Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen (Wanderausstellung), Teil 2

 

 

Heinz Markert

 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Betritt man die Ausstellung in den Römerhallen des Frankfurter Römers, am zentralsten Ort Frankfurts, dann wird sogleich wieder bewusst: Umstände, Schwierigkeiten und Widerstände der Ermittlungen während der ersten Nachkriegsjahre und der weiteren Jahre danach.

 

Ausfindigmachen der Täter, die sich in die Deckung gestohlen hatten, Anklageerhebung und Urteil Sprechen (Diskrepanz zwischen Dimension und eingeschränkter Rechtspraxis) werden wieder beklommen machen.

 

Unter der Überschrift: „Die Aufarbeitung des Grauens“ schreibt die Hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann im Katalog zur Ausstellung unter anderem: „Vergessen wir nicht, dass keiner der Richter eines Sondergerichts oder der 570 Richter und Staatsanwälte des Volksgerichtshofs wegen einer der zahlreichen Unrechtsurteile von bundesdeutschen Gerichten rechtskräftig verurteilt wurden.“ (S. 7 des Katalogs)

 

Die vom Hessischen Hauptstaatsarchivs erarbeitete Ausstellung (begleitet von einem von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen geförderten Katalog, der dem interessierten Publikum zur Verfügung steht) hat bundesweiten Rang.

 

Sie ist die geeignete Gelegenheit für diejenigen (insbesondere Schülerinnen, Schüler, junge Leute, Eingewanderte), die beginnen wollen, die ungeheuerliche Thematik als Beleg für die Charakteristik des menschlichen Geschlechts anzugehen, wobei der Beleg ein spezifisch deutsch-eigener ist und nicht vorschnell in eine Sphäre der ewigen Natur des Menschlichen bzw. Unmenschlichen gehoben werden sollte.

 

Aus der eigenen Entwicklungsbiographie noch in Erinnerung, begegnen einem auch in der Ausstellung wieder die viel sagenden wie verhüllenden Vokabeln wie: „Schreibtischtäter“, „Funktionsträger“, „Gehilfe“, „Beihilfe“, „reiner Befehlsempfänger“.

 

Einer der Hauptverantwortlichen der zentral aus Berlin gesteuerten „Aktion T4“ zur Ermordung behinderter Menschen“ (S. 113), nach dem Krieg unter dem Pseudonym „Dr. Fritz Sawade“ abgetaucht, sah sich „als reiner Befehlsempfänger“ (S. 113). Reue und Mitgefühl zeigte er nicht. „Heyde selbst sah sich als ein Opfer politischer Justiz [...]“ - „Wiederholt musste sich Fritz Bauer [Generalstaatsanwalt, höchster Ankläger in Hessen, ab 1959] den mitunter[?] antisemitisch gefärbten Vorwurf gefallen lassen, er verfolge einen persönlich motivierten Rachefeldzug gegen fehlgeleitete, aber letztlich ehrbare Mitbürger.“ (S. 114)

 

Die Rechtsprechung tat sich lange schwer, anstelle des subjektiven Handelns, des konkreten Tatnachweises - der Umstände halber oft nicht genügend zu erbringen war, zumal nach Jahren der Untaten - den Begriff : „objektiven Tatbeitrag“, also die Beteiligung am „industriell durchgeführten Massenmord“ festzusetzen und rechtsgültig zu machen.

 

Mit John Demjanuk wurde vor dem Landgericht München II 2009 zum ersten mal überhaupt in Deutschland ein nichtdeutscher sog. Trawniki [„überwiegend Ukrainer und Volksdeutsche, die von der SS aus sowjetischen Kriegsgefangenenlagern rekrutiert wurden“ (S. 77)] angeklagt, dazu noch ohne konkreten Einzeltatnachweis.“ (S. 121)

 

Radbruch und Bauer

 

Zum Grundkonflikt von `subjektiv problemlos verstanden`, aber `objektiv rechtlich einzuordnen` im Tatzusammenhang gibt uns Tafel 48 (Katalog S. 113) eine Anregung: „Bereits 1947 hatte der Rechtsgelehrte Gustav Radbruch (1878-1949) auf die „Rechtsblindheit“ von NS-Juristen und -Ärzten hingewiesen: Vermeintlich staats-pflichtmäßiges Handeln im NS-Staat sei oftmals prinzipiell (natur-) rechts-pflichtwidrig gewesen.“ Dass das Naturrechtsmotiv menschlicher Würde eine umgehende Verweigerung von Handlungen, die die Würde anderer Lebewesen missachten, mit Füssen treten, aus dem Einzelsubjekt hervorrufen muss, ist in der justiziellen und staatsbürgerrechtlichen Umgebung noch unterbewertet. „Civil Disobedience“ dagegen ist vertrauter. Das Naturrechtsmotiv müsste sich in der globalen Welt auch auf den Umgang mit Atmosphäre und Biosphäre beziehen.

