Die kuriosesten Fälschungen aus Kunst, Wissenschaft, Literatur und Geschichte von Peter Köhler bei C.H. Beck, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die meisten niedergelegten Fälschungen kennt man aus Geschichte und Überlieferung. Aber wie nötig es ist, solche Fälschungen auf dem Hintergrund laufender Geschichtswissenschaft zu überprüfen, zeigt das Beispiel der KONSTANTINISCHEN SCHENKUNG (27-30), das direkt nach dem Kapitel DAS GEFÄLSCHTE MITTELALTER kommt.


Erst seit das Eigentum an Grund und Boden in Urkunden festgehalten wurde, wurden Fälschungen interessant, von denen, was die Merowingerzeit (5. Jahrhundert bis 751) angeht, Zweidrittel gefälscht sein sollen. Eine stolze Zahl. Mit der KONSTANTINISCHEN SCHENKUNG, datiert auf 315-17, die zum kulturellen Gedächtnis Europas gehört,  hat es nun eine besondere Bewandtnis, weil seit 1455 bekannt ist, daß diese Urkunde eine Fälschung ist.

Und hier nun haben wir massiv den Text von Peter Köhler zu kritisieren, den er auf den obengenannten Seiten ausbreitet, weil er nicht die neuesten Forschungsergebnisse aufnimmt, die immerhin schon vor 9 Jahren hinsichtlich der Konstantinischen Schenkung in die Welt kamen. Dabei ist an seinen Worten erst einmal gar nichts falsch. Er stellt völlig zutreffend die verschiedenen Entwicklungen dar, die für die Erkenntnis der Fälschung in den unterschiedlichen Jahrhunderten wichtig waren.

Zusammengefaßt erzählt diese Konstantinische Schenkung eine Geschichte, die so lautet: Der arme Kaiser ist krank, er hat Aussatz, davon heilt ihn Papst Silvester I. (im Amt von 314-335), deshalb überträgt Konstantin dem Papst die Herrschaft über Rom und das weströmische Reich und macht ihn und seine Nachfolger zum Kirchenoberhaupt „über die übrigen Kirchen im gesamten Erdkreis.“ Wie gesagt ist also der Papst der Nutznießer dieser gefälschten Urkunde, so daß die für die Wahrheitsfindung wichtige Frage cui bono? beantwortet ist, ehe sie überhaupt gestellt ist.

Das Constitutum Constantini, auch genannt Donatio Constantini ad Silvestrem I papam, ist  grob – von verschiedenen Fassungen und Teilen hier unberücksichtigt – eine Legitimation für den Papst in Rom, weltliche Herrschaft ausüben zu dürfen und vor allem Konstantins Besitztümer in Rom und der westlichen Welt  'geschenkt' zu bekommen, weil der Kaiser seine neue Residenz in Konstantinopel errichten werde. Daß dies schon deshalb nicht eine Urkunde aus dem 4. Jahrhundert sein kann, zeigt sich schon daran, daß der Ort, den sich der Römische Kaiser als Alternative gen Osten, wohin sich ja das Römische Reich ausgebreitet hatte, als neuen Regierungssitz und Hauptstadt  wählte, damals  Byzantion hieß, von Konstantin dann Nova Roma genannt wurde und erst nach dem Tod des Römischen Kaisers Konstantin 337 nach ihm benannt wurde. Da kann eine Urkunde von seiner Hand schlechterdings nicht als Ort  die Bezeichnung Konstantinopel tragen. Das fällt selbst Unkundigen auf.

