autor dieser Zeilen würde gern die 12 000 Teilnehmer der Frankfurter Veranstaltung zu dieser Kontroverse hören.
Wie viele dieser Teilnehmer würden zustimmen bei der Frage, ob »Frankfurt verboten« ein wichtiges Buch ist. Wie viele würden zustimmen bei der Frage, ob es ein gut geschriebenes Buch ist. Und letztlich: Wie viele von den 12 000 Menschen würden meinen, dass der Inhalt in diesem Fall wichtiger sei als die Sprache einer Erzählfigur, die sich, daran sei erinnert, erst 1985, also fünfzig Jahre nach ihrer »Auswanderung«, entschließt, ihre Geschichte aufzuschreiben »wie eine Schriftstellerin«.
Sie ist allerdings keine, sondern eine Klavierlehrerin, so will es der Autor, die sich 1936 entschlossen hatte, »mein deutsches Leben, das man mir verboten hat, für immer in mir zu verschließen. Die Erinnerung an das Verlorene hatte mir die Luft genommen. Erstickt wäre ich. «
Gibt es Leserinnen und Leser dieses Romans, das ist die abschließende Frage, die bei den nächsten Wahlen trotz der Lektüre dieses Buches die AfD wählen wollen?
Frankfurt liest ein Buch: Ein sehr gutes Vorhaben! Ganz Deutschland sollte das Buch Frankfurt verboten lesen. Dann könnte das ganze Land über den Inhalt des Romans reden, also ruhig mal wieder über dieses deutsche Thema reden und über mögliche Konsequenzen und darüber, was so ein Buch in Zeiten von Flucht, Vertreibung und Verfolgung eigentlich bedeutet.
Artikel aus Weltexpresso: https://weltexpresso.de/index.php/buecher/6852-gut-gemeint
Foto: Die Pianistin, deren Schicksal das Buch beschreibt (c) deutsches-filminstitut.de
Info:
Frankfurt liest ein Buch, Veranstaltungsreihe an gegebenen Orten, 11. bis 24. April 2016
Dieter David Seuthe, Frankfurt verboten, Verlag Weissbooks 2016 als Sonderausgabe mit neu gestaltetem Titelbild eines schon 2013 erschienenen Romans
Programm: www.frankfurt-liest-ein-buch.de
DIETER DAVID SEUTHE
Dieter David Seuthe, geboren 1951 in Westfalen, arbeitet als Psychotherapeut. Nach vielen Jahren in Neuseeland lebt er mit seiner Familie seit 2008 wieder in Frankfurt am Main. Frankfurt verboten ist sein erstes Buch.
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