Die Frankfurter Dezernentin für viele Bereiche im Gespräch
Mirco Overländer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seit 2012 ist Rosemarie Heilig Mitglied des Magistrats. Als Klima-, Umwelt- und Frauendezernentin treibt die studierte Biologin seither den klimagerechten Umbau der Stadt voran. Im Interview mit Mirco Overländer spricht Heilig über den beklagenswerten Zustand des Frankfurter Stadtwalds und über die größten Herausforderungen, um Frankfurt auch für die kommenden Generationen als lebenswerten Ort zu erhalten. Die Redaktion
Frau Heilig, nach dem dritten Hitzesommer in Folge gibt es kaum einen Baum im Stadtwald ohne Schädigungen. Was muss neben hitzeresistenten Neupflanzungen unternommen werden, um das Frankfurter Stadtgrün zu erhalten?
ROSEMARIE HEILIG: Zunächst ist die Klima-Katastrophe kein Frankfurter, sondern ein globales Problem. Hier in der Region bis in den Taunus weisen fast alle Bäume Hitzeschäden auf und sind vom Borkenkäfer stark geschädigt. Dabei besteht unser Stadtwald aus Eichen, Hainbuchen und Kiefern und ist eigentlich sehr standortgerecht. Doch auch diese Bäume werden wir verlieren. Wir sind daher verpflichtet, den Stadtwald enkelgerecht wieder aufzuforsten. Hierzu verfolgen wir drei Ansätze: Erstens sammeln wir die Früchte der Bäume, also die Eicheln, und ziehen eigene Setzlinge an. Wir hoffen nämlich, dass sich die Bäume mit der Zeit an die Hitze gewöhnen und diese Widerstandsfähigkeit im Erbgut weitergeben.
Zweitens setzen wir auf Baumarten aus wärmeren Regionen wie Griechenland, Südfrankreich oder Ungarn. Diese Bäume wie Schwarzkiefer, Flaumeiche, Stechpalme oder Edelkastanie stehen auf unserer Frankfurter Baumliste und kommen bei der Wiederaufforstung zum Einsatz.
Drittens unterstützen wir die organische Aufforstung des natürlichen Bestands.
Als Klimadezernentin warnen Sie bereits seit zehn Jahren vor den Folgen des Klimawandels. Sehen Sie mit Sorge oder gar einer gewissen Genugtuung, dass Ihre jahrelangen Mahnungen nun Gehör finden?
HEILIG: Ich verspüre auf keinen Fall Genugtuung. Dass der Klimawandel mit dieser Wucht und Geschwindigkeit erfolgt, bekümmert mich. Ich habe vor rund 40 Jahren meine Diplom-Arbeit über das Waldsterben 1.0 geschrieben. Vier Jahrzehnte später holt uns dieses Phänomen in ungeahnter Intensität ein. Die Natur braucht uns Menschen nicht und hat bisher noch jede Krise überstanden. Die wesentliche Frage wird sein, ob der Mensch diese Krise ebenfalls übersteht. Dabei wissen wir genau, was zu tun ist, nämlich CO2 einsparen. Die Grenzen des Wachstums sind bereits überschritten. Die Frage ist, ob die menschliche Vernunft oder unsere Bequemlichkeit siegt. Wir alle müssen aus unserer Komfortzone raus. Ein „weiter so“ mit den ganzen Annehmlichkeiten, die wir uns geschaffen haben, geht nicht mehr.
Globale Krisen wie der Krieg in der Ukraine zwingen den Staat allerdings dazu, Kohlekraftwerke wieder hochzufahren und weltweit fossile Brennstoffe zu importieren. Ist das nicht ein Rückschritt?
HEILIG: Natürlich gilt es, zunächst die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Aber ich begreife diese Krise auch als Chance für die Energiewende, da sie uns zum Handeln zwingt. Plötzlich setzt jede:r auf Fotovoltaik, was ich mir vor 20 Jahren gewünscht hätte. Eine Chance ist die aktuelle Lage auch, da die Energiewende von den Kommunen ausgeht: Wir Städte sind die Handlungsträger und können in die eine wie die andere Richtung sehr viel bewegen. Daher bin ich sehr froh, dass unser Frankfurter Klimareferat zum 2. Januar mit 25 Mitarbeiter:innen aus dem Energiereferat und dem Umweltamt seine Arbeit aufnehmen wird. Dort ist sehr viel Expertise gebündelt. Zudem haben wir in Frankfurt bereits vor 30 Jahren den Grundstein gelegt, um unsere Stadt resilient und zukunftsfähig aufzustellen. Unter meiner Vorgängerin Manuela Rottmann wurde etwa der Neubau des Höchster Klinikums in Passivhausbauweise beschlossen. Das ist weltweit das erste energieeffiziente Krankenhaus in dieser Bauweise.
