Liebevolle Trauerfeier für die plötzlich verstorbene Journalistin der Frankfurter Rundschau, Teil 2

 

Willy Praml

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Trauerfeier fand auf Einladung des Hausherrn Willy Praml im Foyer seines Hauses, den Naxoshallen, statt. Hatte sich erst noch so mancher gewundert, warum an diesem Ort, dann wußte man nach dieser Trauerrede, weshalb dies so kam und wie sich die Stadt Frankfurt in diesen Worten spiegelt. Wir drucken die Rede von Willy Praml hier ab. Die Redaktion

 

 

Liebe Freundinnen und Freunde von Claudia Michels,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Claudia, die Du mir vorkommst, als könnte ich zu Dir sprechen,

 

nach Frankfurt sind wir beide beinahe zur selben Zeit gekommen, Du 1972, ich schon ein Jahr früher, 1971. Frankfurter waren wir nicht - 

Du, die junge Frau aus gutbürgerlichen Verhältnissen vom Niederrhein, frisch verheiratet und auf dem Wege, den ersten Sohn zu gebären 

und ich, der  niederbayerische Metzgermeisterssohn, gerade als Theatermacher für die politische Bildung in Hessen engagiert und noch nicht verheiratet -

aber Frankfurter wollten wir beide auch nicht werden. Denn jeder, den es damals nach Frankfurt verschlagen hat, wollte eigentlich mal am eigenen Leib erfahren, wie es sich in der westlichsten aller deutschen Großstädte anfühlte, wenn man hier lebt, und dann wieder weg von hier ziehen.

 

Damals war Frankfurt keine besonders schöne Stadt - nur Saarbrücken war noch hässlicher, viele Kriegsruinen, spießig aus dem Boden gestampfte Häuser mitten in der Innenstadt, die Fläche vom Dom zum Römer noch eine riesige Kriegslücke, und - es gab noch kein einziges Hochhaus in der Stadt, das höchste, das der Deutschen Bank, hatte gerade mal 12 Stockwerke. Noch dampfte, zischte und rauchte es aus allen Ecken und Enden dieser einstigen, bedeutenden deutschen Industriestadt:

die noch riesige Höchst-AG, Degussa, Messer-Griesheim, Casella, die Adlerwerke, nicht zuletzt die Naxos-Union - um nur einige Namen von Frankfurter Weltfirmen zu nennen - das proletarische Arbeitermilieu war noch aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. 

 

Du stürztest Dich in den Wahnsinn dieser Stadt und ich in die Kultur, die diese Stadt widerspiegelte:

 

auf der einen Seite die großen Stadtentwicklungsprobleme

- die Wiederbebauung des Römerberges, ja oder nein, und wenn ja dann wie: mit einem Medienkomplex hypermoderner Art oder mit althergebrachter, an diesem historischen Ort weltweit gerühmter Fachwerksarchitektur,

- der Museumsuferkomplex des für Frankfurt weichenstellenden Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann, der seinen Vorschlag gegen die Pläne zur Bebauung des Ufers mit Hochhäusern auf beiden Uferseiten ins Feld führte, und wie man weiß, Erfolg hatte,

- der von Teilen der Studentenbewegung heftig bekämpfte Wiederaufbau der Alten Oper, 

- die Freilegung der Judengasse, des vielleicht bedeutendsten Zeugnisses jüdischer Erinnerungskultur in Deutschland, und die Kämpfe um die Verhinderung des Baus des Mainova-Komplexes an eben dieser Stelle, usw. usf.

 

auf der anderen, der kulturellen Seite die großen Anstrengungen, die Widersprüche dieser Stadt widerzuspiegeln und für sie richtungsweisende Antworten zu finden,

was mich betrifft, das Lehrlingstheater, das Theater mit den Gastarbeiterjugendlichen der zweiten Generation - Gastarbeiter, so hießen die Migranten der damaligen Zeit noch, weil man davon ausging, dass sie bald wieder in ihre Heimatländer zurückkehren würden - besonders die italienischen Jugendlichen aus dem Gallus haben bundesrepublikanische SozioKulturgeschichte geschrieben, dies alles in der glanzvollen Zeit   

- der Theaterära Palitsch, in der Dein Mann, Claudia, Helmut Chefdramaturg war,

- der großen Opernägide Gielen/Zehelein,

- des TAT, der bedeutendsten alternativen Spielstätte für neues Theater in der Republik, in der auch die Lehrlingstheaterstücke, die Stücke der italienischen Jugendlichen, stürmische Aufführungen erleben konnten,

- des großen Ballettaufbruchs von William Forsythe

- und zuletzt der - vielleicht - epochalen Bedeutung der Arbeit des Theaterberserkers Einar Schleef , die - beide Forsythe und Schleef - uns Frankfurter Theatermacher der freie Szene, mich auf jeden Fall, heftigst beeinflusst haben.

 

Wir waren mit unseren beiden Familien - Du und Helmut hattet jetzt schon den zweiten Sohn, Tonio,  und ich mit meiner französischen Frau Marie-Francoise unseren Sohn Gregor - waren in alle diese Problemfelder, Streitigkeiten, Kämpfe und Grabenkriege involviert, Du mit dem Fahrrad von einem Ort zum anderen radelnd und als rasende Reporterin die immer wieder neuesten Infos auf die Seiten der Rundschau hämmernd, und ich mit meinem Theater an allen möglichen Orten der Stadt, im TAT, in den Frankfurter Bürgerhäusern, den Einrichtungen für die Frankfurter Arbeiterschaft, später mit Theaterproduktionen aus hessischen Dörfern, an denen ich meine Theaterarbeit fortsetzte, präsent. Oft trafen wir uns entweder bei Euch im Westend, oder abwechselnd in Dietzenbach, wo ich damals noch arbeitete und wohnte. Theater, Zeitung und Familie unter einen Hut zu bringen, war auch damals schon - wie heute auch noch - eine kulturelle, gesellschaftliche Leistung. Für die Bewältigung unserer Alltagsthemen waren unsere familiär geprägten Beziehungen produktiv, wenn wir uns kopfschüttelnd über die Unmöglichkeiten der Stadt- und Kulturpolitik zu entspannen suchten.   

