Oder: Die Plebejer versuchen einen Aufstand
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Frankfurter SPD fordert den Oberbürgermeister, ihr Parteimitglied Peter Feldmann, zum Rücktritt von seinem Amt auf.
Auch die Koalitionspartner in der Stadtregierung, Grüne, FDP und Volt, bestehen darauf. Folgt er diesem Verlangen nicht, werde unverzüglich ein Abwahlverfahren in Gang gesetzt. In diesem müssten sich 30 Prozent der Wahlberechtigten gegen ihn aussprechen.
Feldmann soll in seiner Eigenschaft als Amtsperson seiner Ehefrau zu einer Stelle als Leiterin einer AWO-Kita verholfen haben, für die sie nach Meinung ihrer und seiner Kritiker ein überhöhtes Gehalt bezog. Außerdem wurde ihr ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, der auch privat genutzt werden konnte, was auf dieser Hierarchieebene ungewöhnlich ist. Andere Mitarbeiter mit ähnlicher Aufgabenstellung hätten eine vergleichbare Vergütung allenfalls als Endgehalt erreicht.
Das dem Oberbürgermeister unterstellte schuldhafte Verhalten lag, soweit der Wortlaut der Dokumente das zulässt, in der Akzeptanz dieses Arbeitsvertrags. Er hätte seiner Partnerin die Annahme des Vertrags verbieten müssen. Denn deren Arbeitgeber, die AWO, könnte mit der Bevorzugung von Frau Feldmann die Absicht verbunden haben, deren Ehemann in einen Loyalitätskonflikt zwischen Amtspflicht und persönlichen Interessen zu bringen. Doch solche Absichten lassen sich kaum nachweisen, selbst dann nicht, falls sie tatsächlich erwogen worden wären. Denn sie würden in letzter Konsequenz dazu führen, dass aus gleichberechtigten Ehepartnern Herr und Sklavin bzw. Herrin und Sklave würden.
Festzuhalten ist jedoch: Zübeyde Temizel und Peter Feldmann haben auf die Veröffentlichungen diesbezüglicher Recherchen des Hessischen Rundfunks im Jahr 2019 völlig falsch reagiert.
Zwar ist es im Rahmen des investigativen Journalismus von Fall zu Fall gestattet, auch illegal beschaffte Dokumente zu veröffentlichen („Wenn es der Wahrheitsfindung dient“, um den Kommunarden Fritz Teufel zu zitieren). Doch im konkreten Fall handelte es sich um eine Personalakte der AWO, die Dritte nichts angeht und deren Vertraulichkeit die Datenschutzgesetze garantieren. Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung war bereits endgültig in deutsches Recht überführt worden (seit Mai 2018). Frau Feldmann-Temizel hat zudem kein öffentliches Amt bekleidet, das eine höhere Transparenz erfordert hätte. Zudem beinhalten sowohl Haustarife als auch der TVöD Öffnungsklauseln im Sinn der Vertragsfreiheit des BGB. Die richtigen Reaktionen der Ehepartner wären eine Klage wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten und die Forderung von Schmerzensgeld gewesen.
Es sollen Ratgeber aus den eigenen Reihen gewesen sein, die von Klagen abgeraten hätten. Die Bemühung der Gerichte hätte das Potential besessen, die Öffentlichkeit zu beunruhigen. Wenn man die interne Meinungsbildung in der SPD kennt, kann man aber auch auf den Gedanken kommen, dass sich Feldmann-Konkurrenten für die nächste Oberbürgermeisterwahl rechtzeitig in Stellung bringen wollten.
Die Millionen-Schiebereien in der Frankfurter und Wiesbadener AWO hingegen tangieren den Fall Temizel-Feldmann allenfalls am Rande. Letzterer könnte als misslungener Versuch der Geschäftsführer in Frankfurt und Wiesbaden gewertet werden, ein Geflecht von Abhängigkeiten zu errichten.
Peter Feldmann hätte parallel zu den Klagen seiner Frau öffentlich die gesellschaftlich Rückständigen in CDU, Grünen und FDP darauf hinweisen müssen, dass die Zeiten, als Arbeitsverträge von Frauen der Unterschrift der Ehemänner bedurften, längst vorbei seien. Und zeitgleich hätte er jenen in der SPD deutlich machen sollen, dass er jedem selbstberufenen Brutus in der Partei (z.B. dem Planungsdezernenten Mike Josef) den Dolch aus der Hand schlagen würde. Und dass er die Nähe zu Immobilien- und Finanzspekulanten nicht länger dulden könnte. Beispielsweise die zu vertrauensvolle Zusammenarbeit von Mike Josef mit sogenannten Immobilienentwicklern (ich denke in diesem Zusammenhang an seinen Widerstand gegen den „Mietentscheid“, den irrealen neuen Mietspiegel und das von ökologischem Wahnsinn getragene Projekt „Josefstadt“, einer Wohnsiedlung auf der grünen Wiese, die für mindestens 20 Jahre nur per PKW erreichbar sein würde). Oder das naive Vertrauen von Kulturdezernentin Ina Hartwig gegenüber Kreisen, die aus der seit mindestens 20 Jahren notwendigen Sanierung der Theaterdoppelanlage Kapital schlagen wollen.