Das Grünflächenamt ist derzeit mit der grüneren Umgestaltung einiger städtischer Plätze und Parks befasst. Wie groß ist, abgesehen von der verbesserten Aufenthaltsqualität, der klimatische Effekt dieser Maßnahmen?
HEILIG: In unserer derzeitigen Situation müssen wir die städtebaulichen Fehler aus den 90er Jahren korrigieren. Damals wurde nicht berücksichtigt, dass sich diese Plätze im Sommer extrem aufheizen und entsprechend das Stadtklima beeinflussen. Orte wie der Atzelbergplatz, der Paul-Arnsberg-Platz oder der Rossmarkt und viele weitere müssen verschattet werden. Dies wird mit Sonnenschirmen oder am besten durch Bepflanzung geschehen. Diese Maßnahmen lindern die Hitze und steigern die Aufenthaltsqualität.
Daher stehe ich noch immer hinter den Grünen Zimmern, die ja so stark kritisiert wurden. Aber sie werden angenommen und zeigen Wirkung. Das alleine reicht aber nicht: Wir müssen auch bei Neubauten umdenken und auf Begrünung von Fassaden und Dächern sowie den großflächigen Einsatz von Fotovoltaik setzen.
Je grüner diese Stadt wird, umso mehr Menschen zieht es an jene öffentlichen Plätze mit hoher Aufenthaltsqualität. Die starke Nutzung dieser Flächen wiederum sorgt für höhere Reinigungs- und Unterhaltskosten. Wie lässt sich dieser Kreislauf stoppen?
HEILIG: Das ist tatsächlich eine weitere sehr große Herausforderung. Die Menschen benutzen dieses „Wohnzimmer Stadt“ sehr gerne, halten es aber nicht so sauber wie ihr eigenes Wohnzimmer. Dieser Bequemlichkeit Herr zu werden ist sehr, sehr schwer und entsprechend teuer. Die Flächen für Naherholung sind kontinuierlich gewachsen, nicht aber das entsprechende Budget. Ohne mehr Geld und Personal können wir aber nicht dauerhaft mehr leisten, das gilt übrigens auch für die Pflege des Stadtwalds. Hierfür werden wir in Kürze das Sonderprogramm „Zukunft Stadtwald“ auflegen, weil es dringend erforderlich ist, zu handeln. Was die Parks und Grünflächen am Main anbelangt, setzen wir auf das Programm „Sauberkeit aus einer Hand“, wodurch die FES für all diese Räume verantwortlich ist. Ab 2024 könnte die FES auch die VGF Haltestellen reinigen. Auch setzen wir weiter auf die Kampagne #cleanffm zur Sensibilisierung. Diverse Littering-Studien haben übrigens gezeigt, dass mehr Repression und Bußgelder die Menschen nicht davon abhalten, ihren Müll in Grünflächen zu hinterlassen.
Auch bei der Wasserversorgung haben die vergangenen Sommer gezeigt, dass es nicht nach dem Motto „mehr ist mehr“ weitergehen kann. Wie lässt sich trotz steigenden Bedarfs der Durst der Stadt nachhaltiger stillen?
HEILIG: Wir testen bereits seit langem alternative Möglichkeiten, unsere Stadtbäume ressourcenschonend zu bewässern. Da kommt auch neue digitale Technik zum Einsatz mit der ermittelt wird, wieviel Wasser der Baum tatsächlich braucht. Auch der Main ist eine geeignete Wasserquelle. Wir mussten jedoch sehr lange auf die Erlaubnis des Wasser- und Schifffahrtsamtes zur Entnahme des Mainwassers warten. Inzwischen haben wir einige Fahrzeuge entsprechend umgerüstet. Natürlich müssen wir künftig noch viel mehr auf Brauchwasser setzen. Eine gute Lösung, um Regenwasser lokal als Brauchwasser zu nutzen, ist der Bau von Zisternen. Bei der Neuplanung etwa auf den Friedhöfen wird der Einbau von Zisternen bereits betrieben.
Ich kenne den Vorwurf, dass wir den Vogelsberg leer trinken würden. Dort wurde aber versäumt, eigene Brunnen zu bauen und die Wasserversorgung entsprechend zu modernisieren. Frankfurt hat zudem die Besonderheit, dass die Stadt werktags zur Metropole mit 1,5 Millionen Menschen anwächst, aber über eine Infrastruktur für 800.000 Menschen verfügt.
Um auf das Thema hinzuweisen, werden wir auch 2023 wieder eine Wasser-Spar-Kampagne initiieren. Denn Wasser ist weltweit das kostbarste Gut. Wir werden es noch erleben, dass um diese Ressource Kriege geführt werden.
