KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Dezember 2016, Teil 2

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – An der Spitze der KrimiZEIT-Bestenliste Dezember 2016 finden Sie neu auf Platz 1 Miss Terry von Liza Cody, was aber noch immer nicht gelesen wurde, weshalb wir nach der ausführlichen Vorstellung von BOGMAIL von Patrick McGinley, kurz auf die Nummer drei verweisen, wo Malla Nunn mit ZEIT DER FINSTERNIS bei Ariadne bei Argumente im letzten Monat schon dabei war und mit Recht auf der Liste bleibt.

Lesen Sie die ausführliche Besprechung vom letzten Mal. Malla Nunn ist für uns eine der ganz großen Krimibegabungen, die subtil die persönlichen Belange von Menschen mit den gesellschaftlichen Bewegungen verweben kann. Ihr Detective Sergeant Emmanuel Cooper hat sich extra nach Hohannesburg versetzen lassen, damit sein Geheimnis nicht so auffällt. Er hat eine Frau..., aber nein, das soll auch hier ein Geheimnis bleiben. Wir sind im Südafrika von 1953, auf dem Höhepunkt der Apartheid. In einem Villenviertel wird ein weißes Ehepaar überfallen und ausgerechnet der Sohn seines Mitarbeiters, Constable Shabalalas Sohn, ein braver Junge soll es gewesen sein. Lesen lohnt.

 

Franz Dobler, im November noch mit EIN SCHLAG INS GESICHT aus dem Verlag Tropen auf Platz Eins, folgt nun auf dem immer noch sehr guten vierten Platz. Das war die Geschichte um Robert Fallner, der gerade seine Polizeilaufbahn abgebrochen hat, und wer den Vorgängerroman, EIN BULLE IM ZUG, gelesen hat, der weiß auch, warum er genug hat, ein offizieller Bulle zu sein. Nur hilft ihm das nicht. Er ist einer, der die Schwierigkeiten nur so anzieht. Aber diesmal hat er wirklich eine ganz andere Aufgabe als sonst als herkömmlicher Polizist. Er wird so etwas wie ein Securitymann. Sein Bruder hat eine Sicherheitsfirma und braucht seine Kompetenz dringend.

 

Es geht um Simone Thomas, eine langlebige Lady, die nach zwei Ehemännern und dreiundvierzig Jahre Showgeschäft, Dutzende Nacktfotos, viele Filmproduktionen einschließlich scharfer Pornos, nach Drogenexzessen und den üblichen Skandalgeschichten eigentlich noch ganz gut erhalten ist. Findet Robert Fallner, der sich nun damit abmühen muß, wer das ist, dieser Stalker, der diese Simone bedrängt – nicht nur durch Beobachten, sondern auch durch die berechtige Angst vor einem Überfall. Nein, das ist kein harmloser Stalker, sondern ein richtiger Verfolger. Wie aber ihn bekommen?

 

Erst einmal muß Fallner lernen, daß er auf sich alleine gestellt ist und daß Frauen aus diesem Gewerbe noch mehr schillern, als er es dachte. Die Frau wird ganz interessant dargestellt, weil sie in keine Schablone völlig paßt, sondern Facetten von allem möglichen aufweist. Sie ist auch Mutter eines Sohnes, dem es immer viel zu gut ging und der endlich einmal selbständig werden müßte. Aber letzten Endes wirkt dies alles aus Männerperspektive und Männeraugen erzählt. Natürlich darf das sein, aber es hat seinen Preis. Denn auch diese Männer müssen ein Spezialwissen mitbringen, um mit den vielen Filmzitaten und Musikandeutungen inhaltlich etwas anfangen zu können.

 

Das unterfüttert den Roman nicht, wie gewollt, sondern führt zu Furunkeln im Text, die die Handlung immer wieder verlangsamen. Und dann – das sagen wir aus Frauensicht – ist diese Simone dann doch nicht so interessant, daß wir den ellenlangen Ausführungen über ihren Werdegang und Lebensweg lauschen, die der sowohl unter- wie überforderte Fallner nachgehen muß. Noch dazu in den modernen Kommunikationsmedien, von denen er nichts versteht und die er nicht mag. Alles also ist dazu angetan, daß Fallner sich vom Regen in die Traufe versetzt sieht. Er hat schlechte Laune und anders als in DER BULLE IM ZUG bekommen wir sie mit ihm. Nein, wir finden den Roman nicht so dolle, wie man merkt. Zu gewollt, zu sehr auf Stimmung und Wirkung gesetzt.

 

Dabei ist das Stalkerthema äußerst zeitgemäß, denn einschließlich der Techniken von Video und Überwachung zeigt dies Menschen auf, die nicht ihr eigenes Leben leben, sondern sich am Leben anderer bereichern wollen, deren Leben vereinnahmen wollen, sich im Leben der anderen genauso aufzulösen, wie sie sich zum Herrn über das Schicksal des/der Auserwählten aufzuschwingen. Es geht um Omnipotenz genauso wie um Unterlegenheitsgefühle. Die Thematik hätten wir sehr gerne tiefer verfolgt.