Es gibt aber auch andere Gründe dafür, daß spätestens im 15. Jahrhundert sowohl Nikolaus von Kues 1430 wie auch der Humanist und Mönch Lorenzo  Valla in Italien 1455 diese Urkunde für eine Fälschung im Interesse des Papstes in Rom hielten. Lorenzo Valla bezog sich auf das in der Urkunde verwendete Latein, das niemals das des 4. Jahrhunderts sei, sondern auf das 8./9. Jahrhundert verweise. Peter Köhler erzählt die Geschichte unter Einbezug aller möglichen Quellen, die die Sache zwar noch interessanter machen, wobei aber die Zielsetzung diejenige ist, auf die alle Interpretationen der Quellen hinweisen: hier hat der Papst als Oberhaupt der Katholischen Kirche in  wohlverstandenem Interesse der eigenen Sache Besitzverhältnisse vorgetäuscht, die immerhin bis ins 19. Jahrhundert vom Vatikan der Welt gegenüber offiziell vorgebracht wurden. Dabei hatte die Katholische Kirche solchen Verweis, was den Vatikanstaat angeht, gar nicht mehr nötig. Längst hatten spätere Kaiser der Kirche 44 Hektar Grund und Boden in Rom, ja sogar den Status eines eigenen Staates  als Vatikanstaat zugesichert.

Und jetzt kommt es. Diese von allen geteilte Auffassung, daß das Oberhaupt der Kirche in Rom diese Fälschung ums Jahr 800 erstellt und zurückdatiert aufs 4. Jahrhundert in die Welt setzen ließ – völlig klar bei dieser Interessenlage – , hat der Mediävist Johannes Fried vor neun Jahren als 'Fake' entlarvt. Ein toller Vorgang. Deshalb so ungewöhnlich, weil kaum ein Dokument derart durchforscht wurde, wie diese Urkunde. Aber es war beispielsweise keinem aufgefallen, daß es im Rom der fraglichen Zeit überhaupt keinen Lateranspalast gegeben hatte, von dem die Urkunde spircht. Und welcher, doch des Ortes kundige Fälscher aus Rom hätte so etwas geschrieben? Da muß man sich schon nach anderer Verdächtigen umsehen. Und die gibt es. Aufgrund seiner Sprache war dieser Text schon zuvor von einem Teil der Forscher einem französischen Kloster zugeschrieben worden. Johannes Fried greift dies auf und bietet sowohl  Abt. Hilduin von St. Denis wie auch andere Autoren des Westfrankenreiches als mögliche Verfasser an. Auf jeden Fall waren es Kleriker des Frankenreiches.

Nicht dies ist für die Nachwelt das Wichtige, sondern die Erkenntnis, daß der Text romfern erstellt wurde, allerdings von Kirchenleuten im Frankenreich, die großes Interesse daran hatten, daß die Kirche und der Papst in Rom Sicherheiten besaßen. Sicherheiten? Vor wem. Natürlich vor dem karolingischen Kaiser. Dazu müßte man sich stärker mit grundsätzlichen Fragen von weltlicher Herrschaft in Verbindung mit Kirche beschäftigen, was die Begrifflichkeit von Eigenkirche im Fränkischen Reiches andeuten soll, was hier jedoch den Rahmen sprengt.

An dieser Stelle sollte schlicht aufgezeigt werden, wie raffiniert Fälschungen sein können, die zwar längst als Fälschung entlarvt, aber ihrer Interessengebundenheit wegen dem Falschen in die Schuhe geschoben werden. Und nur darin hat sich der Verfasser von FAKE, Peter Köhler, geirrt, bzw. hat die seit 2007 bekannten Forschungsergebnisse nicht mitgeliefert, die bei der Konstantinischen Fälschung den Kohl erst richtig fett machen!

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Natürlich hat die Kunst diese Fälschung gerne durch zahlreiche Bilder zusätzlich "verifiziert". Denn was im Bild erscheint, muß ja so gewesen sein. Es gibt unzählige Darstellungen. Hier die Wiedergabe der Konstantinischen Schenkung auf einem Fresko von 1246, Basilika Santi Quattro Coronati in Rom (c) wikipedia.de


Info:

Peter Köhler, Fake, Die kuriosesten Fälschungen aus Kunst, Wissenschaft, Literatur und Geschichte, C.H. Beck Verlag 2015

Johannes Fried, Die Konstantinische Schenkung. In: Johannes Fried, Olaf B. Rader (Hrsg.): Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends. C.H. Beck, München 2011, S. 295–311.


Bitte unbedingt noch den ersten Teil der Buchbesprechung in Weltexpresso lesen, die Voraussetzung für den obigen Artikel:

https://weltexpresso.de/index.php/buecher/8709-fake