Trotz angespannter Haushaltslage ist Ihr Dezernat mit steigenden Kosten und Herausforderungen konfrontiert, die sich nicht aufschieben lassen. Würden Sie sich ein größeres Budget wünschen oder ist mehr derzeit einfach nicht möglich?
HEILIG: Ich wünsche nicht, ich benötige ein sehr viel größeres Budget. Wir müssen die Energiewende schaffen und den Stadtwald retten. Jede Dezernentin und jeder Dezernent hat große Herausforderungen zu stemmen. Doch diese sind zentral für die Zukunft dieser Stadt. Konkret benötigt mein Dezernat fünf Millionen Euro mehr pro Jahr, inklusive Personalkosten. Hierüber werde ich im Januar mit unserem Stadtkämmerer sprechen. Denn alleine um die technischen Voraussetzungen zu schaffen, um die 6000 Hektar Stadtwald zukunftsfähig zu machen, bräuchten wir eine Million Euro pro Jahr. Hinzu kommt der demographische Wandel, der auch die Mitarbeitenden im Stadtforst betrifft. Bei diesem Generationenwechsel müssen wir Personal rekrutieren, das auch den Klimawandel mitdenkt und moderiert.
Sie sind bereits seit 2012 als Umweltdezernentin im Amt. Gibt es noch zentrale Vorhaben auf Ihrer Agenda, deren Umsetzung noch ausstehen?
HEILIG: Was ich gerne noch erreichen möchte, ist ein Klima-Effizienz-Programm, das alle städtischen Liegenschaften umfasst. Derzeit sind wir dabei, die ersten zehn Gebäude zu identifizieren. Ein solches Programm, das die energieeffiziente Sanierung aller städtischen Gebäude betrifft, wäre ein riesiger Schritt und würde sich sehr nachhaltig auf den städtischen Energieverbrauch auswirken. Dabei geht es nicht immer um riesige Investitionen oder Umbauten, sondern auch um die Frage, ob stundenlang Licht in einem kaum genutzten Korridor brennen muss, wenn hier auch ein Bewegungsmelder installiert werden könnte, oder die Nachrüstung intelligenter Heizsysteme.
Durch die gestiegenen Energiepreise ist die Nachfrage nach Brennholz signifikant gestiegen. Profitiert die Stadt von höheren Preisen und größerer Nachfrage?
HEILIG: Laut Stadtforst ist die Nachfrage nach Brenn- und Wirtschaftsholz aus dem Stadtwald tatsächlich deutlich gestiegen. Trotzdem haben wir den Preis für den privaten Bedarf nicht erhöht, er liegt weiter bei 65 Euro pro Raum-Meter. Allerdings haben wir die abzugebende Menge auf zehn Raum-Meter pro Haushalt begrenzt. Im gewerblichen Bereich ist der Preis von 45 Euro im Jahr 2020 auf zwischen 70 und 80 Euro pro Raum-Meter deutlich gestiegen. Die Stadt profitiert also in der Tat von der aktuellen Entwicklung, jedoch nicht in einer finanziellen Dimension, die das Defizit des Forstbereichs auffangen würde. Das liegt auch daran, dass wir ausschließlich Schad- und Totholz verkaufen und auf Neu-Einschlag verzichten.
Wie hat sich die Stadt Ihrer Ansicht nach frauenpolitisch in den vergangenen Jahren entwickelt und wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
HEILIG: Wir haben inzwischen eine Bürgermeisterin, eine Stadtverordnetenvorsteherin und hoffentlich auch bald schon eine Oberbürgermeisterin. Zudem wird die Stadtverwaltung von zahlreichen äußerst kompetenten Amtsleiterinnen gemanagt. Auch in meinem Dezernat sind viele Führungspositionen von Frauen besetzt. Auf dieser Ebene sind wir also auf einem sehr guten Weg.
Als einziges Kind von sieben Geschwistern, das studieren durfte, weiß ich aber, wie beschwerlich der Weg auf der Karriereleiter für eine Frau noch immer sein kann. Noch heute müssen Frauen weitaus mehr engagieren, um in die gleichen Führungspositionen aufzurücken. Gesamtgesellschaftlich ist ein Rollback zu beobachten, der mir große Sorgen bereitet. In vielen Ländern sind patriarchalische Herrschaftsstrukturen wieder auf dem Vormarsch, leider auch in Deutschland. Gerade bei der Elternzeit wird deutlich, dass noch viel zu viele Frauen viel zu lange zuhause bleiben und dann oft in eine Falle tappen, die wir Altersarmut nennen. Hier muss es bessere Angebote für Familien geben, die bei der Kinderbetreuung beginnen und auch das gesellschaftliche Bild und die Rolle des Familienvaters umfassen.
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Dezernentin für Klima, Umwelt und Frauen Rosemarie Heilig im Gespräch
©Stadt Frankfurt am Main, Foto: Salome Roessler