 

Auf Platz 5 hat sich Peter Temple, eingerichtet mit DIE SCHULD VERGANGENER TAGE, von Penguin und im November neu auf der Liste wie auch Matthias Wittekindt, DER UNFALL IN DER RUE BISSON von Edition Nautilus, der nun den 6. Rang einnimmt. Ganz neu auf dem 7. Platz wird ungewöhnlicherweise Ian McEwan und seine NUSSCHALE. Erschienen bei Diogenes, geführt. Ungewöhnlich, weil der so erfolgreiche Geschichtenerzähler, der hier wieder eine ganz besondere Ungeheuerlichkeit vorbringt, ansonsten nicht unter Krimi geführt wird. Aber die noch nie ganz sichere Scheidung zwischen 'normalen' Romanen und Kriminalromanen läßt natürlich auch für diese Geschichte Platz auf der Liste.

 

DIE NACHT VON ROM von Giancarlo de Cataldo aus dem Folio Verlag war erst auf Platz 2 geschossen, war dann im Oktober auf den ersten Platz gerückt, dann im November auf den 3. Rang gerutscht und nun im vierten Monat auf dem 8. Rang. Wie auch immer, ein tolles Unterfangen, diese Geschichte, die den Vatikan mit dem von ihm ausgerufenen Heiligen Jahr in das Mafiageschehen miteinschließt. Völlig wahrscheinlich übrigens und das sind vielleicht die stärksten Waffen dieser mafiösen Romane aus Italien, daß sie kein bißchen erfunden wirken, sondern wie aus dem richtigen Leben.

 

Auf Platz 9 neu ein deutsches Roman von Christian von Ditfurth ZWEI SEKUNDEN aus Carl's Books, den wir noch nicht kennen, der aber spannend klingt, wenn in Berlin Putin und Merkel gerade so einem Attentat entkommen. Das nächste Mal mehr. Und zum Schluß auf dem 10. Rang und ebenfalls zum vierten Mal dabei, noch einmal eine Verbeugung vor Friedrich Ani, dessen NACKTER MANN, DER BRENNT aus dem Suhrkamp Verlag ein schräges, versponnenes, hochpolitisches Buch man lange im Gedächtnis behält. Fortsetzung folgt.

 

 

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Dezember 2016

 

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(-)

Liza Cody: Miss Terry

Aus dem Englischen von Grundmann&Laudan

Ariadne im Argumentverlag, 284 S. 17,00 €

London. Als im Müllcontainer die Leiche eines dunkelhäutigen Neugeborenen gefunden wird, bekommt die brave Lehrerin Nita Tehri den weißen britischen Überlegenheitsdünkel zu spüren: Sie hat dunkle Haut und muss die Mörderin sein. Nitas Glaube an Integration durch Anpassung zerbröselt. Sie lernt sich zu wehren. Famos.

2

2

(-)

Patrick McGinley: Bogmail

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser

Steidl, 344 S., 24,00 €

Glenkeel, Donegal. Von Sinn und Nutzen des Mordens handelt dieser quicklebendige Roman von 1978. Kneipier Roarty hat seinen Barkeeper erschlagen und im Moor versenkt. Jetzt drohen ihm anonyme Briefe mit Enthüllung. Vergnüglich: Whiskey-gestärkte Männer im englisch-irischen Gesprächskampf. Sex und Feinsinn: eine Wonne.

3

3

(2)

Malla Nunn: Zeit der Finsternis

Aus dem Englischen von Laudan&Szelinski

Ariadne bei Argument, 304 S., 13,00 €

Johannesburg 1953. Ein Lehrerpaar, das schwarze Jugendliche gefördert hat, wird überfallen, eine Prostituierte gekidnappt. Drei Polizisten-Väter – weiß, schwarz, „als weiß durchgehend“ - kämpfen für ihre Familien: mit- und gegeneinander, voller List und Gewalt. Band 5 der Emmanuel-Cooper-Reihe. Ungelogen großartig.

4

4

(1)

Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht

Tropen, 366 S., 19,95 €

München. Fallner ist Ex-Bulle, Ex-Ehemann, Ex-Bahnfahrer. Was nun? Bruder Hansen setzt ihn als Privatdetektiv auf eine Ex-68er-Schmuddelfilm-Darstellerin an, die einen Stalker an der Backe hat. DJ Dobler hat tarantinomäßig klasse gemixt: Filmzitate, Blondie-Tracks, Alltagssprache. Viel Prügel, wenig Blut. Spezial-Dobler-Sound.

4

5

(4)

Peter Temple: Die Schuld vergangener Tage

Aus dem Englischen von Hans M. Herzog

Penguin, 336 S., 10,00 €

Melbourne und Umgebung. Der alte Ned wurde erhängt. Mac Faraday, nach einem Undercover-Leben als Drogenfahnder Schmied und Gartengestalter, bohrt herum. Wühlt Schmutz auf: Verbrecher fest verankert unter Politikern, Polizisten, upper ten. Anständige gegen fiese Kerle, mitreißend erzählt. Australiens Meister.

