Das erste Sechstagerennen in Frankfurt am Main fand vor 100 Jahren statt


von Gerhard Wiedemann

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Tatsächlich sind es nur noch 4 Tage, bis am 12. Dezember sich genau hundert Jahre jähren, als zum ersten Mal in der Frankfurter Festhalle die Hatz losging, bei der jeder der Schnellste sein wollte und Stürze in Kauf nahm. Wir wissen noch, wie in den Fünfzigern und Sechzigern das Jahresereignis auf der schrägen Bahn uns jeweils im Herbst in Bann schlug und wir täglich zur Festhalle pilgerten. Denn Sechstagerennen hieß wirklich: sechs Tage!

 

Erst neulich fiel uns bei einem Klassentreffen auf, daß es das gar nicht mehr gibt, das Sechstagerennen, das damals ein Gemeinschaftsunternehmen von uns älteren Schülern und einigen Schülerinnen war. Absolut vergleichbar einem Fußballderby heute oder einem Großereignis, was Event genannt wird. Wir kannten die Fahrer und hatten unsere persönlichen Vorlieben und krischen um die Wette. Dabei sein machte sicher mehr Spaß als Fahren, aber am Schluß zahlte sich ein Sieg durchaus aus.

 

Heute können wir über die Fünfziger lesen: „ Die Sechstagerennen erlebten dann in den Fünfzigerjahren ihre goldene Zeit. Die Sportler kreisten auf einer neuen Winterbahn, die die Messe- und Ausstellungs-Gesellschaft in die wieder aufgebaute Festhalle hatte einbauen lassen."Die Festhalle gleicht bei Sechstagerennen einem überdimensionalen Kochtopf“, notierte ein Journalist „gegen Mitternacht“ im November 1970 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es „blubbert und gluckst“, und „von Zeit zu Zeit schwappt auch etwas über“. Noch in den früheren Abendstunden „brodelte (...) nichts“.

 

Während die Radfahrer auf der hölzernen Bahn müde ihre ewigen Runden zogen, versammelte sich auf den Rängen allmählich eine bunte Menge: Sportbegeisterte und Spaßsuchende, Künstler und Kritiker, Stars und Sternchen, feine und weniger feine Damen, die Welt und die Halbwelt, alle durcheinander in gespannter Erwartung bei Bier, Bockwurst und Humbtatätärä sich die Zeit vertreibend. Bis ein Pistolenschuß die Halle weckt. Die Aussicht auf die nächste Prämie, ob eine Stange Geld oder vier Pfund Tee, stachelt die Fahrer zum Spurt an. Plötzlich scheinen sie über die Planken zu fliegen – unter tosendem Applaus, schrillen Pfiffen, Hupkonzerten und Trompetenstößen. Das war es, was das Publikum sehen wollte: schnelle Jagden und spektakuläre Stürze.“

 

Als aber 1911 die Premiere war, fiel sie ins Wasser. Vorbild waren die „Six Days“, die in Berlin Amerika nachmachten. Die Festhalle war als größter Kuppelbau Europas gerade zwei Jahre alt und war ja auch mit dem Ziel von sportlichen Großereignissen gebaut worden. Aber wie das oft ist, wenn man das Maul zu vollnimmt, der vorgesehene Tag der Premiere fiel buchstäblich ins Wasser. Nein, nicht der Regen war schuld, sondern der Aufbau war so kompliziert, daß die Zeit nicht eingehalten werden konnte. Also ging‘s einen Tag später los.

 

Warum es dann aber wieder 17 Jahre dauerte, bis das nächste Langzeitrennen stattfand, verstehen wir nicht und wissen nur, daß dieses Rennen 1928 ein Nachtereignis wurde. Denn es ging um 22 Uhr los und weil die Zuschauer wohl froren, herrschte trotz Jazzband kühle Stimmung unter den 5000. Das änderte sich ins Gegenteil und als tatsächlich so gegen ein Uhr holterdiepolter einer über den anderen fuhr und eine Massenkarambolage stattfand, war man schon um die Sieger bange. Die gab es aber nach 145 Stunden in diesem Hexenkessel. Der erfolgreiche Neustart setzte sich fort und jährlich war mit über 10 000 Besuchern die Festhalle dicht. Bis 1933. Warum die Frankfurter derartig politisch oder auch nur grippekrank reagierten, wissen wir nicht. Auf jeden Fall blieb in der Zeitenwende der Massenaufmärsche die Festhalle leer und wegen der Schulden mußte der Veranstalter seine ganzen Utensilien wie Radrennbahn und Fahrerkabinen dem Vermieter, der Messegesellschaft überlassen. Die allerdings hatte nicht viel davon, da die eingelagerten Teile bei der Zerstörung der Festhalle mitverbrannten.

 

Als 1950 die Festhalle wiederaufgebaut wurde, gab es flugs eine neue Winterbahn, die das Oval schräg ausfüllte. Nach der Einweihung im Oktober 1951 mit einem Eröffnungspreis durch den heute legendären und dicken Oberbürgermeister Walter Kolb für Mannschaftsrennen startete am 27. Oktober das erste Frankfurter Sechstagerennen der Nachkriegszeit. Vierzehn Mannschaften waren angetreten und Preis gab es im Gesamtwert  von 100 000 Mark. Das war mehr als heute Millionen, denn eine Arbeitsstelle brachte rund 300 DM. Aber das war auch kein Schaulaufen, sondern harter und bitterer Sport, für den man lange trainieren mußte und der dann beim Fahren leicht Stürze und andere Verletzungen brachte.

 

Ursprünglich war das ein kontinuierliches Rennen, deshalb auch die Mannschaft, wo einer den anderen, der nun schlafen konnte, ablöste. Das machte es für die Zuschauer nicht einfach, denn vieles verpaßten sie und Sport wurde für die Radler unter solchen Bedingungen „Mord“. Also hatte man ab 1968 – der Zeitpunkt ist sicher nicht politisch motiviert und dennoch im weitesten Sinne doch – die Zeit zwischen 5 Uhr früh bis 13 Uhr mittags als Ruhezeit angesetzt. Zur Erheiterung der Zuschauer gab’s auch Prominentenrunden. So radelten die beiden späteren Frankfurter Oberbürgermeister Walter Möller und Rudi Arndt im Revolutionsjahr 1868 gegeneinander. Möller war damals Verkehrsdezernent in Frankfurt am Main und Rudi Arndt hessischer Verkehrsminister.

 

Viel später gab’s dann noch Didi Thurau, der seit 1975 in der Festhalle dominierte. Aber 1983 war dann Schluß. Zum letzten Mal drehten sich in der Festhallte die Fahrer im Kreis. Schade eigentlich. Aber würden wir heute hingehen?