Ein Gespräch mit Armin Clauss über eine politische Biographie


von Claudia Schulmerich

Rudi Arndt war von 1972 bis 1976 Frankfurter Oberbürgermeister. Schon vorher und nachher hat er die Stadt Frankfurt und das Land Hessen maßgeblich mitgestaltet. Gewichtig in jeder Beziehung. Koordiniert durch Hans Sarkowicz haben 10 Autoren den Lebensweg  von „Im Schatten des Hakenkreuzes“  bis „Er war der Parteiarbeiter schlechthin…“ fakten- und bilderreich nachvollzogen, darunter Arndts Witwe Roselinde Arndt und sein Freund und Weggefährte Armin Clauss.

 

Eben habe ich bei Wikipedia nachgelesen: Armin Clauss (16. März 1938) „ist ein deutscher Postbeamter, Gewerkschafter und Politiker (SPD)“. Was sagen Sie dazu?

Ja, das war meine Entwicklung im Leben. Ich habe mit 14 Jahren bei der Post gelernt, habe mich dann fort- und weitergebildet, vor allem mit Hilfe der Gewerkschaften, kam dann nach Frankfurt, hier an die Akademie der Arbeit. Danach bin ich zu den Gewerkschaften, zur IG-Metall und bin1972 zum DGB-Vorsitzenden gewählt worden. Ab 1970 war ich fast 34 Jahre im Hessischen Landtag, bin 1976 Hessischer Minister geworden im Kabinett Holger Börner und das lange auf wechselnden Positionen geblieben.

 

Warum haben Sie bei der politischen Biographie  „Rudi Arndt. Politik mit Dynamit“ mitgewirkt?

Rudi Arndt war eine herausragende Persönlichkeit der hessischen Nachkriegsgeschichte. Er war Wirtschafts- und Verkehrsminister in der Zeit unter Georg August Zinn. Er war später Finanzminister im Kabinett Oswald und hat 1972 das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt angetreten und es mit großem Erfolg gestaltet. Ich war mit Rudi Arndt nicht nur politisch verbunden, wir hatten auch eine persönlich sehr tiefe Freundschaft. Ich kann sagen, Rudi war mein bester Freund.

 

Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Während des Studiums an der Akademie der Arbeit, auf einem Empfang der Stadt Frankfurt habe ich Rudi Arndt, aber auch Walter Hesselbach u.a. kennengelernt. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und uns nicht mehr aus den Augen verloren.

 

Was hat Sie als Erstes beeindruckt?

Der familiäre Hintergrund! Sein Vater kam zum ersten Jahrgang der Akademie der Arbeit aus Mecklenburg-Vorpommern nach Frankfurt. Die Akademie hatte folgenden Hintergrund: Nachdem die Universität 1914 gegründet wurde und das Richtfest vom Haupthaus feierte -  das war erst 1918 nach dem Krieg, den sozialen Unruhen und ersten Anzeichen der Demokratie -, hat der damalige Zimmermann zu seinem traditionellen Richtspruch “Gott segne das ehrbare Handwerk“ den versammelten Menschen da unten hinzugefügt: „Wir Arbeiter, wir Handwerker bauen die Universitäten und das Bürgertum darf sie anschließend besuchen. Wir haben keine Chance.

Daraufhin beschloß die SPD-Stadtverordnetenversammlung die Errichtung einer Akademie der Arbeit in der Universität - nicht ‚an‘, sondern ‚in‘-, was die Stadt mit einer entsprechenden Stiftung umsetzte. In diesem ersten Lehrgang war der Vater von Rudi Arndt. Er lernte dann eine junge Frau kennen, seine spätere Frau Betty, die ebenfalls aus einer alten sozialdemokratischen Familie stammte, lange Jahre Stadtverordnete in Frankfurt war und deren im Widerstand tätige Schwester Johanna Kirchner von den Nazis am 20. Juli 1944 hingerichtet wurde.

Eine solche spannende Familie, sowohl mütterlicher- wie auch väterlicherseits hat buchstäblich danach gerufen, das nicht nur aufzuschreiben, sondern auch für die Nachwelt zu hinterlassen, weshalb es ein wichtiger Abschnitt in dem Buch über Rudi Arndt ist.

 

Und er selber?

Der Rudi war eine von Natur aus nicht übersehbare Persönlichkeit. Er hat, wenn man in den Saal reinkam, sowieso schon alle überragt, ein unglaublich dynamischer kreativer Politiker, den manche als rauhbeinig hinstellten, was überhaupt nicht zutraf, wenn man ihn näher gekannt hat. Er war eine Seele von Mensch und es war, wenn Sie wollen, Liebe auf den ersten Blick.

 

Was heißt das, Freunde sein? Politisch, menschlich.

Gemeinsam durch Höhen und Tiefen zu gehen. Rudi Arndt hatte vorgehabt, die Nachfolge von Georg August Zinn anzutreten, seine politische Heimat, die SPD HessenSüd, war ja die Speerspitze der linken Bewegung, in der Rudi Arndt die Grundprinzipien der Demokratie stärkte und die Idee der sozialen Gerechtigkeit mit einer fortschrittlichen Wirtschafts- und Strukturpolitik unter einen Hut brachte. Er hat rechtzeitig erkannt, daß der Frankfurter Flughafen ein wichtiges Strukturelement für Stadt und Region ist, hat das schon als junger Stadtverordneter vorangetrieben, hat dies auch seit 1956 im Landtag vertreten und war als wichtiger Minister im Kabinett von Georg August Zinn auch dessen Kronprinz. Es ist dann anders gekommen.