6

6

(5)

Matthias Wittekindt: Der Unfall in der Rue Bisson

Edition Nautilus, 224 S., 16,00 €

Fleurville“. Ein Autounfall bei Regen und Nebel, ein toter Mann. Irgendwas ist nicht geheuer. Seine Clique, arrivierte Freizeit-Mittelschicht, tarnt, täuscht, forscht: „Schuld am Tod eines Menschen, das ist erstmal nur ein Gefühl, das muss noch lange kein Straftatbestand sein.“ Moralische Zwischenzonen, feinstens erfasst.

7

7

(-)

Ian McEwan: Nusschale

Aus dem Englischen von Bernhard Robben

Diogenes, 278 S., 22,00 €

Gebärmutter, London. Ein Hamlet, ein Sherlock im achten Monat, ein literarischer Beweis für des Fötus‘ Fähigkeit zu Deduktion: der Icherzähler. Handlungsunfähig und superschlau erschließt er sich das Mordkomplott seiner Erzeugerin und ihres Buhlen gegen seinen Vater. Großer Spaß über Freiheit, Leben und Ermittlungen in uneigener Sache.

8

8

(3)

Giancarlo de Cataldo/Carlo Bonini: Die Nacht von Rom

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

Folio, 320 S., 24,00 €

Rom. Papst Franziskus hat ein Heiliges Jahr ausgerufen. Kleriker, Immobilienhaie, Politiker, Bauunternehmer krabbeln wie Küchenschaben: Profit, Macht, Schwindel sind zu haben. Im Background der Kampf zweier Mafiosi um eine Frau und um Rom. Mafia capitale, zweiter Akt, famos illuminiert von zwei Insidern.

9

9

(-)

 

Christian von Ditfurth: Zwei Sekunden

Carl’s Books, 464 S., 14,99 €

Berlin, Rømø. Innere Sicherheit im Stresstest: Putin und Merkel sind einem Attentat knapp entkommen, Minister und Bürokraten werden wie die Fliegen umgebracht. Deutsche, Russen, Geheimdienstapparate in gegenseitiger Blockade. Nur Eugen de Bodt, frech und frei, schafft, was getan werden muss. Böser Thriller, scharfe Satire.

10

10

(7)

 

Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt

Suhrkamp, 223 S., 20,00 €

Heiligsheim“. Das Opfer ist unerkannt zurück im Dorf. Ludwig Dragomir war einer der Jungen, die in den Wald hinterm Koglfeld mitgenommen wurden. Jetzt stellt er die Herren von damals mit seiner Scham. Ein Icherzähler mit zerstörtem Ich, sein Ziel: Vernichtung. Gratwanderung im Seelenland der Missbrauchsopfer.

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Dezember wird am 1. Dezember 2016 in der Wochenzeitung DIE ZEIT, auf ZEITonline unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste und im Nordwestradio veröffentlicht, am Donnerstag, den 1. Dezember 2016 gegen 9.20 live mit Tobias Gohlis und in den Sendungen der „Buchpiloten“, nachzuhören unter

www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/bestenliste100.html

 

Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

1

Tobias Gohlis

Hamburg

Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

2

Volker Albers

Hamburg

Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

3

Andreas Ammer

Berg

Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

4

Gunter Blank

Conil

Sonntagszeitung Zürich

5

Thekla Dannenberg

Berlin

Perlentaucher

6

Fritz Göttler

München

Süddeutsche Zeitung

7

Jutta Günther

Nordwestradio/Radio Bremen

Bremen

8

Sonja Hartl

Zeilenkino.de, Polar Noir

9

Hannes Hintermeier

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Frankfurt am Main

10

Lore Kleinert

Bremen

Freie Kritikerin

11

Elmar Krekeler

BERLIN

Die Welt

12

Kolja Mensing

Berlin

Dradio Kultur

13

Marcus Müntefering

Spiegel Online, Krimi-Welt.de

Hamburg

14

Ulrich Noller

Köln

Deutsche Welle, WDR, DeKrPr

15

Frank Rumpel

SWR 2, frankrumpel.wordpress.com

Tübingen

16

Jan Christian Schmidt

Berlin

www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

17

Guido Schulenberg

Nordwestradio/Radio Bremen

Bremen

18

Margarete v. Schwarzkopf

Köln

Literaturkritikerin

19

Ingeborg Sperl

Wien

Der Standard

20

Sylvia Staude

Frankfurt/Main

Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

21

Jochen Vogt

Kleinich

NRZ, WAZ

 

*DeKrPr = Mitglied der Jury des Deutschen KrimiPreises

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden.

 

Das Prozedere der Platzverteilung für die Liste ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2015 hier ebenfalls kommentierten. Noch im Dezember wird die Jahresbestenliste veröffentlicht, die wir dann ebenfalls kommentiert veröffentlichen.

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6227:die-jahresbestenliste&catid=78:buecher&Itemid=470

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6228:vier-der-besten-haben-frauen-geschrieben&catid=78:buecher&Itemid=470