 

Es gibt im rechtsphilophischen Diskurs eine Diskrepanz zwischen einem geringer rangigen alltagsrechtlichen Urteilen der nationalen Justizapparate und einem höher rangigen Urteilen in Welt-Naturrechts-Angelegenheiten, wie sie das Weltgericht in Funktion des Internationalen Straf- und Bewertungsgerichtshofs zur ureigenen Sache machen müsste, um menschliche und natürliche Güter zu schützen, ihnen Würde zu erhalten und zurückzugeben:

 

Unverbrüchlichkeit des allgemeinen Menschenrechts. Ahndung von Untreue-Verhältnissen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, das ungeklärte und angespannte Verhältnis von Verfügenden und Verfügten betreffend, Achtung der Rechtssphäre der Erleidenden, wenn über Investitivmittel, natürliche und menschliche Ressourcen, Finanzsysteme, Privatsphären (Fälle staatlicher und Ökonomie geleiteter Übertretungen) fehl gehandelt wird, zunehmend in entgrenzten transnationalen Superbeziehungen. Eine zu erweiternde, in globale Grossverhältnisse reichende Rechtsauffassung wäre aktueller den je. Neben dem Recht auf Würde, gesundes Klima, unzerstörte Nahzone ist auch ein Menschheitseigentums- und Natursystem-Eigentumsrecht zu diskutieren, wie es sich im Juwel-Kult des UNESCO-Weltkultur- und Weltnaturerbes bloß andeutet.

 

Mit dem spezifischen Verständnis des Naturrechts auch als legitimes Widerstands- und Verweigerungsrecht war Gustav Radbruch ein Zwillingsbruder von Fritz Bauer.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Radbruch

 

 

Die unterschiedlichen Prozesse

 

Bezeichnend war auch das Gewoge um die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Nach den durch die Alliierten initiierten Nürnberger Prozessen gegen die führenden Nationalsozialisten, 1945 begonnen (1946 Urteilsverkündung), den Frankfurter „Euthanasie“-Prozessen zwischen 1946 und 1948 und dem Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 kam es zu einem Nachlassen der juristischen und jurisdiktionären Aufarbeitung. Letzterer Prozess gilt als Wendepunkt. „Er hatte gezeigt, dass eine systematische und zentral gesteuerte Ermittlungsarbeit notwendig ist, um die Gewalttäter aufzuspüren.[...] So wurde...beschlossen, die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ ...als gemeinschaftliche Einrichtung aller bundesrepublikanischen Landesjustizverwaltungen zu errichten.“ (S. 33)

 

Der Eichmann-Prozess fand vom 11. April 1961 bis zum 29. Mai 1962 in Jerusalem statt.

 

Die Ermittlungen über den Auschwitz-Komplex selbst brachte der ehemalige Häftling Emil Wulkan ins Rollen, der dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1959 wertvolle Dokumente über gezielte Tötungsaktionen zuspielte.“ (S. 94) Der Auschwitz-Prozess begann am 20. Dezember 1963 und dauerte bis zum 20. August 1965. Ihm gebührt „Einmaligkeit“, die mit der profilierten und in ihrer Wirkung fort geltenden Persönlichkeit Fritz Bauers verbunden ist.- DVD-Anregung hierzu: „Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden. Aus den Fernseharchiven 1961-1968“.

 

Das am meisten Grausen hervorrufende Ausstellungsstück war für den Autor eine Seite des Sterbe-Buchs von Auschwitz. Einzige wirkliche Funktion: die Maskierung der Morde durch penible protokollarische Eintragungen.

 

Fotos: Heinz Markert

 

INFO:

 

Vom 14. bis 31. Juli zeigt das Hessische Hauptstaatsarchiv in den Römerhallen Frankfurt die Ausstellung "Die historische Wahrheit kund und zu wissen tun." Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen“

 

 

Katalog zur Wanderausstellung: „Die historische Wahrheit kund und zu wissen tun." Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen“, 2014/2015, Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen

 

Öffnungzeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr.
Adresse: Römerberg 27, 60311 Frankfurt am Main



http://www.hauptstaatsarchiv.hessen.de /irj/HHStAW_Internet