 

Vieles glückte nur oder gerade weil Du in die immer wiederkehrenden Realitätshindernisse und Unmöglichkeiten Dich schreibend einmischtest, und keine Scheu hattest, anzuecken; im Gegenteil, oft hatte man bei den großen Verhandlungen mit den Verantwortlichen der Stadt das Gefühl, dass ein Problem  auf der Tagesordnung leichter zu behandeln war, weil Du am selben Tag in der Zeitung schon öffentlich Stellung dazu bezogen hattest. Ich erinnere nur an die grandiose Entwicklung der Frankfurt Feste und ihre unverständliche Abschaffung in den frühen 90er Jahren, die Schließung des TAT, das beinahe geplatzte Gesamtprogramm zur 1200-Jahrfeier der Stadt mit einem Faust1&2 -Projekt, an dem über 200 Frankfurter Bürger beteiligt waren und das ohne Dein wahnsinnig engagiertes Eintreten für die Weiterführung der bereits seit über einem Jahr vorher angefangenen Proben nicht zustande gekommen wäre, an die nur zweimalige Durchführung der sensationell erfolgreichen Osterspaziergänge im Geiste Goethes und ihre Einstellung, obwohl beide Male hunderttausende Bürger der Stadt und der Umgebung einem künstlerisch hochartifiziell ausgefeilten und zugleich populären Ereignis zu folgen gewillt waren, überhaupt über die Unfähigkeit dieser Stadt, deren konstante Bürger wir Zugereiste inzwischen längst geworden waren, Traditionen zu schaffen, die auf Alt-hergebrachtem, Bewährtem aufbauen.

 

Die Forderung von großen Teilen der traditionellen Stadtbevölkerung nach einer Teilrekonstruktion der weltberühmten Frankfurter Altstadt ist sicher aus diesem rastlosen Ungeist dieser Stadt geboren, dass immer nur das Neueste, Extravagante, vielleicht auch Aufgeblasen-Unnötige wert ist, Einzug in sie zu halten und dann genauso schnell wieder im Mainstream der Zeit verschwunden zu gehen.

 

Vieles, was eigentlich ganz persönlich zwischen uns, unseren Familien, Freunden und Bekannten, Dir, Deinem Mann Helmut und uns Theaterleuten bis zuletzt stattgefunden hat, wäre hier nicht nur nachzutragen, sondern wert, näher auf- und ausgeführt zu werden, aber das wäre ein weiteres Kapitel der "Geschichte von Claudia Michels in Frankfurt am Main". Vielleicht widmet sich die Rundschau oder das Stadtarchiv diesem weiter zu formulierenden Kapitel der Stadtgeschichte. Mir bleibt an dieser Stelle nur noch, einige Zeilen vorzutragen, die ein holländischer Theaterregisseur, Freund und Kollege von Claudia und mir, der einige Jahre lang, in den 70er Jahren, in Frankfurt und von Frankfurt ausgehend Theater in dieser Stadt gemacht hat, als Reaktion auf Claudias Tod einige Tage danach von New York aus an mich geschrieben hat, um sie entweder bei der Beerdigung oder in der heutigen Gedenkfeier zu Gehör zu bringen.

 

 

Hören Sie Paul Binnerts:

Kennengelernt habe Ich die Claudia während der Produktion von Die Heilige Johanna der Schlachthöfe am damaligen TAT. Ihr Mann,

Helmut Postel, hatte mich zur Premiere eingeladen. Ihre Söhne, Nikel und

Tonio, waren 6 und 4; das war 1978. Ich fuhr mit dem Fahrrad dahin, und

musste mich gegen den rasenden Autoverkehr in der Innenstadt zur Wehr setzen.

Claudia schrieb einen Beitrag in der FR mit dem Titel Der Fliegende

Holländer. Seitdem war auch sie in Frankfurt immer zu sehen auf einem

Fahrrad. Sie kannte das Wort Solidarität.

Von den vielen lobenden Nachrufen über Claudia’s journalistisch-

aktivistischen Qualitäten kann Ich hier nur sagen, dass sie alle stimmen,

und mehr:

Sie stand auf der Seite der Schwächeren.

Sie kümmerte sich.

Sie stellte die richtige Fragen.

Sie liess nicht nach.

Sie war unermüdlich.

Sie war nicht zu zermürben und gab nie auf.

Sie war voller Liebe, Glaube, Hoffnung.

Sie war da für uns, ihre Geliebten, ihre Freunde, ihre Kollegen.

Sie war ein ‘Mensch’.

Wie die Johanna in einem Schneesturm ist sie plötzlich von uns gegangen,

diese Heilige Claudia der Frankfurter Schlachtfelder.

Wären wir nur ein wenig so gut wie sie, um die Welt würde es vielleicht ein bisschen besser stehen.



Wir haben sie geliebt.

 

Wir werden sie für immer in unserem Herzen bewahren.