Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen (Wanderausstellung), Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit den Worten von Fritz Bauer ist diese Ausstellung in den Frankfurter Römerhallen überschrieben und der Geist von Fritz Bauer war an diesem Eröffnungsabend bei feierlichen Reden, kritischen Gedanken und sogar einem Expertengespräch „ Die historische Entwicklung der Strafverfolgung bei NS-Verbrechen“ auch zu spüren. Aufklärung tut auch nach 69 Jahren noch Not!

 

Damit allerdings, warum erst heute diese Ausstellung stattfindet, darf man sich gar nicht beschäftigen, zu trübe erscheint das Wirtschaftswunderland der Nachkriegszeit, übrigens genauso trübe, wie es diejenigen, die damals Aufklärung darüber, wie in deutschem Namen die Naziverbrechen geschehen konnten, verlangten, selbst empfunden haben. Sie waren in der Minderheit. Was an diesem Abend deutlich wurde, ist, daß die Einschätzung dieser Verbrechen als Staatsverbrechen und des gesellschaftlichen Systems, das so etwas möglich machte, längst Mehrheitsmeinung geworden ist. Wenigstens das.

 

Fritz Bauer wurde also mehrfach zitiert, was sicher auch mit der Ausstellung FRITZ BAUER.DER STAATSANWALT zu tun hat, die noch bis zum 7. September im Jüdischen Museum zu sehen ist – vergleiche unsere Serie dazu. Stadtrat Jan Schneider, der die Begrüßung durch die Stadt übernommen hatte, sagte: „Ohne ihn hätte es den Auschwitzprozeß nicht gegeben“, inzwischen schon fast ein Gemeinplatz, aber dennoch richtig. Wie sehr zudem der Römer damit zu tun hat, hat Schneider auch tradiert, denn im Römer begann 1963 der Auschwitzprozeß, der dann auch der vielen Zuschauer wegen ins Haus Gallus verlegt wurde.

 

Gekommen war auch der Kunst- und Wissenschaftsminister Boris Rhein, zuvor Innenminister, dem das Hauptstaatsarchiv untersteht, das die Ausstellung aus seinen Beständen erstellt hat. Seine Vorgängerin Eva Kühne-Hörmann ist nun Justizministerin, also erneut zuständig, und hat im Begleitband zur Ausstellung deutliche Worte gefunden: „Der Name Auschwitz steht als Synonym für den Tiefpunkt menschlicher Kultur, für eine zum industriellen Verfahren perfektionierte 'Endlösung', für millionenfachen Massenmord.“ Rhein interpretierte „das größte Strafverfahren in der Geschichte der BRD“ als den Prozeß, der „die deutsche Bundesrepublik schonungslos mit den Verbrechern konfrontierte.“

 

Das Strafverfahren gegen Angehörige der Lagermannschaft des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz führte einer breiten Öffentlichkeit erstmals die entsetzliche Wirklichkeit des industriellen Massenmordes drastisch vor Augen. Es bedeutet mir nicht nur als zuständigen Minister, sondern auch ganz persönlich sehr viel, dass diese Ausstellung vom Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden erarbeitet wurde. Auschwitz ist zentrales Element der deutschen Erinnerungskultur, die sich dem ‚Nie wieder Völkermord‘ als handlungsleitende Maxime verpflichtet fühlt“, so Wissenschaftsminister Boris Rhein.

 

Er verwies darauf, daß mit der juristischen Aufarbeitung, besser: der Aufarbeitung der Verbrechen innerhalb der Justiz eine politische Kultur bestärkt werde, die aus der Kenntnis der Vergangenheit für die Zukunft wappne. Dies sei auch Bildungsauftrag der Archive. „Was haben sie denn sonst, wenn nicht einen Bildungsauftrag.“ Dazu gehören auch die Tonbandmitschnitte des Auschwitzprozesse, die schon veröffentlicht sind: „Lesen ist hart, aber anhören und die Kälte heraushören, ist erschütternd.“ Rhein sprach von der Entmenschlichung und unserer nötigen Wachsamkeit gegen rassistische und antisemitische Worte und Verhalten.