Menschlich war er ein ausgesprochen geselliger Mensch, er war ein großzügiger Gastgeber, es gibt heute noch viele Kunstschaffenden aus der damaligen Zeit, die seine Einladungen rühmen. Wir zwei haben gemeinsame Hobbies gehabt. Wir haben beide den Wein geliebt, nicht nur deutsche Weine! Es gibt keine Weinregion in Europa, die wir nicht gemeinsam bereist haben. Wir haben auch Weinregionen außerhalb Europas besucht, Südafrika, Amerika, Chile war geplant. Wir haben manch guten Tropfen miteinander getrunken und dabei auch die Welt immer wieder neu erfunden.

 

Ihr schönstes Erlebnis mit ihm?

Wir haben so viele schöne Erlebnisse gehabt, allein die wunderbaren Urlaubsreisen durch Frankreich, daß ich ganz schwer sagen kann: Das war das schönste. Das schönste war, daß er mein Freund war.

 

Und das schrecklichste?

War natürlich die Wahlniederlage bei der Kommunalwahl 1977. Da haben wir gemeinsam gelitten. Das war nicht nur eine politische Niederlage, sondern auch menschlich ein Desaster.

 

Was ist das historische Verdienst von Rudi Arndt?

Auf Landesebene hat er maßgeblich dazu beigetragen, eine Großzahl von Vertriebenen wie selbstverständlich in das Land zu integrieren. Sein großes Verdienst ist, daß er rechtzeitig erkannt hat, daß ein modernes Land wie Hessen, das ja nach 1945 im Kern nur Kassel und Frankfurt als Großstadt und dazwischen ländliche Regionen hatte, daß das Land sich einheitlich entwickeln muß. Was im Grundgesetz und der Hessischen Verfassung steht, lebenswürdige Bedingungen in allen Regionen zu schaffen, hat er ernst genommen. Das gilt für die Verkehrsinfrastruktur, für die Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben, für den Ausbau der Schulen. Er hat visionär gesehen, daß der Frankfurter Flughafen eine wesentliche Drehscheibenfunktion hat, was ich ja schon sagte. Er hat sich dafür eingesetzt, daß die Bankenstadt Frankfurt sich entwickeln konnte und er hat hier Denkmäler hinterlassen: das fängt an mit der Alten Oper, über die Fachwerkzeile auf dem Römerberg, bis hin zu Eissporthalle und andere Investitionen, die alle zu seiner Zeit geplant und auf den Weg gebracht wurden.

 

Ist das nicht unglaublich, daß man den „Dynamit-Rudi“ immer noch richtigstellen muß.

Ja, dynamisch war er schon. Aber das mit dem Dynamit geht so: Es gab damals eine große parteiübergreifende Aktion, die er im Kern unterstützt hatte, für den Wiederaufbau der Alten Oper. Dort hat sich Rudi Arndt von Fachleuten auch mal vorrechnen lassen, ob es nicht klüger wäre, die alten Ruine abtragen zu lassen und die Oper original getreu wieder aufzubauen, wie z.B. die Frauenkirche in Dresden. Im Club Voltaire hat er mal schnoddrig gesagt: „Am liebsten müßte man das Ding in die Luft sprengen“ und da fing es mit den Lügen an, er wolle die Alte Oper nicht wiederaufbauen. Die historische Wahrheit dagegen ist, daß noch in seiner Amtszeit der Wiederaufbau beschlossen wurde. Aber der „Dynamit-Rudi“ hing ihm nach und er hat damit auch durchaus kokettiert.

 

Warum mußte er 1977 scheitern?

Es war die Zeit großer politischer Veränderungen. In der Nachkriegszeit hatte die SPD die Stadt Frankfurt gestaltet. Es gab immer SPD-Oberbürgermeister. Frankfurt war SPD-Stadt mit der Einheit von Partei und politischer Repräsentanz. Auf einmal gab es heftige politische Auseinandersetzungen – auch innerhalb der Partei, die 68er Bewegung, eine Demonstration jagte die andere, wir hatten Besetzung der Universität, riesenhafte Auseinandersetzung über die Frage der Fahrpreiserhöhung, wir hatten die Spekulanten, die das Westend zerstört hatten, wo eine sehr gute Bausubstanz vorhanden war, die nicht hätte zerstört werden dürfen, was damals aus wirtschaftlichen Interessen geschah, aber der SPD, sprich Rudi Arndt angelastet wurde. Es kam eine neue Bewegung auf, die späteren GRÜNEN, es war alles im Umbruch...

 

 

Was hätten Sie ihm gewünscht, wo er seine eminent politische Begabungen voll hätte einbringen können?

Eigentlich hat er in jeder Phase seine politische Erfüllung gefunden. Ich hätte ihm später gewünscht, daß sein hingebungsvoller Einsatz nach 1989 in Erfurt auch politische Früchte getragen hätte. Aber eigentlich wäre bei seinem Lebensweg Ministerpräsident von Hessen, Landesvater zu sein, das gewesen, was für Hessen und für ihn ideal gewesen wäre.

 

„Rudi Arndt. Politik mit Dynamit. Eine politische Biographie, Verlag M. Naumann 2011

Vergleiche auch die Rezension über das Buch im Weltexpresso von Felicitas Schubert

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/190-unvergessen

Abdruck des Interviews mit freundlicher Genehmigung des DRK-Magazins Frankfurt am Main, November 2011

Fotos: Rolf Maass