John le Carré erzählt in DER TAUBENTUNNEL Geschichten aus seinem Leben, 1
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Es gibt nur wenige moderne Autoren, deren Name so eng mit einer zeitgeschichtlichen Epoche verbunden ist, wie der von John le Carré. Wer den Namen liest, assoziiert ihn mit dem „Spion der aus der Kälte kam“. Das Buch und der gleichnamige Film handeln vom Kalten Krieg zwischen Ost und West und einer der nichtsnutzigsten Einrichtungen, die sich die Menschheit jemals hat einfallen lassen, den Geheimdiensten.
Weder haben sie jemals Gutes bewirkt noch Schlechtes verhindert, immer haben sie nur Misstrauen gesät und Unruhe gestiftet, Bösewichte am Ruder gehalten und gestürzt, wie es gerade passte. Und wenn es wirklich einmal darauf ankam, konnte sich die eigene Regierung keineswegs auf sie verlassen, sie lieferten Mitarbeiter im Bedarfsfall gnadenlos der jeweils anderen Seite aus oder benutzten sie als menschliche Tauschware.
Ein von mir geschätzter inzwischen verstorbener Journalist und Berufskollege ließ sich dereinst vom amerikanischen Geheimdienst beschwatzen, in der DDR die Autonummern sowjetischer Militärfahrzeuge zu notieren und an den Westen weiterzugeben. Die DDR ist daran nicht zugrunde gegangen, aber der gute Mann saß deswegen viele Jahre in einem sibirischen Arbeitslager. Als dann die DDR ohne Gegenwehr von der weltpolitischen Bühne abtrat, traf ihr Untergang den Westen völlig unvorbereitet. Weder der Bundesnachrichtendienst noch einer der vielen anderen Geheimdienste hatte mitbekommen, wie verunsichert die Staats- und Parteiführung durch die Politik der Perestroika Michael Gorbatschows tatsächlich war.
Als Terroristen am 11. September 2001 in den USA gleich vier Passagierflugzeuge an einem Tag kaperten und als Waffen gegen die mächtigste Militärmacht der Welt einsetzten, traf das Geschehen die Regierung völlig unvorbereitet. Keiner der Geheimdienste hatte sie gewarnt. Wenn umgekehrt ein Spion einmal gerade noch rechtzeitig drohendes Unheil signalisierte, fand er damit kein Gehör. So geschehen zwei Tage vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Von Tokio aus unterrichtete damals ihr Geheimagent Richard Sorge die Regierung in Moskau detailliert über die Angriffsvorbereitungen Hitlers, doch Stalin schob die Nachricht als Fehlinformation beiseite. Sie passte nicht in sein Weltbild, hatte doch die Sowjetunion zwei Jahre davor mit der Naziführung einen Nichtsangriffspakt abgeschlossen. Das Land zahlte dafür einen furchtbaren Preis.
John le Carrés Publikum durfte gespannt sein, ob er der berühmte Autor in seinem bisher letzten Buch „Der Taubentunnel“ endlich aus dem Nähkörbchen plaudern würde. Aber er hält sich zum Thema Geheimdienste weiter bedeckt. Nichts was der Leser nicht schon wusste erfährt er über den britischen Auslandsgeheimdienst MI6, für den er ab 1960 als zweiter Sekretär der britischen Botschaft in Bonn tätig war. Angewidert von der Erfahrung, dass der Westen mit seiner Spionagetätigkeit unentwegt eigene Ideale verriet, quittierte er nach vier Jahren seinen Dienst, um sich nur noch der Schriftstellerei widmen zu können. Sein drittes Buch, „Der Spion der aus der Kälte kam“, machte ihn auf einen Schlag so reich, dass er sich, wie er schreibt, mit den Erlösen ein kleines Chalet in der Schweiz bauen konnte.
Ohne etwas über die eigene Spionagetätigkeit zu verraten, hält John le Carrés die Leser auch in seinem jüngsten Werk bei Laune und lässt sie teilhaben an dieser und jener amüsanten Episode aus seinem Leben. Nebenbei erfahren sie auch etwas über die vermutlich wahren Gründe für das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union. An einer Stelle schreibt er nämlich: „Wir haben es schon vor langem aufgegeben, uns mit Deutschland zu vergleichen. Der Aufstieg des modernen Deutschlands als selbstsichere, nichtaggressive demokratische Macht …ist eine für viele von uns Briten zu bittere Pille, als dass man sie einfach schlucken könnte.“
John le Carré, der mit bürgerlichem Namen David Cornwell heißt, weiß um die moralische Anrüchigkeit des Bündnisses, das der Westen nach der Niederwerfung Nazideutschlands mit dessen personeller Hinterlassenschaft eingegangen ist. Mit ihrer „willkürlichen Entscheidung, ehemalige und selbst gegenwärtige Nazis seien schon qua definitionem dem antikommunistischen Lager zuzurechnen“, hätten sich die westlichen Geheimdienste etwas vorgemacht. Reinhard Gehlen, der sich bei Kriegende samt seinem Wissen als ehemaliger Chef des Wehrmachtsgeheimdienstes „Fremde Heere Ost“ an die Amerikaner verkaufte, war nach John le Carrés Eindruck ein „Effekthascher und Phantast“.
Als Chef des Bundesnachrichtendienstes verstand sich Gehlen, wie er in seien Memoiren berichtet, auf Anhieb glänzend mit dem Chef des Bundeskanzleramtes Hans Globke. Der hatte nach den Worten le Carrés selbst nach Nazimaßstäben eine beeindruckende Lebensbilanz vorzuweisen. Noch vor Hitlers Machtergreifung habe er sich dadurch hervorgetan, dass er antisemitische Gesetze für das Reichs- und das Preußische Ministerium des Innern entworfen habe. Konrad Adenauer setzte sich über die Einwände gegen die Wiederverwendung alter Nazis mit der flapsigen Bemerkung hinweg: „Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat.“ Was David Cornwell von der Kumpanei mit alten Nazis hielt, schildert er ein halbes Jahrhundert später in heiterer Gelassenheit, aber geschichtlich aufschlußreich.
Fortsetzung folgt
Foto: John le Carré (c) Wikipedia
Info:
John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, Ullstein Verlag, Aus dem Englischen von Peter Torberg, Erstveröffentlichung 9. September 2016
John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, gelesen vom Autor und von Walter Kreye, 10 CDs ca. 800 Minuten, September 2016
Bisherige Artikel in WELTEXPRESSO zum TAUBENTUNNEL
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/7944-kaufen-lesen
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/7943-von-doppelagenten-und-nazis-in-westdeutschland