 

Johann Zilien vom Hessischen Hauptstaatsarchiv, dem die Ausstellung als Kurator zu danken ist, führte erst einmal verbal in die Ausstellung ein, führte dann aber auch persönlich. Zuvor, dazwischen und danach hatte Roman Kuperschmidt Jüdische Musik geboten, das, was wir Klezmermusik nennen, wobei seine Klarinette auf die Geige und Bratsche und das Cello stieß und Seelenmusik ertönte.

 

Johann Zilien stellte als Historiker und Archivar Geschichtliches klar und erläuterte seine Gestaltungsprinzipien. Schon in den 40er Jahren habe es unmittelbar nach dem Krieg Nazi-Prozesse gegeben. Ausgangspunkt dieser Wanderausstellung war die Überlegung, in welcher Form man den 50. Jahrestag der Auschwitzprozesse begehen könne; hinzu kam, daß diese Ausstellung eine wichtige Ergänzung zur Fritz Bauer Ausstellung sei. Auf jeden Fall sei diese Ausstellung für die breite Bevölkerung gedacht:“Wir wollten den Forschungsprozeß zeigen und eine historische Perspektive aufweisen.“ In Form von Tafeln vermittle die Ausstellung einen historischen Abriß der Zeit.

 

Das sechsköpfige Expertengespräch versammelte Juristen und Professoren - Staatsanwältin bei Landgericht Frankfurt Friderike Busch, Helmut Fünfsinn, Leiter der Abteilung Strafrecht im Hessischen Justizministerium, Cornelius Nestler, Professor an der Universität Kön, Cornelius Prittwitz, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Gerhard Wiese, der Staatsanwalt im Auschwitz-Prozeß war - und hatte zum einen die historische Problematik zum Thema, wieso nach anfänglichen Nazi-Prozessen im Verlauf der 50Jahre und danach weithin Schweigen herrschte und wie sich die Gerichtsverfahren hinsichtlich dessen unterscheiden, ob einer durch seine Anwesenheit und Arbeit in einem Konzentrationslager schon per se auf die Anklagebank gehört, oder, ob ihm konkrete Taten nachgewiesen werden müssen. Für letzteres gibt es meist keine „Beweise“ mehr, denn Ermordete können nicht sprechen.

 

Daß es eine Mär ist, daß erst mit dem Münchner Prozeß gegen John Demjanjuk und dessen Verurteilung als ehemaliger KZ-Wächter wegen Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Sobibor auch ohne Einzelfallnachweis ein Schuldspruch erfolgen könne, ist längst bekannt. Von daher ist verständlich, daß dies „Verfahren ein Wendepunkt“ genannt wurde, „aber kein juristischer Wendepunkt.“ Auf die Frage: „Ist es die Aufgabe der Strafjustiz die historische Wahrheit herauszufinden?“, gab es ein: „Nein, aber...“ der Rechtsexperten, wo die Zuhörerin durchaus ein „Ja!“ geschmettert hätte. Fortsetzung folgt.

 

P.S. Am Landgericht Frankfurt steht, was ins Bild projiziert ist, der Anfang von Artikel 1 des Grundgestzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Wir hielten das immer für eine, einem deutschen Gericht selbstverständliche Proklamation. Das stimmt nicht. Fritz Bauer war der Initiator der groß angebrachten Schrift. Dies gibt es also nur in Frankfurt - und in Braunschweig!, wo Fritz Bauer zuvor als Generalstaatsanwalt tätig war. Nachfolger hat er keine gefunden.

 

Foto: Heinz Markert

 

 

INFO:

 

Vom 14. bis 31. Juli zeigt das Hessische Hauptstaatsarchiv in den Römerhallen Frankfurt die Ausstellung "Die historische Wahrheit kund und zu wissen tun." Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen“

 

Katalog zur Wanderausstellung: „Die historische Wahrheit kund und zu wissen tun." Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen“, 2014/2015, Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen

 

Öffnungzeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr.
Adresse: Römerberg 27, 60311 Frankfurt am Main



http://www.hauptstaatsarchiv.hessen.de/irj/HHStAW_Internet