Der dritte Fehler war die Rückzahlung des angeblich zu viel erhaltenen Lohns. Denn das kam einem indirekten Schuldeingeständnis gleich. Und ermutigte Feldmanns Intimfeinde, allen voran Ex-Bürgermeister Uwe Becker sowie Innenminister Peter Beuth (beide CDU), zum Angriff. Die Weisung an die Frankfurter Staatsanwaltschaft, Ermittlungen einzuleiten, soll Insidern zufolge direkt aus dem Justizministerium gekommen sein. Die zuständige Ministerin Eva Kühne-Hörmann wurde vom neuen Ministerpräsidenten Boris Rhein vor wenigen Tagen entlassen. Das organisatorische und fachliche Desaster, das unter ihrer Verantwortung in dieser Behörde entstanden war, erforderte dringend eine Neubesetzung.
Weil sich die geschilderten „Beweise“ vor Gericht als zu schwach erweisen könnten, wurde ein Gerücht nachgereicht: Feldmann habe für eine Wahlkampfspende, die von AWO-Funktionären in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger eingesammelt worden war (was legal ist), eine wohlwollende Gegenleistung in Aussicht gestellt. Vielleicht den Dank des Vaterlands, der bekanntlich nichts wert ist. Oder nach dem Vorbild der christlichen Kirchen die Auferstehung und das ewige Leben? Wahlversprechen sind bekanntlich nicht einklagbar, weil sie als nicht ernstzunehmende Ankündigungen gelten.
Den schwarz-rot-grün-gelben Verschwörern dämmerte, dass ihr Coup misslingen könnte. Sollten Gerichte in letzter Instanz den möglicherweise längst abgewählten Peter Feldmann freisprechen, wäre die Demokratie beschädigt. Und das Bundesland Hessen müsste auf der Landkarte gelöscht und aufgeteilt werden. Die nördlichen Regionen kämen zu NRW und Niedersachsen, der Westen zu Rheinland-Pfalz, der Osten zu Thüringen, der Süden zu Baden-Württemberg. Und Frankfurt würde von Offenbach regiert.
Um das zu verhindern, musste unterhalb der politischen Ratio argumentiert werden. Hierzu boten sich die dummen Sprüche des Oberbürgermeisters an, der immer wieder mal den Deputierten des gesunden Volksempfindens gibt.
Zweifellos: Der sexistische Spruch im Flugzeug war geschmacklos. Und der Griff zum Pokal der „Eintracht“ dürfte unter die Rubrik „Possen“ fallen. Falls Tölpelei und Geschmacklosigkeit politische Maßstäbe wären, gäbe es zumindest in Frankfurt kaum noch Stadtverordnete, Stadträte sowie Landtags- und Bundestagsabgeordnete.
Die Causa Feldmann erweist sich bei genauer Analyse als viel Lärm um nichts, verursacht von Leuten, die zu Lasten anderer Karriere wollen. Sie zeigt auch, wie tief die SPD gesunken sein muss, wenn sie sogar ihren eigenen Parteigenossen im Stich lässt – noch bevor ein Gericht rechtsverbindlich geurteilt hat. Ich werde sie darum auch dann nicht mehr wählen, wenn sie das kleinere Übel wäre. Denn warum sollte ich Verrätern vertrauen?
Apropos Rücktritt: Wann tritt Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) zurück? Bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises an Eric Gujer hat sie die Stadtregierung in der Paulskirche vertreten. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sie sich die Haltung des rechten Chefredakteurs der „Neuen Zürcher Zeitung“ gegenüber Flüchtlingen zu eigen macht und in das gleiche Horn bläst wie Hans-Georg Maaßen oder Beatrix von Storch. Gujer hatte beispielsweise gegenüber dem österreichischen Zeitungsverband gesagt, er habe im Zuge der seit 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge den Eindruck gewonnen, Journalisten verstünden sich als „Sozialarbeiter der Nation“ und als „geistiger Verfassungsschutz“. Sollte das auch die Meinung von Frau Eskandari-Grünberg sein (bislang hat sie sich jedenfalls nicht distanziert), dürfte es mit dem Dezernat „Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ bald ein Ende haben.
Foto:
Der Frankfurter Römer
© MRG
Info:
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von www.bruecke-unter-dem-main.de ©