Die neue Stadtflucht

 

Notker Blechner

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Früher zog es im Rhein-Main-Gebiet viele Menschen ins Umland zum Wohnen im Grünen. Inzwischen kehrt sich der Trend um: Immer mehr siedeln sich in Frankfurt an - wegen der guten Infrastruktur.

 

 

Es gebe einen eindeutigen Trend vom Land zurück in die Stadt, erklärte Heiko Kasseckert, Direktor des Planungsverbands Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main, gegenüber Weltexpresso. Die Menschen würden zunehmend älter und suchen eine moderne Verkehrs- und Versorgungs-Infrastruktur. Kasseckert geht für die nächsten Jahre von einem steigenden Wohnungsbedarf in Frankfurt und einem deutlich sinkenden Wohnungsbedarf im Umland aus. Ab 2020 würden allerdings auch in Frankfurt die demographischen Veränderungen zu spüren sein, dann drohen zunehmende Leerstände, warnt er.

 

Frankfurts Planungsdezernent Edwin Schwarz (CDU) stellt sich auf eine wachsende Wohnungsnachfrage in der Main-Metropole in den nächsten Jahren ein. Er rechnet mit einem Bedarf von 11.000 bis 23.000 Wohneinheiten bis 2020. Es liege wieder im Trend, in der Stadt zu wohnen.

 

Bereits in den vergangenen drei Jahren sei die Stadt gewachsen – gegen den Bundestrend, erklärte Schwarz auf dem Immobilienforum Frankfurt. Mit 685.434 Einwohnern sei Frankfurt inzwischen nur noch knapp vom Rekordniveau von rund 696.000 Einwohnern anno 1963 entfernt. Experten glauben, dass bald die 700.000-Einwohner-Marke geknackt wird.

 

Zudem sei Frankfurt eine relativ junge Stadt. Der Anteil der über 65-Jährigen sei niedriger, der Anteil der 18- bis 30-Jährigen sei höher als in anderen vergleichbaren deutschen Großstädten.

 

In der Stadt werden also neue Wohnungen gebraucht – bloß wo? Die Flächen zur Wohnbebauung seien begrenzt, da das Stadtgebiet mit 248 Quadratkilometer kleiner sei als in Städten wie Münster, Leipzig, Dortmund oder Bielefeld, erklärte Schwarz. Zudem nehme der „Grüngürtel“ ein Drittel des Frankfurter Stadtgebiets ein.

 

Der Planungsdezernent hat deshalb die Devise „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ ausgegeben. Statt auf der grünen Wiese zu bauen, gelte es verstärkt, Baulücken zu schließen, ausgediente Gewerbegebiete umzunutzen und Wohngebiete zu verdichten. Neubaugebiete wie in Eschersheim, Nieder-Eschbach oder vor allem auf dem Riedberg sollen die Ausnahme bleiben. So entsteht derzeit auf dem Areal des ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs das Europaviertel, in dem fast 10.000 Einwohner leben sollen. Auf dem alten Universitäts-Campus in Bockenheim sollen rund 1200 Wohnungen, auf dem Brauerei-Gelände Sachsenhausen 850 neue Wohnungen errichtet werden. Auf dem Degussa-Gelände in der Innenstadt sollen 250 Wohneinheiten untergebracht werden.

 

Problematisch könnte der Umbau der Bürostadt Niederrad werden, wo rund 3.000 zusätzliche Wohnungen entstehen sollen - durch eine Ausdehnung Richtung Main und eine Verdichtung des Quartiers. Die Mieter der Hochhaussiedlung Mainfeld befürchten, umgesiedelt zu werden - trotz beruhigender Worte des Quartiermanagers.

 

Experten zeigen sich zudem skeptisch über die zu erwartenden hohen Grundstücks- und Mietpreise in den neuen Bebauungsgebieten. 12 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung im Europaviertel seien ambitioniert, meinte ein Teilnehmer des Immobilienforums. Andere Experten wie der Frankfurter Professor und Architekt Christoph Mäckler monierten die hohen Kosten für die Bausünden der Vergangenheit. Mäckler verwies auf den teuren Abriss für das Technische Rathaus in der Altstadt.

 

Edwin Schwarz lässt sich von Zweiflern nicht aus der Ruhe bringen. Er hält Frankfurts Potenziale für noch längst nicht ausgeschöpft. Allein über 600 kleinere Baulücken haben die Stadtplaner in letzter ausgemacht. „Da könnten auch noch schätzungsweise 3400 Wohnungen gebaut werden“, meint er. Und schließlich gebe es auch noch die Hochhäuser „Frankfurt wächst in die Höhe“, prophezeit Schwarz. Derzeit liege die Durchschnittshöhe in der Innenstadt bei 180 bis 200 Metern, schätzt er.

 

Fraglich ist, wann der Markt für Gewerbe-Immobilien wieder anzieht. Im vergangenen Jahr brachen die Anträge um ein Drittel ein. Die Planungen für neue Hochhäuser stocken deshalb.

 

Freilich: Wohnungen dürften künftig nicht nur in Frankfurt begehrt sein. Auch in Gemeinden und Städten mit guter Verkehrsanbindung im Rhein-Main-Gebiet, die ein großes Potenzial für Wohnbau-Flächen haben, werden sich nach Ansicht von Experten verstärkt Menschen ansiedeln. So sieht Verbandsdirektor Heiko Kasseckert Hanau, den Main-Kinzig-Kreis und den Raum Offenbach als Gewinner der kommenden Jahre.