Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2012 in der Frankfurter Paulskirche an Liao Yiwu
Felicitas Schubert und Hans Weißhaar
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zum Abschluß der Frankfurter Buchmesse wird am Sonntag in der Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen, der auch dank der bisherigen Preisträger längst eine besonders ehrenvolle Auszeichnung ist Vor rund tausend geladenen Gästen, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, erhielt der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu den Friedenspreis 2012.
Nach dem Nobelpreis für Literatur an einen regimetreuen Chinesen, Mo Yan, der dieses Jahr auf den Friedensnobelpreis an den langwährig zu Haft verurteilten Schriftsteller Liu Xiaobu im Jahr 2010 folgt, zeigt dieser Preis für diesen mehr als regimekritischen Chinesen, der vor einem Jahr nach Deutschland floh, die politische Spannweite,mit der sich auch die offizielle Politik auseinandersetzen muß, was sie bisher durch eine Doppelstrategie leistet, beides möglich zu machen: den Protest außerhalb Chinas zu ehren und offiziell in China Geschäfte zu machen. Der Schriftsteller Liao Yiwu, der gerade sein neues Buch „Die Kugel und das Opium“ veröffentlicht hat, hatte ein Gedicht geschrieben über 'das' chinesisches Ereignis, das er in der Nacht vor der Untat, bei der er nicht dabei war, als Vision schon sah. MASSAKER war dann der Anlaß, ihn in China für vier Jahre einzusperren. Seine Erfahrungen legte der 1958 aus einfachen Verhältnissen Geborene in dem Buch „Für ein Lied und hundert Lieder“ nieder.
„Dieses Imperium muss auseinanderbrechen“, resümiert Liao Yiwu gleich sechsmal in seiner Dankesrede. „Ein Land, das kleine Kinder massakriert, muss auseinanderbrechen – das entspricht der chinesischen Tradition.“ Weltweit sei man der Ansicht, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zwangsläufig politische Reformen nach sich ziehen und aus einer Diktatur eine Demokratie machen. „Deshalb wollen jetzt all die Staaten, die dereinst wegen des Tian’anmen-Massakers Sanktionen gegen China verhängten, die ersten sein, die den Henkern die Hand schütteln und mit ihnen Geschäfte machen. Obwohl dieselben Henker noch immer Menschen inhaftieren und umbringen, immer neue Blutflecken zu den alten hinzukommen und neue Gräueltaten die alten armselig aussehen lassen. Die einfachen Leute, die zwischen Blut und Grausamkeit ihr Dasein fristen müssen, verlieren dabei auch noch den letzten Rest Anstand“, sagt Liao Yiwu.
Mit seiner geradezu antiken Dramaturgie des „Dieses Imperium muss auseinanderbrechen“ , was er jeweils auf Deutsch sagte, und „Ein Land, das kleine Kinder massakriert, muß auseinanderbrechen...“, bezieht sich Liao Yiwu auf den Tod des neunjährigen Lü Peng, der 1989 bei der Niederschlagung der Kundgebung auf dem Tiananmen-Platz von chinesischen Sicherheitskräften erschossen worden war. Und er kritisiert weiter: „Unter dem Deckmantel des freien Handels machen westliche Konsortien mit den Henkern gemeinsame Sache, häufen Dreck an. Der Einfluss dieses Wertesystems des Drecks, das den Profit über alles stellt, nimmt weltweit überhand.“ Chinas Wertesystem sei längst in sich kollabiert und werde nur noch vom Profitdenken zusammengehalten. „Gleichwohl ist diese üble Fessel des Profits so weit reichend und verschlungen, dass sich die freie Welt der wirtschaftlichen Globalisierung noch ausweglos in ihr verheddern wird“, so Liao Yiwu.
Seine Worte waren eindringlich und wurden von der Festversammlung - darunter Politiker, die jeden Tag das Gegenteil tun, nämlich den Kontakt, vor allem das wirtschaftliche Geschäft mit China suchen – auch applaudierend gewürdigt. Der Preisträger hielt seine Rede auf Chinesisch, die Zuhörer hatten die schriftliche Fassung auf Deutsch. Das Bewegendste war dann die lange Umarmung, in der Nobelliteraturpreisträgerin Herta Müller mit dem Friedenspreisträger verharrte, was ihre gemeinsamen bösen Erfahrungen in Diktaturen vermittelte.
Die Laudatio hielt die Journalistin, Literaturkritikerin der FAZ und Buchautorin Felicitas von Lovenberg.„Liao Yiwu verkörpert den Widerstand aus dem Gedächtnis heraus. Er basiert auf einem Schrecken, ,der auf einer tieferen Ebene angesiedelt ist als das lange Eingesperrtsein und die körperlichen Qualen‘. Es ist die Angst davor, vergessen zu werden, umsonst gelebt und gelitten zu haben, die er mit allen Betroffenen des 4. Juni teilt“, führte sie aus. Seine Art des Schreibens sei ein Akt der Selbstachtung und damit nicht zuletzt ein Mittel zur Wiedererlangung auch seiner eigenen Würde. „Dass sein Werk weithin gelesen wird, ist die einzige Garantie dafür, dass ihm diese Würde nie wieder genommen werden kann“, so Felicitas von Lovenberg.
„Für den Börsenverein ist es eine besondere Freude, mit Liao Yiwu einen im wahrsten Sinn des Wortes ,Volksschriftsteller‘ ehren zu können, der unerschrocken und sprachmächtig den unter Repression und Unterdrückung leidenden Menschen seines Volkes zu einer Stimme verholfen hat“, sagte Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, in seiner Begrüßung. Wann immer das ,richtige‘ Wort gefunden werde und das sei allemal das Wort, das ins Freie führe, werde auch Raum für den Frieden gewonnen. „Und wo immer das geschieht, hat der Börsenverein Grund genug gesehen, solchen Worten durch die Verleihung des Friedenspreises Nachdruck zu verschaffen“, so Honnefelder.
Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger waren neben Amos Oz und Teddy Kollek unter anderem Albert Schweitzer, Astrid Lindgren, Václav Havel, Siegfried Lenz, Assia Djebar, Susan Sontag, David Grossman und im vergangenen Jahr Boualem Sansal. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.
www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de.